Corona-Situation auf der Polarstern: Das Forschungsschiff driftet ein Jahr lang mit dem Eis durch das Nordpolarmeer, derzeit auf 85 Grad Nord und 13 Grad Ost, nördlich zwischen Grönland und Spitzbergen. Die aktuelle, internationale Besatzung ist am 27. Januar mit einem Eisbrecher in Tromsø gestartet, Anfang März erreichte sie die Polarstern und ihre Scholle. Einen Corona-Fall gibt es an Bord nicht.
Wie geht es euch da oben?
Wir sind gesund, bekommen immer noch das gute Polarstern-Essen und haben in der Hinsicht keine Sorgen. Mit der Scholle dagegen schon: Durch die schnelle Drift nach Süden sind wir in einen Bereich mit viel Dynamik gekommen: das Meereis fängt an, auseinanderzutreiben oder sich zu meterhohen Presseisrücken aufzuschieben. Für unsere Infrastruktur auf dem Eis ist das eher nicht so gut.
Was gab es heute zum Abendessen?
Kohlrouladen, Rosmarinkartoffeln, Sauerkraut und Kassler.
Wieviel bekommst du von der Epidemie mit?
Corona ist eines der wenigen Dinge, die man hier oben überhaupt von Zuhause mitbekommt. Über Whatsapp schreiben wir ja mit Freunden und Partnern. Nach und nach haben wir realisiert, wie ernst die Lage ist. Zum Beispiel bei unserem Tippspiel, als die Sportveranstaltungen abgesagt wurden. Das konnte ich kaum glauben: Wie, die Bundesliga fällt aus?!
Wie informierst du dich?
Es liegen jeden Tag Nachrichtenblättchen aus, und der Funker stellt die Tagesschau bereit. Aber die Details, wie sich das im Alltag auswirkt, können wir uns wohl nur vorstellen.
Wärst du jetzt lieber woanders?
Einerseits ist es schön, dass wir an unseren Projekten weiterarbeiten können als wäre nichts. Und durch die Abgeschiedenheit sind wir auf eine Art in Sicherheit. Aber man macht sich Gedanken, was zu Hause geht. An manchen Tagen wäre ich lieber dort.
Beeinflusst euch Corona auch direkt?
Wir tappen hier oben etwas im Dunkeln. Eigentlich sollten wir im April zurück. Jetzt weiß ich nicht genau, wann ich nach Hause komme. Die Logistik an Land hat viel zu tun, weil es weniger Flüge und Einreisebeschränkungen gibt. Wahrscheinlich werden wir Ende Mai mit dem schwedischen Eisbrecher Oden ausgetauscht.
Wie gehst du mit dieser Unsicherheit um?
Wir sind nun mal in dieser Situation, da hilft es nicht, in den Panik-Modus zu verfallen. Und tagsüber haben wir so viel zu tun, da tritt das Thema in den Hintergrund. Sorgen mache ich mir eher um meine Freundin, die derzeit alleine die Wohnung hütet, um meine Familie und alle anderen Freunde.
Was macht dir Angst?
Angst habe ich nicht direkt, aber Respekt davor wie es sein wird, von einer persönlichen Ausnahmesituation – dem Arbeiten auf dem Meereis und dem Leben auf einem Schiff – in eine weltweite Ausnahmesituation zu geraten. Wenn es mal nach Hause geht.
Was macht Dir Hoffnung?
Die Erfolgsmeldungen rund um Medikamente und Impfstofftests. Der Mensch ist einfallsreich. Freunde von mir haben zum Beispiel spontan geheiratet und die Party auf eine Videoplattform verlegt. Hat anscheinend prima funktioniert.
Wie, glaubst du, sieht die Welt nach Corona aus?
Allein durch die wirtschaftlichen Folgen wird sich die Welt wohl verändern, andererseits wird vieles zum Business-as-usual zurückkehren. Was ein spannender Teilaspekt ist: Die Erde erlebt derzeit unfreiwillig ein Experiment, weil die Treibhausgasemissionen bestimmt zurückgehen werden. Für uns Forscher ist das total interessant: Wir zeichnen ja weiter Messdaten auf und können den Effekt später nachweisen. Wer weiß, vielleicht hilft das der Klimadiskussion.
Wann hast du das letzte Mal herzhaft gelacht?
Letzte Woche hat ein Kollege mit dem Schneemobil eine Eisskulptur umgefahren, die da schon seit Monaten stand. Abends gab es deshalb einige trockene Sprüche beim Team-Meeting, typische Situationskomik.
Interview: Marlene Göring