
Rosetta hat ihr Ziel fest im Visier. Hunderte Millionen Kilometer von der Erde entfernt rast die Raumsonde durch die Tiefen des Alls, einem Rendezvous mit einem kohlschwarzen Brocken entgegen. Es ist eine abenteuerliche Mission, zu der die Europäische Weltraumorganisation ESA das Fluggerät bereits 2004 ins All geschossen hat: Rosetta soll sich im Lauf des Frühsommers 2014 an einen Kometen immer weiter annähern, ihn monatelang auf seinem Weg um die Sonne begleiten und in einer verwegenen Aktion sogar einen Landeroboter auf dem Objekt namens 67P/Churyumov-Gerasimenko - benannt nach seinen Entdeckern - absetzen. Nervenkitzel ist garantiert. Und im Erfolgsfall eine Flut neuer Erkenntnisse über Schweifsterne, diese mystischen Besucher vom Rand des Sonnensystems.
Die Astronomen sind im Kometenfieber: 2014 wegen 67P/Churyumov-Gerasimenko, 2013 sorgte C/2012 S1 für Aufregung. Das Objekt war auch unter dem Namen ISON geläufig, da es mit einem Teleskop des International Scientific Optical Network entdeckt worden war.
An ISON knüpften sich große Erwartungen. Der Komet war ein Neuling, einer, der erstmals den Weg ins Innere unseres Planetensystems gefunden hatte. Er kam der Sonne nach den Maßstäben der Astronomen verdammt nahe, bis auf gut eine Million Kilometer. So einen wie ihn hatten Wissenschaftler seit mindestens 200 Jahren nicht mehr gesehen. Und vor allem hatte er das Zeug, zu einer Lichtgestalt am Himmel zu werden, die sogar mit bloßem Auge hätte sichtbar werden können.
Es kam dann zwar anders: Am 28. November 2013, in den Stunden der größten Sonnennähe, zerbröselte ISON. Aber er machte die Kometenforscher trotzdem glücklich. Denn sie hatten alle Teleskope, die sich rekrutieren ließen, auf den ungewöhnlichen Besucher gerichtet und dabei eine Unmenge Daten gewonnen, die sie nun auswerten. 2013 und 2014 könnten Schlüsseljahre für die Kometenforschung werden.

Warum aber üben Kometen überhaupt diese Anziehungskraft aus - auf Experten wie auf Laien? Warum schicken Wissenschaftler ihnen Hunderte Millionen Euro teure Raumschiffe entgegen? Weshalb geben Hobbyastronomen viel Geld für Reisen in den Süden aus, um dem im November notorisch bedeckten Himmel über Deutschland zu entgehen und einen ungetrübten Blick auf ISON zu genießen?

Da ist zum einen die Mystik. Jahrhundertelang glaubten Menschen, Kometen seien mit Schicksalsereignissen verknüpft, seien Vorzeichen von Naturkatastrophen, von Tod oder Aufstieg eines Herrschers. Und ein Rest dieses Aberglaubens mag uns noch in den Köpfen stecken.
Ein Teil ihrer Attraktion liegt vermutlich aber auch darin, dass Kometen so flüchtig sind: In Sonnenferne sind sie leblose, kilometergroße schwarze Brocken. In Sonnennähe aber erwachen sie "zum Leben", zaubern eine bis zu hundert Millionen Kilometer lange Lichtschleppe an den Himmel und verschwinden scheinbar wieder ins Nichts, "sterben" dann. Erstehen aber auch wieder auf, kehren zurück, manche erst nach mehreren Jahrzehnten, sodass wir Menschen nur ein einziges Mal im Leben die Chance haben, sie zu Gesicht zu bekommen. Sie hinterlassen so den schaurig-schönen Geschmack der Vergänglichkeit - auch unserer eigenen.
Kometen sind aber nicht nur spektakulär in ihrer Erscheinung. Wer sie wissenschaftlich untersucht, darf Antworten auf fundamentale Fragen erhoffen: Wie entstand das Sonnensystem? Welche Prozesse liefen in der Staubscheibe ab, die um unsere entstehende Sonne kreiste und aus der sich die Planeten formten? Und vor allem: Wie kam das Leben auf die Erde? Haben womöglich erst die kosmischen Vagabunden die Bausteine dafür auf unseren Planeten gebracht?
