Nein, Cagliari hat es nicht leicht. Die Hauptstadt ist umzingelt von den schönsten Strändendes südlichen Sardiniens. Warum sollten sich Inselbesucher also durch die engen Gassen einer heißen Stadt kämpfen? Weil ein Besuch jede Schweißperle auf der Stirn wert ist. Cagliari wurde im Laufe seiner Geschichte so oft von fremden Seemächten eingenommen und geprägt, dass es heute eine außerordentliche kulturelle Vielfalt bietet.
Die Stufen vom Hafen hoch in die historische Altstadt sind steil und scheinbar unendlich. Doch dann führen die verschlungenen Wege endlich durch die Stadttore hindurch. Hinter dem Elefantentor und dem Tor des heiligen Pankratius offenbart sich eine Welt, geprägt von vielen Kulturen. Hier sieht es doch aus wie in…? Hier riecht es doch wie in…? Hinter jeder Ecke wirkt die Stadt, die näher an Tunis liegt als am italienischen Festland, wieder ganz anders.
Cagliari: Eine Hauptstadt, große Vielfalt
Mal sardisch, mal byzantinisch, mal spanisch, mal römisch. Aber immer typisch Cagliari. Im 7. Jahrhundert v. Chr. von den Phöniziern gegründet. Oft erobert, von den Vandalen, den Byzantinern, von maurischen Seeräubern überfallen, im Besitz von Spanien, dann Habsburg, schließlich Savoyen – doch nie des Stolzes beraubt.
Die Aussichtsplattform an der Bastione di Saint Remy, hinter den alten Stadtmauern in den Felsen gehauen, bietet einen Blick auf die Dächer der 156 000-Einwohner-Stadt, auf die grünen Oasen, den Jachthafen, das Meer. Marmorbänke, Palmen, Olivenbäume, Kakteen, schön geschwungene Laternen.
Die Morgensonne prickelt zart auf der Haut. Die Cagliaritani sitzen in Cafés im Schatten von Sonnensegeln und bestellen Espresso und Vanillehörnchen. Aus den Boxen dringt sardischer Rap.
Kurz vor zehn: In den engen Gassen beginnt das morgendliche Stadtgewimmel. Kirchenglocken übertönen das Kreischen der Möwen und das Hupen der Lieferwagen, der Vespas, der Fiat 500. Auf einem kleinen Markt verkaufen Bauern Honig, Zimt und Eukalyptusöl. Der Dom, die Kathedrale Santa Maria di Castello, ehrwürdiger Bischofssitz, erbaut im 13. Jahrhundert, zieht die Besucher wie magisch in sein verwunschenes Inneres. Weihrauch liegt in der Luft. Von außen ist die Kirche eine Mischung aus zahlreichen Epochen: Barock, Romantik, Gotik – und damit so repräsentativ für die Stadt. Innen erstrahlt sie an vielen Ecken barock, die Marmorkanzel stammt ursprünglich gar aus dem 12. Jahrhundert. Der Boden besteht aus Buntmarmor, der Tabernakel ist aus Silber. Steil geht es hinab in die Krypta. Sie beherbergt Reliquien und Gebeine von knapp 300 christlichen Märtyrern.
Wieder an der Sonne, nahe des Elefantentores: Die Restaurantbesitzerin Cristina Spiga stellt die fein geschnittenen Thun- und Schwertfischscheiben ab und schenkt Cannonau ein, den traditionsreichen Inselrotwein. Das Brotkörbchen ist gefüllt mit Pane Carasau, dem knusprigen Hirtenbrot. In ihrem kleinen Bistro »s’Isula« bekocht Spiga Einheimische und Touristen mit puristischer Küche und versorgt sie mit traditionellen Köstlichkeiten: Tomatensoßen, Nudeln, Salz. »Als ich jung war, wollte ich weg von hier, nun bin ich zurück«, sagt die Wirtin, die das Lokal vor zwei Jahren eröffnet hat. »Weil ich Cagliari liebe und vermisst habe. Und weil viele jüngere Bewohner der Stadt neues Leben einhauchen.« Tatsächlich, seit einigen Jahren feiern junge Städter im Schatten der alten Gemäuer das Jetzt, eröffnen Lokale, Geschäfte, Galerien – ein faszinierendes Potpourri aus Vergangenheit und Zukunft.
