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50 Jahre Mondlandung Als der Adler taumelte: Nervenkitzel auf letzten Metern zum Mond

Mondlandung
Nach gut vier Tagen Flug erreichen die Astronauten – hier Edwin Aldrin – ihr Ziel mit einer Landefähre, deren Gestell sie nach der Landung mit Schutzfolie verkleiden
© NASA / scanning Kipp Teague
Es ist ein gewagtes Projekt mit einem ehrgeizigen Ziel: 400 000 Wissenschaftler und Techniker arbeiten daran, amerikanische Astronauten auf den Mond zu schicken. Deren Erfolgschancen stehen kaum besser als 50 Prozent, fast scheitert die Mission kurz vor dem Ziel. Doch dann gelingt ihnen mit der Raumfähre »Eagle« der Abstieg zum Mond

Seit Stunden schon harren die Astronauten Neil Armstrong und Edwin Aldrin in einem Cockpit aus, das kaum größer ist als eine Telefonzelle. Sitze gibt es hier nicht – an Bord jener Landefähre, die sie zum Mond bringen soll. Überall sind Kabel und Leitungen, dazwischen Hunderte von Kontrollinstrumenten und Schaltern. Mitten in den Raum ragt ein vibrierender, metallisch verkleideter Konus: eines der Raketentriebwerke. Mit einer Geschwindigkeit von mehr als 7000 km/h rast die Kapsel durchs All.

In den zwei winzigen Cockpitfenstern zeichnet sich die vernarbte Mondlandschaft ab; mit jeder Sekunde wird sie größer. Kommandant Armstrong schaut hinaus; er sucht einen felsfreien Platz zur Landung. Da gerät die Staubwüste vor seinen Augen plötzlich ins Schlingern. Aldrin, der Kopilot, starrt auf den Höhenmesser: Der Wert fällt rasend schnell. Nur noch wenige Hundert Meter. Die Fähre taumelt immer heftiger.

Vom Kontrollzentrum in Houston, das den Flugverlauf verfolgt, kommt der Funkspruch: „Apollo 11, wir schlagen vor, dass ihr abbrecht!“ Doch für die 384 400 Kilometer zwischen Erde und Mond benötigt die Übertragung 1,3 Sekunden. Da ist es schon zu spät.

Apollo 11 schlägt im „Meer der Ruhe“ auf: viel zu schnell und viel zu hart für das fragile Raumschiff, das in unzählige Trümmer zerfetzt wird. Armstrong und Aldrin wären sofort tot. Doch zum Glück war dies ein Flug im Simulator.

Armstrong, Aldrin und Collins als erste Menschen auf dem Mond

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Mehr als 100 Meter lang und fast 3000 Tonnen schwer ist die Rakete, die am 16. Juli 1969 in Florida startet: Im Flug werden ihre Antriebsstufen nach und nach abgesprengt – unterhalb der Spitze befindet sich das Kommandomodul mit den drei Astronauten
© NASA / scanning Kipp Teague

Juni 1969. Abstürze gehören zum Training der Apollo-Crew – solange sie noch unerfahren ist. Aber Armstrong und Aldrin werden, gemeinsam mit Michael Collins, einem dritten Astronauten, schon in drei Wochen starten, um als erste Menschen einen fremden Himmelskörper zu betreten. Ihre Mission soll die weiteste, spektakulärste, triumphalste Entdeckungsreise aller Zeiten werden.

Tatsächlich aber ist sie ein riskantes, in kürzester Zeit vorbereitetes Vabanquespiel an der Grenze des menschlich und technisch Möglichen. Eine Expedition, die den Astronauten Manöver abverlangen wird, die nie zuvor geprobt worden sind. Und von deren Ziel niemand weiß, was die Männer dort eigentlich erwartet.

„Ich glaube, dass sich unsere Nation verpflichten sollte, vor dem Ende dieser Dekade einen Mann zum Mond zu bringen und sicher wieder zurück zur Erde“, hat Präsident John F. Kennedy acht Jahre zuvor, am 25. Mai 1961, verkündet – 43 Tage nachdem die USA beim Wettlauf um die Vorherrschaft im All zum zweiten Mal von der UdSSR geschlagen worden sind: Schon 1957 haben die Russen mit dem „Sputnik“ den ersten Satelliten gestartet, nun haben sie auch den ersten Menschen ins All gebracht, den Kosmonauten Jurij Gagarin.