Einen gewaltigen Schritt vorwärts kam die Erforschung der Schweifsterne 1986, als es erstmals gelang, einen Blick hinter den gleißenden Lichtvorhang, die sogenannte Koma, zu werfen, in den sich der Kern eines Kometen hüllt. Damals näherten sich zwei sowjetische Vega-Sonden und das europäische Raumfahrzeug Giotto dem berühmten Halleyschen Kometen bis auf weniger als 600 Kilometer: Halley sah aus wie eine runzlige Kartoffel, aus der Staubfontänen hervorschossen. Sein Kern war schwärzer noch als Asphalt. Vom Eis, das die Staubkörner zusammenhielt, war auf der Oberfläche wenig zu sehen. Verrückt, dass ein derartiger eisiger Dreckbrocken eine solche Lichtershow veranstaltete!
Zwar analysierten bereits Instrumente in Vega und Giotto die oft nur billionstel Gramm schweren Staubkörnchen, die der Komet ausspuckte. Doch Astronomen träumten davon, eine Prise Kometenstaub direkt in die Hände zu bekommen. Genau das schaffte die US-Raumfahrtbehörde NASA mit einer Sonde namens Stardust - Sternenstaub. 2004 näherte sich Stardust dem Kometen Wild 2 bis auf 234 Kilometer und klappte einen Staubfänger aus, ein Aluminiumgestell ähnlich einem überdimensionierten Tennisschläger, in dem 132 Blöcke eines Aerogels steckten. Dieses bizarre Material, ultraleicht und dennoch fest, sollte die Staubkörnchen schadlos abbremsen, die mit mehr als 20.000 km/h einschlugen (eine Gewehrkugel fliegt mit etwa 4000 km/h).

Als Stardust 2006 erneut die Erde passierte, löste die Sonde eine Rückkehrkapsel mit den kosmischen Körnern an Bord aus. Die NASA konnte sie in der Wüste von Utah bergen. Noch heute, sieben Jahre später, sind Wissenschaftler damit beschäftigt, die Partikel zu studieren: Sie vermessen sie mit Röntgen- und Infrarotlicht, bombardieren sie mit Ionen, um ihre Zusammensetzung zu analysieren, vielleicht sogar organische Moleküle aufzuspüren.
Schon die ersten Ergebnisse brachten eine Überraschung. Als die Experimentatoren sie auf einer Konferenz drei Monate nach der Landung präsentierten, "konnte man sehen, wie Forschern im Raum die Kinnlade herunterfiel", erinnert sich Don Brownlee von der University of Washington.
Ursprünglich waren Wissenschaftler für die Entstehung der Kometen von folgendem Szenario ausgegangen: Staub und Gas aus dem interstellaren Raum hätten sich zusammengeballt und eine Protosonne geformt, um die eine dichte Staubscheibe zirkulierte. In deren kalten Außenbezirken, isoliert von der Gluthitze des jungen Zentralgestirns, kondensierten Gase wie Kohlendioxid, Wasser, Methan auf Gesteinskörnchen und verklebten sie zu dem, was wir heute Kometen nennen. Die wären demnach quasi Erstgeborene des Planetensystems: In ihnen, so die gängige Auffassung, steckte der Baustoff von Sonne und Planeten, in seiner Urform.
Später, so die bisherige Vorstellung weiter, wurden die eisigen Brocken durch die Gravitationswirkung von Jupiter und Saturn auf zwei große Reservoire verteilt: den Kuiper-Gürtel jenseits der Bahn des Neptun und die Oortsche Wolke, eine Ansammlung von Milliarden Brocken, die sich bis zum schätzungsweise 100 000-Fachen der Entfernung Sonne-Erde ins All hinaus erstreckt. Jene Kometen, die in unser Blickfeld geraten, seien also "Ausgestoßene", solche, die etwa durch eine Kollision aus ihrer Bahn und in Richtung Sonne katapultiert wurden - wo sie nie zuvor gewesen seien.
