Die Spezies Mensch hat sich in einem Bruchteil ihrer Existenzzeit mehr als versiebenfacht. Jeden Tag begrüßen wir etwa 230.000 neue Erdenbürger – 84 Millionen pro Jahr, die alle konsumieren und unsere bestehenden Probleme verschärfen: Ressourcen werden schneller verbraucht und Wälder schneller abgeholzt, als dass sie sich regenerieren, es wird mehr Müll produziert als recycelt und die CO2-Produktion wird beschleunigt. Somit hat die Bevölkerungsentwicklung einen zentralen Einfluss auf den menschengemachten Klimawandel. Beide Herausforderungen sind nicht von einander zu trennen.
Es ist zwar richtig: Insbesondere für die Bewohner reicher Länder muss die Reduzierung der immensen Pro-Kopf-Emissionen im Fokus stehen. Deutschland gehört mit 12 Tonnen Klimagasen pro Kopf und Jahr zu den größten Umweltsündern der Welt. Die meistdiskutierten Gegenmaßnahmen sind die Steigerung von Effizienz durch technische Innovation und die Ablösung fossiler Energieträger durch regenerative Energien. Doch der Glaube in den Erfolg des technischen Fortschritts als Lösung für globale Herausforderungen wie die Klimaproblematiken ist bisher genau das: ein Glaube. Trotz vieler innovativer Lösungen in den vergangenen Jahrzehnten beobachten wir noch immer eine negative Entwicklung fast aller Indikatoren für menschengemachten Klimawandel.
Die schwere Aufgabe, Klimawandel zu verstehen
Dann ist da noch der – zweifellos wichtige – Appell an die Vernunft des Individuums. Laut dem Worldwatch Institute macht der Fleischkonsum mit all seinen ressourcenverbrauchenden Begleiterscheinungen 51 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus. Esst höchstens sporadisch Fleisch, fliegt so selten wie möglich, konsumiert wenig, lokal und nachhaltig! Wichtige und richtige Appelle. Doch betrachtet man den bisherigen Erfolg dieser Aufrufe, beschleicht einen das Gefühl, der Mensch habe Mühe, die komplexe Bedrohung durch den Klimawandel mit der eigenen Lebensrealität zu verknüpfen.
Verantwortlich dafür könnte etwas sein, was Psychologen Hyperbolic discounting nennen, was so viel heißt wie „übertriebene Abrechnung“: Menschen täuschen sich über aktuelle und zukünftige Gewinne und Verluste. So neigen Probanden, die gefragt werden, ob sie heute 100 Euro erhalten möchten oder 120 Euro in sechs Monaten, dazu, die 100 Euro zu wählen. Übertragen auf Klimathemen und hohe Geburtenraten geht es nicht um sechs Monate, sondern um Jahrzehnte und Jahrhunderte. Unser Gehirn scheint bisher schlecht gerüstet für die langfristig ausgerichtete Verantwortung, die wir gegenüber diesem Planeten und kommenden Generationen besitzen.
Bevölkerungswachstum wird bisher kaum diskutiert
Umso dringender ist die Evaluierung alternativer Ansätze. Und umso mehr überrascht, dass das gezielte Bremsen des Bevölkerungswachstums (und dadurch neuer CO2-Produzenten) bisher kaum diskutiert wird. Homi Kharas, ehemals Entwicklungsökonom bei der Weltbank, heute bei der Washingtoner Brookings Institution, sieht das ähnlich - er schreibt über das Abkommen von Paris: „Leider wurde der günstigste, kosteneffektivste Mechanismus zur Emissionsreduzierung von der internationalen Gemeinschaft scheinbar nicht berücksichtigt. Es ist Bildung, oder genauer gesagt Bildung für Mädchen […], die deutlich wahrscheinlicher Emissionen reduziert als ein Wechsel zu erneuerbaren Energien […] oder irgendeine andere zur Zeit angewandte Strategie.“
Gebildete Frauen werden tendenziell emanzipierter, bekommen mehr Entscheidungsfreiheit, sind stärker in die Familienplanung eingebunden und erhalten die Qualifikationen, selbstständig in den Arbeitsmarkt einzutreten – und bekommen im Schnitt deutlich weniger Kinder. Daher sollten alle Regierungen dringend hier ansetzen und Aufwand und Ressourcen nicht scheuen. Länder, die die staatliche Kapazität für die Umsetzung nicht haben, müssen dabei unterstützt werden. Die gute Nachricht ist: dies ist ein weitaus kostengünstigerer Ansatz als fast alle derzeit diskutierten Ideen zur Klimapolitik - von der Entwicklung kohlenstoffarmer Energie bis zur Kohlenstoff-Abscheidung und -Speicherung (CCS).