Die USA wollen die UdSSR übertrumpfen

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Vor dem Start: Armstrong und Aldrin üben den Transfer von Mondgesteinsproben von einer Schaufel in eine Tüte
© NASA / scanning Kipp Teague

Welche Demütigung für die USA, die sich in Technik und Wissenschaft für unbesiegbar halten. Kennedy muss reagieren – und gibt seinem Land eine Vision vor, wie sie typisch ist für den charismatischen Präsidenten: kühn bis zur Provokation, fortschrittsgläubig und dennoch romantisch. Mit ihr überträgt Kennedy die mythenbeladene Sehnsucht der Amerikaner nach dem unberührten Land im Westen vom 19. Jahrhundert in das Weltraumzeitalter. Amerikas Traum, verkündet Kennedy, ist nicht tot.

Die Erfüllung dieses Traums erlebt der Präsident freilich nicht mehr. Zweieinhalb Jahre später wird Kennedy erschossen, und Amerika stürzt in seine vielleicht traumatischste Dekade des 20. Jahrhunderts. Auch die Weltraumflüge der Mercury-, dann der Gemini-Astronauten sind eine Serie politischer Niederlagen: Denn ob beim ersten Flug zweier Menschen im All, beim ersten Rendezvous zweier Raumschiffe, beim ersten Weltraumspaziergang – stets sind die Sowjetrussen um Monate voraus.

Unterdessen arbeiten überall in den USA, koordiniert von der Raumfahrtbehörde NASA, Techniker und Wissenschaftler an Universitäten und Firmen an der Vision „Apollo“. In der Endphase des Projekts sind 400 000 Menschen damit beschäftigt, einen Amerikaner auf den Mond zu bringen – und die UdSSR endlich einmal zu übertrumpfen.

Zunächst muss eine Rakete konstruiert werden, die stark genug ist, ein Raumschiff zum Mond zu tragen. Die Entwicklung dieses Geschosses überträgt die NASA dem wohl genialsten (und umstrittensten) Raketenbauer jener Zeit: Wernher von Braun. Als junger Wissenschaftler hat der Deutsche für das NS-Regime die „V2“ konstruiert, die erste Langstreckenrakete der Geschichte. Rund 40 000 Zwangsarbeiter mussten dafür schuften, viele wurden hingerichtet oder starben vor Erschöpfung.

Unmittelbar nach Kriegsende hat sich von Braun mit seinen Mitarbeitern in einer Geheimoperation der US Army in die USA abgesetzt. Dort ist nie Anklage gegen ihn erhoben worden, im Gegenteil: „Mr. Moon“, wie er später genannt wird, gehört zu den privilegiertesten Wissenschaftlern. Seit 1945 entwickelt er Raketen für den Kalten Krieg. Und 1959 präsentiert sein Team einen Vorschlag für eine lunare Militärbasis.

Kurz darauf kommt Wernher von Braun zur NASA – und krönt dort sein Lebenswerk mit der „Saturn V“: einer 110 Meter hohen und 2880 Tonnen schweren Rakete. Allein die erste der drei Stufen, die bei ihrem Flug nacheinander abgesprengt werden, verbrennt während ihres nur zweieinhalbminütigen Einsatzes fast 1,9 Millionen Liter Kerosin und flüssigen Sauerstoff – und erreicht damit einen Schub von rund 160 Millionen PS.

An der Spitze dieses bis dahin antriebsstärksten Gefährts der Geschichte sitzen zwei Raumschiffe: zum einen die Kommandokapsel, die die Astronauten zum Mondorbit und wieder zurück tragen wird; und zum anderen die Mondlandefähre „Eagle“, mit der zwei der drei Männer den Erdtrabanten erreichen sollen.