Bei der Analyse des Gesteinsmaterials von Wild 2 stellte sich nun jedoch heraus, dass Kometen Körner enthalten, die keineswegs mehr so ursprünglich sind wie erwartet, sondern aus der Nähe der Sonne stammen und in deren Hitze verändert entstehenden Stern lief offenbar mehr ab als gedacht, dort wirkten gewaltige Transportprozesse, die Körner und kleine Brocken über Milliarden von Kilometern vom heißen Zentrum in die kalten Sphären bis jenseits des Neptun verfrachteten.
Planetenforscher stehen nun vor der Herausforderung, diese unerwarteten Erkenntnisse in ihre Computerprogramme einzubauen, mit denen sie die Entstehung des Sonnensystems modellieren. Unser Bild von unserer Heimat im All wird sich verändern.

Stardust sammelte indes nicht nur Kometenkörnchen. Sondern die Forscher nutzten die Gelegenheit außerdem, um erstmals auch jenes Material aus dem interstellaren Raum zu erhaschen, das noch heute in unser Sonnensystem hereinweht. Diesen Rohstoff neuer Sterne kannten Astronomen bis dato nur aus indirekten Untersuchungen, bei denen sie das Licht ferner Staubwolken analysierten. Woraus also bilden sich die Sterne?
Stardust klappte dazu, weit entfernt vom Schweifstern, einen zweiten Staubfänger aus. Aber die interstellaren Körner sind äußerst rar. Die Wissenschaftler schätzen, dass sie allenfalls 40 bis 50 erwischt haben. Um das gesamte Aerogel zu durchmustern, galt es, 1,6 Millionen Ausschnitte unter dem Mikroskop zu betrachten. Eine Aufgabe für Sisyphos.
Oder für begeisterte Hobbyastronomen, finden Mitarbeiter der NASA. Mehr als 30.000 Laien lassen sich inzwischen als Heimarbeiter einspannen. Auch mich hat das Kometenfieber gepackt. Wann immer ich nach dem Abendbrot noch Zeit finde, logge ich mich bei "Stardust at Home" ein und begebe mich auf Spurensuche im Computer.
Wissenschaftler von der Universität Berkeley haben die Aerogel-Quader dazu in hauchdünne Scheiben geschnitten, gescannt, und stellen sie für die Prüfung über das Internet bereit. Mit einem virtuellen Mikroskop lassen sich die Scans "durchfahren". Gesucht: die Spur, die ein kosmischer Krümel beim Einschlag im Aerogel erzeugt hat, und der Hauch Materie, der am Ende der Spur sitzt.
Wer zur Gemeinde der "Dusters", der Staubsucher, gehören will, muss zunächst beweisen, dass er Einschlagspuren von Schmutz und Defekten des Aerogels unterscheiden kann. "Die meisten Leute schaffen das nicht", warnen die Forscher. Prompt fiel ich beim ersten Mal durch: Nur sechs von zehn Aufnahmen hatte ich richtig bewertet. Aber beim zweiten Mal klappte es. Und es konnte losgehen.
Um die Aufmerksamkeit der Laien zu schärfen, mischen die Berkeley-Wissenschaftler ab und zu Aufnahmen mit bestätigten Spuren unter die Bilder. Wer sie erkennt, sammelt Punkte und rutscht in einer internen Erfolgstabelle nach oben. Noch bin ich nicht in die offizielle Wertung aufgenommen, da ich zu wenige Aufnahmen begutachtet habe. Aber vielleicht wird ja dennoch eine von mir markierte Spur zu einem interstellaren Teilchen führen. Meine Hoffnung ruht auf Bild Nr. 1880623V1 mit dem schwarzen Klecks in der Mitte und einer störenden Struktur, an deren Rand ich einen verdächtigen Fleck erkenne ...
Aber selbst wenn Profis meine Meldung als "echten" Partikel bestätigen werden, heißt das noch nicht, dass er auch von jenseits unseres Sonnensystems stammt. Das Gros der Einschläge geht laut ersten Analysen zurück auf winzige Splitter von der Rückseite der Solarpaneele der Stardust-Sonde.
Die wohl spannendste Frage für Kosmochemiker und Astrobiologen aber ist: Finden sich Kohlenstoffverbindungen? Moleküle oder Vorläufer von Molekülen, auf denen die Biochemie des Lebens beruht? Auf den interstellaren Partikeln oder im Kometenstaub?