"Casteddu", wie die Einheimischen ihre Stadt nennen, erfüllt Besucher mit den unterschiedlichsten Eindrücken, bietet aber auch stille Oasen zum Zurückziehen: den Botanischen Garten mit Kakteensammlung, Zisterne und römischem Höhlengang. San Saturnino, die älteste Kirche Sardiniens aus dem 5. Jahrhundert. Oder die Via San Giovanni unterhalb des Altstadtfelsens. Windschiefe Hausmauern, Blumen vor den Eingängen. Das sieht hier doch jetzt wirklich aus wie in… Lissabon? Nein, Beirut! Oder doch wie in…
Staubige Luft dringt aus Gianpaolo Olianas’ dunkler Werkstatt. Er winkt zu sich herein, zeigt seine Aquarelle und Keramiken. Er erzählt von seinem Leben als Maler und Bildhauer, davon, wie sehr der kulturelle Reichtum dieser Stadt ihn in seiner Kreativität beeinflusst. Dann zeigt er zum Himmel. »Und jetzt raus hier«, sagt er und schmunzelt. »Genießt die Abendsonne. Sie ist umwerfend.«
Cagliari mag weit weg von Mailand und Rom liegen, aber wenn es um Stil geht, sind die Cagliaritani typisch italienisch. Die Kellner im Café »Libarium Nostrum« mit Panoramaterrasse, tragen blütenweiße Hemden zu schwarzen Hosenträgern. Als Aperitif empfehlen sie den »Allegatore«, einen Drink aus Calvados und Drambuie, einst von einem hiesigen Barmann kreiert. Die Dächer der Stadt glitzern golden in der Abendsonne. Noch einen Alligatore – und schon macht einem diese Stadt die Entscheidung ganz leicht, ob man nicht einfach noch einen Tag länger bleiben soll.
Insider-Tipps für Cagliari
SCHLAFEN
Im Herzen der Altstadt bietet die kleine Herberge vier stilvolle Zimmer mit antiken Möbeln und eine Terrasse mit Blick über den Hafen.
Via Nicolò Canelles 78, Tel. 070-66 23 04, DZ/F ab 60 €
Mit dem Auto gut zu erreichen und doch direkt in der Altstadt. Edle Zimmer mit dunklem Holz zu unaufdringlichen Brauntönen. Das beste unter den großen Hotels.
Viale Regina Margherita 44, Tel. 070-67 03 42, DZ/F ab 100 €
ESSEN UND TRINKEN
Caffè Libarium Nostrum
Die Bar mit der schönsten Aperitivo-Terrasse. Tipp: den Cocktail Negroni mit jahrelang im Eichenfass gereiftem Wermut testen!
Via Santa Croce 33, Tel. 346-522 02 12
Osteria su Filindeu
Erst vor zwei Jahren hat der 68-jährige Antonello Pisu die Osteria »Die Fäden Gottes « eröffnet. Sein Ziel: Alles soll so schmecken wie bei Großmama. Die Zutaten sind frisch vom Markt. Die Gäste kennen sich. Gerichte werden schon mal über alle Tische hinweg gelobt.
Corso Vittorio Emmanuele II 228, Tel. 327-677 57 72
Im kleinen Bistro nahe der Altstadtmauer serviert Cristina Spiga einfache Gerichte mit frischen Zutaten, dazu guten Wein aus der Umgebung. Außerdem gibt es Öl, Honig, Keramiken, Stoffe und vieles mehr zu kaufen. Ein Stück neues, junges Cagliari.
Via Santa Croce 7, Tel. 339- 839 82 14
ERLEBEN
In der Markthalle di San Benedetto bieten die Händler Thunfisch, Schwertfisch und Meeresfrüchte feil. Die Halle zählt zu den größten Fischmärkten Europas. Unbedingt frühmorgens besuchen, um die größten Exemplare noch sehen zu können.
Via Francesco Cocco Ortu 46, Tel. 392-461 19 64, Mo–Fr 7–14 und Sa 7–15 Uhr
Ein bunter Garten mit einem Pflanzenmix aus aller Welt: natürlich mit einheimischen Gewächsen, aber auch mit Heilpflanzen und einer umfangreichen Kakteensammlung. Außerdem: eine römische Höhle und eine Zisterne.
Via Sant’Ignazio da Laconi 11, Tel. 070-675 35 12, Di–So 9–18 Uhr
Jede Vase, jeder Teller, jedes Bild ist hier ein Einzelstück. Pittoresk und in ungezählten Blautönen verarbeitet Gianpaolo Olianas die Eindrücke seiner Heimat in Kunstwerken. In seinem Atelier dürfen Besucher dem Meister auch bei der Arbeit über die Schulter blicken.
Via San Giovanni 184, Tel. 070-444 50, Mo–Fr 9–13, 17–20, Sa 9–13 Uhr