Schätzungen zufolge verdauen zwischen 30 und 50 Prozent der Deutschen Fruchtzucker nur schlecht – sie leiden unter dem Fruktose-Malabsorptionssyndrom. Entdeckt wurde diese Unverträglichkeit von zwei schwedischen Medizinern, die auf die Idee gekommen waren, einigen Patienten, die seit Langem an unerklärlichen Schwellungen des Bauches, kolikartigen Schmerzen und Durchfällen litten, eine fruchtzuckerfreie Diät zu verordnen. Da Fruchtzucker (oder Fruktose) vor allem in süßen Früchten vorkommt, sollten die Patienten vorübergehend auf Obst und fruchtzuckerhaltige Produkte verzichten. Und tatsächlich verschwanden die Symptome.
Um dem Geschehen näher auf die Spur zu kommen, verabreichten die Ärzte ihren Probanden nun speziell markierte Fruktose. Mithilfe eines Atemtests konnten sie dann genau feststellen, welche Menge des Stoffes über den Darm in den Körper aufgenommen wurde. Das Ergebnis: Bei den leidgeplagten Patienten gelangte deutlich weniger des speziell markierten Fruchtzuckers in den Blutkreislauf als bei Kontrollpersonen. Die Fruktose wurde offenbar nicht in ausreichendem Maße vom Körper aufgenommen.
Symptome: Wenn zwei Äpfel zu Bauchschmerzen führen
Für etwa die Hälfte der Betroffenen hat die Fruchtzuckerunverträglichkeit (aus noch ungeklärten Gründen) keine spürbaren Folgen; die andere Hälfte aber leidet nach einer fruchtzuckerreichen Mahlzeit unter Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfällen, unter Völlegefühl, Übelkeit oder Magen-Darm-Krämpfen.
Ein Fruktose-Malabsorptionssyndrom liegt vor, wenn die Symptome bereits nach einer Mahlzeit mit weniger als 25 Gramm Fruchtzucker auftreten – das entspricht etwa dem Verzehr von weniger als zwei großen Äpfeln. Ähnliche Mengen an Fruchtzucker sind auch in zwei Gläsern (je 0,2 Liter) Fruchtsaft enthalten. Allerdings können auch Gesunde nur 35 bis 50 Gramm Fruchtzucker pro Mahlzeit aufzunehmen. Essen sie mehr, stellen sich bei ihnen oft die Symptome einer Fruchtzuckerunverträglichkeit ein.
Das wird heutzutage zunehmend zum Problem, da Fruktose immer mehr Lebensmitteln zugesetzt wird. In den USA etwa schnellte der durchschnittliche Fruchtzuckerverbrauch der Menschen binnen 30 Jahren von 0,5 auf 40 Gramm pro Tag in die Höhe. Das begünstigt möglicherweise nicht nur Krankheiten wie das metabolische Syndrom, Fettstoffwechselstörungen, Gicht oder Typ-2-Diabetes, sondern kann in dieser Menge selbst bei jenen Beschwerden verursachen, die normalerweise Fruchtzucker vertragen.
Womöglich ist der zunehmende Konsum fruchtzuckerreicher Lebensmittel gar mit ein Grund dafür, dass heute so viele Menschen über Verdauungsprobleme klagen: Das übergroße Angebot an Fruktose in Fast Food, Smoothies und gesüßten Getränken überfordert oftmals die natürliche Aufnahmekapazität des Darms.
Ursache: Fruktose-Moleküle stauen sich im Dünndarm
Mediziner wissen inzwischen recht genau, was mit zu viel Fruchtzucker im Körper geschieht: Zunächst gelangt die mit dem Essen aufgenommene Fruktose über die Speiseröhre in den Magen und von dort weiter in den Dünndarm. Die Zellen der Darmschleimhaut nehmen dann aus dem Nahrungsbrei jene Stoffe auf, die der Körper benötigt. Dazu bilden sie spezielle Eiweißmoleküle, die auf bestimmte Nahrungsbestandteile spezialisiert sind. Allein für die verschiedenen Zuckersorten gibt es etliche solcher Transporter.