Was die organische Fracht der Kometenkörner angeht: Wenn ich darüber etwas in Erfahrung bringen wolle, sollte ich, so hatte man mir bei der ESA geraten, Jochen Kissel besuchen. Der Physiker war in den vergangenen 30 Jahren an nahezu allen großen Missionen zu einem Schweifstern beteiligt. Mittlerweile 70 Jahre alt, ist er längst im Ruhestand. Aber Kometen treiben ihn nach wie vor um, auch wenn Kissel sich keine wissenschaftlichen Lorbeeren mehr verdienen muss. Einen Höhepunkt seiner Laufbahn sieht er in der Wiederkehr von Halley 1986. Damals flogen Kissels Experimentanordnungen sowohl auf den russischen Vega-Sonden als auch bei Giotto mit. Das Ziel: die Analyse des Staubs mit einem sogenannten Massenspektrometer, das aufprallende Moleküle nach Masse sortiert, sodass die Forscher auf die Art der Substanz rückschließen können.
Und das war die große Überraschung: "Alle Teilchen", sagt Kissel, "waren eine Mixtur aus mineralischen Grundstoffen und organischem Material." Im Staub fanden sich reaktionsfreudige Substanzen, aus denen leicht die Basen der Erbsubstanz DNS hervorgehen können. Und auch Vorläuferstoffe von Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine.
Kissel skizziert ein typisches Kometenstaubteilchen: Ein mineralischer Kern, meist aus Silikat, ist von einem Mantel aus hochkomplexen Molekülen umgeben. Der hat sich aus einfachen Stoffen wie Wasser, Kohlenmonoxid, Ammoniak und Methanol gebildet, die sich in der Weltraumkälte auf dem nackten Gesteinskrümel als Eis niedergeschlagen und miteinander reagiert haben.
Welches Potenzial in den schlichten Zutaten steckt, zeigte sich in Laborversuchen: Kosmochemiker kondensierten die Stoffe annähernd unter Weltraumbedingungen und bestrahlten sie mit ultraviolettem Licht. Es bildete sich ein Netz von Riesenmolekülen, die in flüssigem Wasser zu Aminosäuren zerfielen. 20 verschiedene Eiweißbausteine haben Forscher in solchen Proben bereits nachgewiesen. Und eine Aminosäure, Glycin, konnten sie inzwischen tatsächlich in einem der von Stardust eingefangenen Kometenkrümel identifizieren.

Für Jochen Kissel ist es "nicht von der der Hand zu weisen, dass Kometen die Bausteine für das Leben auf die Erde gebracht haben". Gemeinsam mit dem Chemiker Franz Krueger hat er ein Modell der Urzeugung aus dem Staub der kosmischen Wiedergänger entworfen.
Das Szenario geht wie folgt: Ein Komet zerplatzt in der Erdatmosphäre; dabei stehen die Chancen gut, dass Bruchstücke in einen Ozean fallen. Sobald Wasser in die flockigen Staubteilchen eindringt, kommt die Biochemie in Gang. Aus den organischen Molekülen rund um die Staubkrümel bilden sich komplexe Zucker, Aminosäuren und Nukleinsäuren, die Bauelemente des Erbguts. Fettsäuren formen, ganz von allein, sogenannte Micellen, von einer "Haut" umhüllte Reaktionsräume, in denen sich biochemische Substanzen sammeln können - Voraussetzung für die Entwicklung eines primitiven Stoffwechsels.
Nun wird niemand behaupten, damit sei das Rätsel der Urzeugung gelöst. Die Theorie bleibt eine unter vielen. Doch in jüngerer Zeit finden mehr und mehr Wissenschaftler die Idee attraktiv, dass Kometen sozusagen das biologische Starter-Kit für die Erde geliefert haben könnten. Kissel und Krueger kommen sogar zu dem Fazit, dass die Entstehung des Lebens auf der Erde keineswegs nur Zufall war: "Sobald Kometenstaub hier mit flüssigem Wasser in Berührung kam, erfolgte die Urzeugung quasi zwangsläufig."