Dabei geht es nicht nur um mehr Bildung per se, sondern um qualitative Bildung. Qualität beinhaltet sexuelle Frühaufklärung, von Verhütung und Familienplannung bis Abtreibung. Selbst in reichen Ländern wird geschätzt, dass die Quote ungewollter Schwangerschaften enorm hoch ist: etwa 16 Prozent in Großbritannien und 50 Prozent in den USA. Weiltweit wird sie auf etwa 40 Prozent geschätzt. Außerdem stehen auf einem guten Lehrplan Umwelt- und Klimathemen. Was vielleicht das Individuum von morgen fähiger macht, diese Welt und die globalen Konsequenzen des eigenen Handelns zu begreifen.
Einige setzen hierfür auf das Fernsehen. Eine im renommierten American Economic Journal publizierte Studie stellt dar, wie in Brasilien der Fernsehproduzent 'Globo' ein Familienideal mit 0 bis 1 Kindern statt des Durchschnitts von 4.4 Kindern pro Frau präsentierte. Und in den Regionen, in denen Globo seine Telenovelas ausstrahlte, sank nicht nur die Geburtenziffer, sondern überdurchschnittlich viele Kinder wurden gleichzeitig nach den Protagonisten aus den Sendungen benannt.
Weniger Kinder haben sollte belohnt werden
Weiterhin müssen neben diesen langfristigen Strategien andere Maßnahmen sofort umgesetzt werden, wie die Bereitstellung von Verhütungsmitteln, die Verbesserung der rechtlichen und medizinischen Rahmenbedingungen von Abtreibungen und die steuerlichen Konsequenzen von Geburten. Weniger Kinder zu bekommen, sollte von progressiven Regierungen belohnt werden und nicht ein steuerlicher Nachteil sein. Umgekehrt sollte Menschen der Effekt des Bevölkerungswachstums und Klimawandels bewusst gemacht werden. Eine Möglichkeit dafür ist, Wege zu suchen, gesamtgesellschaftliche und Umwelt-Kosten in den Preisen von Gütern zu internalisieren.
Es klingt hart - vielleicht viel zu hart. Aber wie eine Studie in den USA zeigt: Es wird geschätzt, dass die CO2-Emissionen eines einzelnen durchschnittlichen Menschen zwanzig mal so hoch sind wie die Menge der Emissionsreduzierungen, die wir durch einen bewussteren Lebensstil erreichen könnten – u.a. in dem wir zum Beispiel zu Elektroautos wechseln und LED-Glühbirnen benutzen.
Es geht nicht darum, eine Welt ohne Menschen zu fordern. Es geht nur darum, wie wir auf dieser Insel namens Erde gemeinsam in eine Zukunft steuern können – eine Erde, die weit vor unserer Ankunft existierte und ganz sicher eine Weile nach uns existieren wird. Dafür müssen wir verzichten, dafür müssen wir Frauen mit wenig Bildung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Alexander Krauss unterrichtet als Privatdozent globale Entwicklungsthemen an der University College London und forscht derzeit auch über wissenschaftliche Methoden und die Grenzen der Wissenschaft.
Thomas Kastning ist freier Schriftsteller und arbeitete in den letzten Jahren für politische Stiftungen und Wirtschaftsverbände, u.a. den Afrikaverein der Deutschen Wirtschaft.