Liebe Leserin, lieber Leser
Das Bild rechts zeigt einen der großen Momente der US-Geschichte: Auf der japanischen Insel Iwojima errichten sechs GIs einen Mast mit der Flagge der Vereinigten Staaten. Es ist der 23. Februar 1945, die Amerikaner haben nach schweren Kämpfen einen Teil der Insel erobert. Fast 7000 GIs werden im Verlauf der Gefechte ihr Leben verlieren, ein extrem hoher Blutzoll - und dieses Foto (das nicht gestellt wurde, wie später behauptet) wird nicht nur für ihren Sieg stehen, sondern schon bald zum Symbol werden für die militärische Schlagkraft der USA. Eine Schlagkraft, die entscheidend ist für die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert. Denn es sind die Erfolge auf dem Schlachtfeld, die das Land aufsteigen lassen zu einer Supermacht, erst im Waffengang gegen Spanien 1898, dann im Ersten Weltkrieg, aus dem alle anderen Großmächte geschlagen oder geschwächt hervorgehen, während die USA erstmals zum global player werden. Diese Erfolge setzen sich im Zweiten Weltkrieg fort. Allein in der Sowjetunion erwächst den USA ein militärisch lange Zeit ebenbürtiger Gegner.
Aber eben nur militärisch. Ökonomisch, politisch und kulturell haben die Vereinigten Staaten nach dem Sieg über Japan und Hitler-Deutschland so viel Einfluss über große Teile unseres Planeten wie keine Großmacht zuvor. Die halbe Welt kauft amerikanische Waren, liebt amerikanische Marken, lässt sich durch amerikanische Filme, TV-Serien und Musikprogramme unterhalten. Sie schätzt amerikanische Kunst und Literatur, sie bewundert amerikanische Stars, sie imitiert den amerikanischen Lebensstil, sie sieht in New York das Zentrum des Planeten. Daran ändert sich auch nichts, als die USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst durch den Vietnamkrieg, später durch die mitunter rabiate Außenpolitik ihres Präsidenten Ronald Reagan viele Sympathien verlieren. Der Einfluss der westlichen Supermacht manifestiert sich nun nicht mehr allein in ihrer militärischen Kraft, sondern in ihrer soft power: ihrer kulturellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Vorbildfunktion. Und als die UdSSR 1991 untergeht, da scheint es für einen historischen Moment sogar so, als sei die Welt nun unipolar, als gebe es nur noch die eine, die Hypermacht USA. Ein US-Politologe spricht schon vom "Ende der Geschichte".
Doch dieser Moment vergeht. 1993 wird die Beteiligung an einer UN-Mission in Somalia für die USA zum militärischen Albtraum. 1994 verschließen sie die Augen vor dem Genozid an 800.000 Menschen im afrikanischen Ruanda und verweigern ihre Hilfe. 1995 muss Präsident Clinton hinnehmen, dass ein Streit mit der Opposition zur Teilschließung von Bundesbehörden führt - erstmals können die Bürger auf zahlreiche Leistungen des Staates nicht mehr rechnen.
Die Infrastruktur des Landes bröckelt, seine Brücken, seine Stromversorgung werden zunehmend marode, Straßen in den Ballungszentren sind chronisch überlastet, viele Flughäfen und das Eisenbahnnetz veraltet. Zugleich leistet es sich dieses Land, immer noch eines der reichsten der Welt, dass Dutzende Millionen Menschen in Armut leben, keinen Zugang zu angemessener Bildung oder Gesundheitsversorgung haben. Manche Viertel in den deindustrialisierten Städten, etwa in Detroit, scheinen wie durch Bomben zerstört. Darüber hinaus wirken die USA politisch gelähmt. Die beiden großen Parteien, die Demokraten und Republikaner, bekämpfen sich immer fanatischer und unnachgiebiger, es gibt kaum Raum für Kompromisse, und eine Nichtigkeit wie die Affäre von US-Präsident Bill Clinton mit einer Praktikantin bindet mehr politische Energie als so manches um das Tausendfache relevantere Problem.
Diese erbärmliche Form der Politik erlebt ihren Tiefpunkt, als George W. Bush die Präsidentschaftswahl vom 7. November 2000 gewinnt, obwohl die Stimmabgabe im wahlentscheidenden US-Staat Florida (in dem ausgerechnet Georges Bruder Jeb Gouverneur ist) von Skandalen überschattet wird. Als schließlich der konservativ dominierte Oberste Gerichtshof der USA ohne überzeugende juristische Begründung die Wahl für gültig erklärt - und so Bush quasi an die Macht putscht -, haben viele Beobachter den Eindruck, es eher mit dem Operettenregime einer Bananenrepublik zu tun zu haben als mit der Führung einer der größten und ältesten Demokratien der Welt.
Und dann kommt der 11. September. Der Tag, der die USA in ihren Grundfesten erschüttert und ihnen klarmacht, dass mit dem Ende des Kalten Krieges die Welt nicht sicherer geworden ist, im Gegenteil, und dass nun das Zeitalter der asymmetrischen Konflikte begonnen hat, in dem selbst die stärkste Macht der Geschichte von nur 19 tödlich entschlossenen Männern herausgefordert werden kann. Damit endet das Amerikanische Jahrhundert, und es beginnt ein neues, in dem mit China eine neue ökonomische, politische und militärische Supermacht heranwächst, während sich die politische Klasse in den USA als weiterhin unfähig erweist, auf die vielfältigen Probleme des Landes angemessen zu reagieren.
Aber davon handelt dieses Heft schon nicht mehr.
Es beschränkt sich auf jene Epoche, in der ein Imperium den Rest des Planeten so stark geprägt hat wie kein anderes Reich zuvor - eine Ära, von der immer noch viele hoffen, dass sie nicht ganz zu Ende ist, dass die Jahre von Irakkrieg und Inkompetenz nur eine vorübergehende Phase gewesen sind. Wie die mehr als 200.000 Menschen, die 2008 dem jungen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama in Berlin zujubeln - und die ein Wiedererstarken jener USA wünschen, die für die Werte des Westens standen: für Demokratie, Freiheit und den typisch amerikanischen Optimismus.