Die NASA will die Reise zum Mond wagen

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Neil Armstrongs Anzug für den ersten Außenbordeinsatz auf dem Mond
© NASA / scanning Kipp Teague

Ein Raketenantrieb wird dabei den Sturz der „Eagle“ bremsen, denn Fallschirme wären sinnlos auf dem Mond, der fast keine Atmosphäre hat. Um das Gefährt auf komplizierten Kursen bis zum Landeplatz zu navigieren, muss ein Computer mit 33 000 Wörtern Speicherkapazität genügen, einer Rechenleistung, mit der ein PC heute nicht einmal hochgefahren werden könnte. Doch es läuft nicht gut für das Projekt: Im Januar 1967 verbrennen drei Astronauten bei einem Test in ihrer Kapsel.

1968, beim zweiten unbemannten Testflug der Saturn V, wird die Rakete von unerklärlichen Vibrationen geschüttelt. Und als am 11. Oktober 1968 erstmals drei Astronauten in einer Apollo-Kapsel in die Erdumlaufbahn aufsteigen, schimpfen die Männer, als säßen sie am Stammtisch. Fast scheint es, als überfordere Apollo selbst erfahrene Piloten.

Kurz zuvor hat die CIA gemeldet, die UdSSR baue eine neue Rakete – groß genug, um Menschen zum Mond zu tragen. Werden die Kosmonauten auch diesmal die Ersten sein?

Schon im Sommer 1968 haben die NASA-Direktoren daher beschlossen, den Flug von Apollo 8, der nur als vorsichtiger Auftakt einer umfangreichen Testserie geplant war, bis in die Umlaufbahn des Mondes auszuweiten: Die Astronauten sollen nun fast 300-mal weiter in den Weltraum vordringen als je ein Mensch zuvor.

Das Unternehmen ist riskant, aber es glückt: Zu Weihnachten 1968 umkreisen Frank Borman, James Lovell und William Anders den Mond. Im Frühjahr 1969 starten Apollo 9 und 10 zu weiteren Testflügen. Die Systeme arbeiten nun einwandfrei. Im Juli 1969, fünf Monate vor der von Kennedy versprochenen Frist, ist die NASA schließlich bereit, die Reise zum Mond zu wagen. Aber wer soll fliegen?

Die Apollo-Mission

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Ausgewählt: Die drei ehemaligen Kampfpiloten Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins (von links) kennen sich bereits von früheren NASA-Projekten
© NASA / scanning Kipp Teague

Rund zwei Dutzend Männer sind für die Apollo-Mission ausgewählt worden – fast alle frühere Testpiloten, physisch und psychisch extrem belastbar, meist zwischen 30 und 40 Jahre alt; viele haben bereits an den Mercury- und Gemini-Programmen teilgenommen.

Zwischen ihnen tobt ein versteckter Konkurrenzkampf, bei dem jedoch keiner der Astronauten die Kriterien kennt, nach denen ihr Chef, der ehemalige Mercury-Pilot Donald Slayton, die Crews zum Teil Jahre im Voraus für die Apollo-Missionen einteilt. „Jede Crew ist austauschbar“, beteuert Slayton stets.

Nach dem Flug von Apollo 8 weicht er allerdings von dieser Regel ab: Frank Borman, der Kommandant von Apollo 8, soll auch als erster Mensch den Mond betreten. Doch Borman, erfüllt von dem Stolz, ohnehin schon als Erster um den Mond geflogen zu sein, lehnt ab. Also bleibt es bei der hergebrachten Crew-Einteilung. Und weil der Flug von Apollo 8 weitaus reibungsloser verlief als erwartet, kann auf zusätzliche Tests verzichtet werden. Kurz entschlossen nominieren die NASA-Direktoren die Crew von Apollo 11 – die eigentlich nur für einen weiteren Vorbereitungsflug eingeteilt ist – für die erste Mondlandung.

Es ist also Zufall, dass Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins für den spektakulärsten Flug in der Geschichte der Menschheit ausgewählt werden. Die drei kennen sich vom Gemini-Projekt. Der ehemalige Kampfpilot Armstrong, blass und still, ist ein schüchterner Einzelgänger, verschlossen bis zur Schroffheit; selbst seine Freunde wissen nie genau, was ihn umtreibt.

