Der Mond scheint nicht selbst, er reflektiert lediglich das Licht der Sonne. Folglich muss seine helle Seite immer genau auf das Zentralgestirn weisen. Das tut sie auch - wir nehmen es allerdings nicht immer so wahr. Für dieses erstaunliche Phänomen hat der Astronom Burkard Steinrücken vom Planetarium in Recklinghausen nun eine, wie er sagt, psychophysische Erklärung: Stehen Mond und Sonne eng beieinander, kann der Beobachter beide scharf anvisieren, ohne den Kopf zu bewegen. In diesem Fall zeigt die Mondsichel eindeutig zur Sonne. Das lässt sich am Abendhimmel sehr gut dann beobachten, wenn die schmale Mondsichel erstmals nach Neumond in der Dämmerung erscheint.
In dieser Phase steigt der Mond nur flach im Westen auf und geht schnell wieder unter. Etwas völlig anderes ist ein paar Tage später zu erblicken. Der Halbmond steht dann im Winkel von 90 Grad zur Sonne. Vergleicht man in dieser Situation die Position der beiden Gestirne, stellt man fest, dass der beschienene Teil des Mondes deutlich über die Sonne hinweg zeigt. Je weiter sich der Mond von der Sonne entfernt, desto stärker wird die scheinbare Abweichung.
Der Grund: Wenn sich der Winkelabstand zwischen den Gestirnen etwa auf 90 Grad vergrößert, schwenkt der Beobachter beim Anvisieren seinen Kopf leicht und neigt ihn unwillkürlich. Dadurch kommt ins Spiel, was Psychologen als "Aubertsches Phänomen" kennen: Eine senkrecht an die Wand projizierte Linie erscheint dem Betrachter bei seitlicher Kopfneigung um etwa zehn Grad in die Gegenrichtung abgelenkt. Die Kopfhaltung verzerrt also das gewohnte menschliche Koordinatensystem - das Gehirn konstruiert eine falsche Verbindungslinie zwischen Sonne und Mond.