Wasser - das musste freilich erst einmal vorhanden sein. Denn im jungen Sonnensystem war unser Planet so heiß, dass alle flüchtigen Stoffe verdampften, auch das Wasser. Was heute die Ozeane füllt, muss also erst später angeliefert worden sein, aus kühleren Regionen. Und hier kommen wieder Kometen ins Spiel, die auf die frühe Erde prasselten. Sie könnten als Wasserträger fungiert haben.
Dafür sprechen Untersuchungen von Wassermolekülen auf der Erde und im Eis der Kometen. In irdischem Wasser kommt auf 6400 "normale" Wasserstoffatome ein einziges Deuterium-Atom (sogenannter Schwerer Wasserstoff). Wasser aus dem All sollte nach dieser Theorie also eine ähnliche Verteilung aufweisen.
Lange Zeit galten Kometen als unwahrscheinliche Kandidaten, da die untersuchten Staubklumpen - sie entstammten alle der Oortschen Wolke - zu viel Deuterium enthielten, um als Quell unserer Ozeane infrage zu kommen. Doch seit Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung 2011 im Kometen Hartley 2 und jüngst in einem weiteren Schweifstern - beide aus dem Kuiper-Gürtel - die beiden Wasserstoffvarianten in einem Verhältnis sehr nahe am irdischen entdeckten, kommen Kometen wieder ernsthaft als Lieferanten der lebensnotwendigen Flüssigkeit in Betracht.
Lebensbringer, Wasserspender - 2014 werden wir ganz sicher mehr erfahren über die Rolle der Kometen in dem Schauspiel, das auf einer Bühne namens Terra aufgeführt wird. 2014 wird die Stunde der europäischen Raumsonde Rosetta schlagen.
Rita Schulz schnappt sich das Modell von Rosettas Ziel und ahmt behände nach, wie der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko durchs All taumelt, eine schwarze, etwas in die Länge gezogene Kartoffel, fünf Kilometer dick. Anders als Giotto und Stardust werde Rosetta nicht nur einfach an dem Schweifstern vorbeifliegen, sagt die quirlige Physikerin, die seit 1996 vom niederländischen Noordwijk aus die ESA-Mission wissenschaftlich leitet. "Die Sonde wird den Kometenkern viele Monate umkreisen. Wir können dadurch sehen, wie sich seine Oberfläche mit der Zeit verändert, können dann erklären, warum da Krater sind: ob an diesen Stellen etwas eingebrochen oder herausgesprengt worden ist." Und von der genauen Vermessung der Oberfläche wird auch abhängen, wo Rosetta das Landevehikel Philae absetzen wird.
Landen auf einem vereisten Staubklumpen? Niemand weiß so recht, wie das Äußere eines Kometenkerns beschaffen ist. Ähnelt es eher einem zugefrorenen See? Oder einem Sandkasten? Wie tragfähig ist der Boden? Einen Anhaltspunkt bieten die Experimente, die Wissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln unternahmen. Sie versuchten, wenn man so will, einen Kometen zu "backen".

Inzwischen nutzt das DLR das Backrezept, um Schüler für die Weltraumforschung zu begeistern. Und ich nutze diese Chance, einen "Schweifstern" aus nächster Nähe zu beobachten - auch wenn es nur einer im Mini-Format ist.
"Kometenbäcker" brauchen: eine Portion des Silikatminerals Olivin, eines feinen beigefarbenen Pulvers; eine Prise Ruß, einen Liter Wasser. Alles gut verrühren. Den Schlamm dann per Druckluft in ein Isoliergefäß mit flüssigem Stickstoff zerstäuben. In der Kälte - mit minus 196 Grad Celsius eisig wie im Weltraum - gefriert das Wasser sofort. Mit dem Löffelsieb lassen sich aus dem Flüssigstickstoff schwarze Flocken fischen, fluffig wie frisch gefallener, schmutziger Schnee.
Nun ab in den Sonnenofen. Wir füllen die lockere, krümelige Masse in eine Rundform, Durchmesser zehn Zentimeter. Die wird, auf minus 50 Grad Celsius gekühlt, in einem zwei Meter langen Tubus platziert, dieser wird luftdicht verschraubt und evakuiert. Ein greller Bühnenscheinwerfer übernimmt die Rolle der Sonne. Wir warten.