Edwin Aldrin ist lebhafter, aber ähnlich kompliziert wie Armstrong. Auch er war früher Kampfpilot, hat dann an der Elitehochschule MIT Raumfahrttechnik studiert und ist der erste Astronaut mit einem Doktorgrad. Seine Kameraden bewundern ihn für sein Wissen, aber halten ihn für geradezu brutal direkt und akademisch-arrogant, unfähig zur unverbindlichen Plauderei.

Aldrin verkündet bei der NASA jedem, dass bei den Gemini-Flügen stets der Kommandant die Kontrolle über das Raumschiff behalten habe, während der Kopilot andere Aufgaben erfüllen musste, etwa einen Weltraumspaziergang unternehmen. Weshalb sollte man diese Regel bei Apollo 11 ändern? Also müsse der Kommandant, Armstrong, in der Kapsel am Steuer bleiben, während der Kopilot, also Aldrin, als Erster den Mond betreten werde. Armstrong überlässt die Entscheidung den NASA-Direktoren. Die beschließen im Frühjahr 1969, dass der Kommandant den Mond als Erster betreten soll. Armstrong und Aldrin reden nie wieder über dieses Thema, doch ihr Verhältnis kühlt deutlich ab.

Michael Collins, der mit der Kommandokapsel um den Mond kreisen wird, während seine Kameraden den Abstieg zum Erdtrabanten wagen, ist das Gegenteil der beiden: ein offener, fröhlicher Mensch. Dank ihres monatelangen Trainings sind die drei bald ein eingespieltes Team. Freunde aber sind sie nicht.

An Bord der Apollo 11

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110 Kilometer über dem Mond steigen Armstrong und Aldwin aus dem Raumschiff um in die Landefähre und fotografieren es vor der Kulisse des Erdtrabanten
© NASA / scanning Kipp Teague

Sonntag, 20. Juli 1969, 12.46 Uhr Houston-Zeit, an Bord von Apollo 11. Vor vier Tagen, vier Stunden und 14 Minuten ist das Team gestartet. Bis jetzt war es ein perfekter Flug. Nun soll das Landemanöver beginnen. Armstrong und Aldrin haben sich mit ihren Raumanzügen in die Landefähre gezwängt.

„Passt auf euch auf!“, funkt Collins aus der Kommandokapsel, als sich die beiden Module voneinander trennen. „See you later“, antwortet Armstrong – und steuert die „Eagle“ Richtung Mond.

Die Landung ist das komplizierteste Manöver des gesamten Fluges. Armstrong selbst hat vor dem Start alle Faktoren abgeschätzt – und ist auf eine Erfolgschance von 50:50 gekommen.

Auch bei der NASA sind insgeheim mehrere Szenarien des Scheiterns durchkalkuliert worden: Sollten die Astronauten beispielsweise auf dem Mond landen, aber aus irgendwelchen Gründen nicht mehr starten können, bliebe dem Kontrollzentrum in Houston nichts anderes übrig, als die Funkverbindung zu unterbrechen; Armstrong und Aldrin würden in völliger Einsamkeit langsam ersticken.

Doch in diesem Moment hat Armstrong keine Zeit, an so etwas zu denken. Seine Konzentration gilt einzig dem Ort, an dem sie landen sollen. „Site 2“ haben Wissenschaftler den 18,5 Kilometer langen und 4,8 Kilometer breiten Streifen im „Meer der Ruhe“ nahe dem Mond-Äquator genannt. Diese Region, ungefähr so lang wie Manhattan und etwas breiter, scheint weniger von Kratern vernarbt zu sein als der Großteil des Trabanten; auf dieser Ebene dürfte eine Landung noch die geringsten Gefahren mit sich bringen.

Armstrong hat alle Fotos, die unbemannte Sonden und die Apollo-8-Astronauten zuvor von dem Areal aufgenommen haben, ausgiebig studiert. Er kennt „Site 2“ so gut wie auswendig.

Die Mondlandung: Nur noch einige Meter

14.48 Uhr. Die „Eagle“ taucht nach 48 Minuten wieder aus dem Mondschatten auf – jenem Abschnitt der Umlaufbahn, in dem ein Kontakt zur Erde unmöglich ist. Doch auch jetzt bleibt die Funkverbindung nach Houston schlecht. Immer wieder wird der Datenstrom, der den Männern im Kontrollzentrum alle Messwerte von Apollo 11 auf die Bildschirme transportiert, unterbrochen.

15.05 Uhr, genau 15 240 Meter über der Mondoberfläche. Die Bremsrakete der „Eagle“ zündet. Die Landung auf dem bremsenden Raketenstrahl des Triebwerks beginnt.

Die Landefähre nähert sich dabei auf einer spiralförmigen Bahn dem geplanten Aufsetzpunkt: Sie verringert kontinuierlich die Geschwindigkeit, mit der sie den Mond umrundet, und sinkt so herab. Armstrong und Aldrin blicken sich kurz an. Ihre Gesichter unter den Raumhelmen sind dunkel von ihren Vier-Tage-Bärten, ihre Kehlen trocken vom reinen Sauerstoff, der durch das Atemsystem der Raumanzüge strömt.

Armstrong späht aus einem der dreieckigen Fenster. Und stutzt: Alle markanten Landschaftsmerkmale der Mondoberfläche – die Krater, Felsen, Berge –, über die sie jetzt mit einer Geschwindigkeit von immer noch mehr als 5000 km/h hinwegrasen, erscheinen aus einem unbekannten Grund zwei Sekunden früher als vorausberechnet. Das bedeutet bei ihrem bogenförmigen Abstieg, dass sie 3,6 Kilometer hinter dem geplanten Zielgebiet landen werden.

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Die Apollo-Mondlandefähre (LM) "Eagle" kurz nach dem Abdocken von dem Apollo-Raumschiff (CSM)
© NASA / scanning Kipp Teague

14 020 Meter. Armstrong dreht die „Eagle“ so, dass das Landeradar die Mondoberfläche erfasst. Das Triebwerk feuert jetzt mit verminderter Leistung.

12 192 Meter. Das Landeradar nimmt die Arbeit auf. Die Steuerraketen, die die „Eagle“ auf Kurs halten sollen, zünden viel häufiger als jemals zuvor im Simulator.

Der Flug ist unruhiger als erwartet. Die vom Radar übermittelten Daten zur Höhe der Fähre über dem Mond stimmen nicht mit den Berechnungen des Bordcomputers überein.

Armstrong und Aldrin beschließen, dem Computer vorzugeben, dass er die Daten des Radars akzeptieren muss. Sie wollen Houston informieren. Plötzlich heult eine Alarmsirene. „Program alarm!“, funkt Armstrong sofort nach Houston. Aldrin sieht eine Anzeige auf dem Display: „1202“. Das hat er niemals im Simulator erlebt. Was bedeutet 1202? Er glaubt, dass der Computer möglicherweise überlastet ist, doch jetzt ist nicht die Zeit, Handbücher zu wälzen.

In Houston wird es hektisch. Spezialisten überprüfen den Alarm. „We are Go on that alarm“, funkt ein Controller zum Mond. Die Experten haben beschlossen, die Warnmeldung zu ignorieren, solange sie nur sporadisch erscheint.

7620 Meter. Die Bremsrakete drosselt ihre Leistung wie geplant auf halben Schub. Armstrong und Aldrin fühlen sich plötzlich leichter, obwohl sie stehend festgeschnallt sind.

2286 Meter. Die Fähre, die bis jetzt schräg abwärts stürzte, wird vom Computer in die aufrechte Landeposition gesteuert, damit kurz vor dem Aufsetzen Bremsstrahl und die Beine des Landegestells zur Mondoberfläche weisen.

1524 Meter. Mit einer Geschwindigkeit von rund 31 Metern pro Sekunde, knapp 112 km/h, stürzen Armstrong und Aldrin auf den Erdtrabanten zu.

Der Kommandant übernimmt vom Computer kurz die Kontrolle der Brems- und Steuerraketen, um zu testen, ob der Flug manuell ähnlich gut steuerbar ist wie vom Rechner. Armstrong ist mit dem Flugverhalten zufrieden und schaltet die Computerkontrolle wieder ein.