Nach zwei Stunden "Backzeit" wird der Substrat-Komet aktiv: Durch ein Sichtfenster können wir beobachten, wie, angetrieben von Gasausbrüchen, Mineralkörner aus der Masse spritzen, wie sich ein Mini-Staubschweif bildet.
Als wir das Objekt aus dem Sonnenofen holen, fällt vor allem auf: Die Oberfläche ist fester geworden, es hat sich eine Staubkruste gebildet. Auch aufgrund solcher Simulationsversuche sind die Forscher zuversichtlich, dass der auf der Erde 100 Kilogramm schwere Landeroboter namens Philae festen Boden unter seinen Stützen finden wird.
Die Landung wird die Ingenieure allerdings vor eine weitere Schwierigkeit stellen: Der Komet hat so wenig Masse, dass er nur eine geringe Schwerkraft ausübt. Philae könnte also abprallen und ins All driften. Beim ersten Kontakt soll der Landeroboter deshalb eine Harpune in den Boden schießen, außerdem sollen sich an den drei Beinen Schrauben in die eisige Kruste drehen.

Derart fixiert, wird Philae sein Forschungsprogramm starten: die Topografie eines Kometen erstmals aus allernächster Nähe fotografieren; das Innere des Kerns mit Radiowellen durchleuchten; Staubkörner an Ort und Stelle analysieren - und vor allem nach organischen Molekülen fahnden.
Besonders gespannt warten Wissenschaftler auf ein Experiment, das zwischen den "links-" und "rechtshändigen" Formen von Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, unterscheiden kann. Denn von Aminosäuren existieren in der Chemie jeweils zwei Varianten, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, oder eben wie rechte und linke Hand. Kurioserweise enthalten Eiweiße in natürlichen Organismen auf der Erde nur die linkshändigen Formen.
Woher rührt dieses Phänomen? Ist die "Linkshändigkeit" womöglich per Kometen auf die Erde gekommen? Liegt darin der Grund, dass Lebewesen in ihrem Stoffwechsel jeweils eine der beiden Varianten bevorzugen?
Aber noch befindet sich Rosetta im Anflug auf 67P/Churyumov-Gerasimenko. Im Januar 2014 holte ein eingebauter Wecker die Sonde aus einem 31 Monate währenden Tiefschlaf, einem Energiesparmodus, in dem alle Systeme bis auf die Heizung heruntergefahren waren. Seither haben Flugtechniker alle Experimente an Bord aktiviert und im Mai Steuertriebwerke gezündet, um Rosetta exakt auf Kometenkurs zu bringen. Im September wird die Sonde in den Orbit um den schwarzen Brocken gehen und im November Philae absetzen. Eine Geduldsprobe für Rita Schulz und ihre Kollegen.
Derzeit laufen die Planungen: Wann darf welcher Forscher sein Experiment anschalten und Daten gewinnen? Wie sieht die beste Umlaufbahn für Rosetta aus? Wie nahe darf die Sonde dem Kometen kommen, ohne Gefahr zu laufen, durch Staubpartikel beschädigt zu werden? Bei einem Unternehmen, das rund eine Milliarde Euro kostet, hat Sicherheit Priorität.
"Es wird jetzt schon ein bisschen hektisch, und wir müssen uns immer wieder zur Ruhe rufen", sagt Rita Schulz. Dann bricht wieder ihre Begeisterung durch: "Das wird fantastisch!"
Das spektakuläre Treffen von Sonde und Komet wird allerdings im Verborgenen ablaufen. 67P/Churyumov-Gerasimenko ist beim Landemanöver 450 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Selbst wenn er sich der Sonne bis auf 186 Millionen Kilometer genähert hat und am hellsten leuchtet, bedarf es eines großen Teleskops, um ihn zu entdecken.
Aber wir dürfen sicher sein: Die ESA wird uns, wenn alles klappt, an ihrem Erfolg teilhaben lassen und uns mit Bildern des Kometen versorgen, Bildern, wie sie noch nie jemand gesehen hat.
Die Homepage der Rosetta-Mission: rosetta.esa.int
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