914 Meter. Sinkgeschwindigkeit etwa 21 Meter pro Sekunde. „You are Go for landing“, sagt ein Controller.

„Program alert! 1201“, funkt Aldrin plötzlich. Noch ein Alarm des Computers. „Go!“, antwortet ein Controller.

Armstrong blickt auf das Landegebiet, das noch fast zwei Kilometer entfernt ist. „Es sieht nicht schlecht aus“, meldet er. Immer wieder heult Alarm, ausgelöst vom überlasteten Computer.

305 Meter. Armstrong erkennt Details des Landegebietes: einen Krater von der Größe eines Fußballfeldes, zudem zahllose Felsen, manche groß wie Autos. Für eine Landung viel zu gefährlich.

107 Meter. Armstrong greift ein und übernimmt vom Computer die Steuerung. Er hält die Fähre jetzt auf Höhe und sucht im Horizontalflug dicht über der Mondoberfläche nach einer besseren Landezone. Jetzt kann er sich nicht mehr auf technische Geräte verlassen, sondern allein auf seine Augen.

Aldrin liest unterdessen pausenlos die Messwerte der Computer- und Radaranzeigen ab. Er hat keine Sekunde Zeit, um aus dem Fenster zu blicken, und weiß daher nicht, weshalb der Flug nicht mehr so verläuft wie eigentlich geplant.

Auch in Houston haben die Controller gemerkt, dass Armstrong die Steuerung übernommen hat. Doch niemand kennt den Grund dafür. „Ich glaube, wir sollten jetzt besser still sein“, sagt der Funker dem Leiter der Flugkontrolle.

Armstrong steuert nach links, um großen Felsen auszuweichen. 91 Meter. „Was ist mit dem Treibstoff?“, fragt er.

„Acht Prozent“, antwortet Aldrin. Das ist weniger, als sie jemals zuvor in einer Simulation noch übrig hatten. Sollte der Treibstoff ausgehen, müssten sie die Landung abbrechen und mit dem oberen Teil der „Eagle“ (der mit eigenem Triebwerk und Tank ausgestattet ist) zurück in den Mondorbit fliegen.

„Okay“, sagt Armstrong, „sieht aus wie ein gutes Areal da vorn.“ Er steuert die Fähre weiter. 67 Meter. Doch auch die von ihm angepeilte Region ist voller Hügel. „Ich muss direkt über einen Krater hinweg“, meldet Armstrong. Dann sieht er eine ebene Fläche von etwa 60 Meter Kantenlänge, zwischen Kratern und Felsen. Sein neues Ziel.

„Descent QTY“ leuchtet auf dem Instrumentenpaneel auf: Der Treibstoff schwindet. Den beiden bleiben für das Landemanöver nur noch 70 Sekunden.

31 Meter. Armstrong weiß, dass die „Eagle“ genau senkrecht aufkommen muss, denn schon bei leichten horizontalen Bewegungen könnten die Landestützen brechen. Er will sich an großen Felsen orientieren, um zu sehen, ob die Fähre nun senkrecht absinkt. Doch das Raketentriebwerk wirbelt so viel Staub von der Mondoberfläche auf, dass es vor dem Fenster im Sonnenlicht flimmert.

18 Meter. Ein Controller meldet: „Noch 60 Sekunden Treibstoff.“ Neun Meter. Die „Eagle“ treibt jetzt horizontal rückwärts. Armstrong weiß nicht, weshalb sie taumelt, aber er steuert gegen.

Sechs Meter. Die Fähre driftet nun seitwärts. Die Sicht ist fast null, denn draußen quellen große Staubwolken hoch. „30 Sekunden“, meldet Houston.

Da ruft Aldrin: „Contact light.“

Armstrong betritt als erster Mensch den Mond

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Buzz Aldrin vor der US-Flagge auf der Mondoberfläche
© NASA / scanning Kipp Teague

Eine Lampe auf dem Instrumentenpaneel zeigt an, dass sie die Mondoberfläche erreicht haben. Eigentlich hätten sie aus Sicherheitsgründen das Triebwerk dicht über dem Boden abschalten müssen. Doch nun ist die Landung derart sanft verlaufen, dass ihnen erst die Instrumente verraten, dass sie angekommen sind. Armstrong betätigt den „Engine stop“-Schalter. „Shutdown“, lautet sein erstes Wort vom Mond.

Die beiden Astronauten gehen rasch eine Checkliste durch, dann meldet sich Armstrong: „Houston, this is Tranquillity Base. The eagle has landed.“

„Roger, Tranquillity, wir verstehen euch“, antwortet ein Controller. „Euretwegen sind hier viele Leute blau angelaufen. Jetzt atmen wir wieder. Danke schön.“ Der Treibstoff hätte noch für 20 Sekunden gereicht, sonst hätten sie die Landung abbrechen müssen.

Es ist Sonntag, der 20. Juli 1969, 15.18 Uhr Houston-Zeit.

Um 21.39 Uhr beginnt Armstrong vorsichtig über eine schmale Leiter ins Freie zu steigen. Der Raumanzug, den er sich zuvor in einer stundenlangen Prozedur für diesen ersten Gang ins Unbekannte angelegt hat, schützt ihn wie ein eigenes kleines Raumschiff: Mehrere mit Teflon beschichtete Stofflagen halten den Sauerstoff im Inneren, eine Unterwäschegarnitur mit netzartig verknüpften, von Wasser durchspülten Plastikschläuchen kühlt den Körper, ein Gold visier schützt die Augen vor dem grellen Sonnenlicht, und der Rucksack enthält genügend Sauerstoff für mehrere Stunden.

Auf der Erde wiegt diese Montur mehr als 137 Kilogramm. Hier aber, im schwachen Gravitationsfeld des Mondes, konnte Armstrong sie vorhin beim Anziehen mit einem Arm anheben.

Trotzdem ist der letzte Schritt auf der Leiter gefährlich. Denn da die „Eagle“ viel sanfter als vorausberechnet aufgekommen ist, sind die teleskopartigen Landebeine nicht wie geplant leicht zusammengedrückt worden, sondern stehen aufrecht: Die Leiter endet rund einen Meter über der Mondoberfläche – und Armstrong kann die Beschaffenheit des Untergrunds schwer einschätzen. Nach einigem Zögern wagt er den Sprung.

Es ist 21.56 Uhr in Houston, als er als erster Mensch den Mond betritt.

Ein großer Schritt für die Menschheit

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Am 20. Juli 1969 betritt Armstrong um 21.56 Uhr Houston-Zeit als erster Mensch den Mond. Er und sein Kopilot Aldrin, den er hier fotografiert, sammeln Gesteinsproben, stellen Messgeräte auf – und steigen nach zweieinhalb Stunden zurück in die Landefähre
© NASA / scanning Kipp Teague

„That’s one small step for a man, one giant leap for mankind“, will Armstrong zur Erde melden. Lange hat er über einen Satz nachgesonnen, der dem Ereignis angemessen ist. Bis ihm, dem verschlossenen Piloten, eine der poetischsten Formulierungen eingefallen ist, mit denen je eine Entdeckung vom Entdecker selbst gewürdigt wurde: „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit.“

Armstrongs einziger Fehler besteht darin, dass er in der Aufregung den unbestimmten Artikel „a“ vergisst.

Um 22.15 Uhr folgt Edwin Aldrin. Mühsam pflanzen die beiden die US-Flagge in den Boden, machen Film- und Fotoaufnahmen, sammeln rund 22 Kilogramm Gestein und Staub ein.

Nach zwei Stunden und 31 Minuten steigen sie zurück in die Fähre. Kennedys Vision ist wahr geworden.

21 Stunden und 36 Minuten nach der Landung kehren sie mit dem Oberteil der Landefähre in den Orbit zurück.

Dort dockt das Modul an das Raumschiff an. Aldrin und Armstrong steigen zu Michael Collins ins Cockpit um. Das Modul wird abgesprengt, und die Rückreise zur Erde beginnt.

Auf dem Mond bleiben Messinstrumente, das Landegestell und die Fahne zurück, zudem kiloweise überschüssiger Ballast an Rucksäcken, Überschuhen und leeren Behältern – sowie, im Staub, Schuhabdrücke, die wahrscheinlich Jahrtausende erhalten bleiben werden.

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Bergung im Pazifik: Taucher eines Flugzeugträgers haben einen schwimmenden Ring an der Kapsel befestigt, die – von Fallschirmen gebremst – im Meer aufgeschlagen ist
© NASA / scanning Kipp Teague

Als Armstrong, Aldrin und Collins am 24. Juli 1969 mit der Landekapsel im Pazifik niedergehen, sind sie globale Helden. Sie haben während ihres Fluges mehrmals live zur Erde gesendet, ihre ersten Schritte auf dem Mond wurden von einer Außenkamera am Raumschiff übertragen und zur Erde gesendet. 500 Millionen Menschen haben die Pioniertat auf TV-Geräten in Echtzeit verfolgt.

In der US-Geschichte aber wird der Triumph der Astronauten schnell von anderen Ereignissen überschattet: vom Watergate-Skandal, dem Vietnam-Desaster, vom Ölpreisschock. Auch wissenschaftlich bleibt die Bilanz der Apollo-11-Mission umstritten: Die paar Kilogramm Mondgestein hätten von unbemannten Sonden viel billiger zur Erde gebracht werden können.

So ist die Mondlandung am Ende vor allem die teuerste und, aus Sicht des Westens, wohl erfolgreichste nichtmilitärische Schlacht im Kalten Krieg: die späte Rache für den Sputnik-Schock.

Die Jahre nach der ersten Mondlandung

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Als Armstrong, Aldrin und Collins am 24. Juli 1969 mit der Landekapsel im Pazifik niedergehen, sind sie globale Helden: US-Präsident Richard Nixon grüßt die Raumfahrer durch die Scheibe der mobilen Quarantäne an Bord der U.S.S. Hornet
© NASA / scanning Kipp Teague

In den folgenden zweieinhalb Jahren landen noch fünf weitere Raum schiffe auf dem Erdtrabanten – insgesamt betreten zwölf Astronauten den Mond. Im Dezember 1972 aber stellt die NASA das Apollo-Programm aus Geldmangel ein.

Seither hat kein Mensch mehr den Orbit seines Heimatplaneten verlassen. Keines der heutigen Raumfahrzeuge wäre in der Lage, einen Menschen bis zum Erdtrabanten zu bringen. Die Errichtung einer bemannten Mondstation oder gar die Landung auf dem Mars, die 1969 als nächster Schritt schon greifbar nahe erschien, bleiben Utopie.

Und die drei Astronauten? „Neil, wir haben das Ganze verpasst“, flüsterte Aldrin seinem Kommandanten zu, als die drei Männer in der Quarantäne die Euphorie erlebten, die ihre Reise ausgelöst hat (bereits auf dem Schiff, das sie im Meer in der Nähe des Landepunktes an Bord nahm, begann die 17 Tage andauernde Isolation von der Außenwelt – sie sollte verhindern, dass mögliche Mond-Mikroben die Erde kontaminieren).

Für die drei Männer war stets der Weg die eigentliche Herausforderung, das Ziel Mond hingegen nebensächlich.

Wenig später trennten sich ihre Wege: Michael Collins verfasste mehrere autobiografische Werke und verbringt seine Zeit heute hauptsächlich beim Angeln auf seinem Alterssitz.

Edwin Aldrin stürzte bald in schwere Depressionen und war zeitweise alkoholkrank. Später stieg er zu einem erfolgreichen Manager der Weltraumbranche auf – und ist der Einzige des Trios, der nach wie vor regelmäßig vor größerem Publikum erscheint.

Neil Armstrong, der eine Karriere als Universitätsdozent begann, lebte zurückgezogen in Ohio und äußerte sich nur selten öffentlich. Er starb 2012.

Auch einige spätere Apollo-Astronauten sind inzwischen nicht mehr am Leben. Und sollte nicht eine publicitysüchtige Regierung oder ein wagemutiger Milliardär die ungeheuren Kosten einer neuen Mission aufzubringen bereit sein – was wohl höchst unwahrscheinlich ist –, wird es schon in ein, zwei Jahrzehnten niemanden mehr geben, der mit eigenen Augen die Erde über dem Mond hat aufgehen sehen.

GEO Epoche Nr. 86 - Der Traum vom Fliegen

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