Jene Moleküle aber, die für Fruchtzucker zuständig sind, besitzen nur begrenzte Kapazitäten. Bei einem Menschen, der unter dem Fruktose-Malabsorptionssyndrom leidet, sind diese Transporter schon bei weniger als 25 Gramm Fruktose pro Mahlzeit überlastet.
Die Folge: Nicht aufgenommene Fruktose-Moleküle beginnen sich im Dünndarm zu stauen und werden mit dem Nahrungsbrei weiter vorangeschoben – bis sie den Dickdarm erreichen. Dort verwerten Bakterien den energiereichen Stoff und produzieren dabei Gase, die Blähungen bewirken, oder bestimmte Fettsäuren, die Durchfälle auslösen können – die typischen Beschwerden einer Fruchtzuckerunverträglichkeit.
Neben der angeborenen (primären) Form gibt es noch eine vorübergehende sekundäre: Greifen zum Beispiel entzündliche Krankheiten wie Morbus Crohn oder Zöliakie die Wände des Dünndarms an und schädigen dessen Zellen, kann er Fruktose ebenfalls schlechter aufnehmen – ein Prozess, der umkehrbar ist, wenn die Entzündung nachlässt. Solange die Darmwände jedoch geschädigt sind, zeigen sich die gleichen Symptome wie bei der angeborenen Unverträglichkeit.
Nicht zu verwechseln ist das Leiden mit der sehr seltenen hereditären Fruktoseintoleranz, die nur bei einem von 20 000 Menschen vorkommt: Die Betroffenen können Fruktose ganz normal aufnehmen, jedoch mangelt es ihnen an einem wichtigen Enzym. Dieses Eiweiß spaltet im gesunden Organismus ein erstes Fruktose-
Abbauprodukt weiter auf und verhindert so, dass sich in den Zellen ein Stoff ansammelt,der toxisch auf Leber, Niere und Gehirn wirkt. Ohne die Wirkung des Proteins kommt es zu Schwitzen, Zittern, Schwindel, Übelkeit und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma oder gar Tod.
Diagnose und Therapie
Da die Beschwerden mitunter schon bei geringen Mengen einsetzen, ist es schwierig, allein aufgrund der Symptome auf eine Fruktose-Unverträglichkeit zu schließen – zu sehr ähneln sie denen der Laktoseintoleranz oder des Reizdarmsyndroms.
Ärzte diagnostizieren die Störung daher mithilfe eines H2-Atemtests. Dabei macht man sich zunutze, dass Bakterien im Dickdarm den unverdauten Fruchtzucker zu Wasserstoff (H2) verarbeiten, das über den Blutkreislauf in die Lunge gelangt und ausgeatmet wird. Dazu nimmt der Patient zunächst 25 Gramm in Wasser gelöste Fruktose zu sich. Der Arzt misst anschließend in 30-minütigen Abständen über mehrere Stunden den Wasserstoffgehalt im Atem des Betroffenen – und je mehr Wasserstoff der ausatmet, desto weniger Fruktose verträgt er.
Er sollte seinen Konsum entsprechend reduzieren, damit die Symptome verschwinden. Eine Ernährungsberatung, bei der mithilfe weiterer Tests die individuelle Fruktose-Verträglichkeit ermittelt und in eine langfristige Ernährungsumstellung umgesetzt wird, kann dabei helfen.
Welche Früchte enthalten wie viel Zucker?
Der Patient erfährt dort beispielsweise, dass viele Früchte im Rohzustand zu sechs bis acht Prozent aus Fruktose bestehen – sich die Konzentration aber etwa durch Trocknen erheblich erhöht (und zwar auf bis zu 70 Prozent): Frische Weintrauben sind daher verträglicher als Rosinen. Auch einige Gemüse, darunter Zwiebeln, Möhren, Kürbis und roter Paprika, enthalten größere Mengen Fruktose und sollten nur in Maßen verzehrt werden. Und Honig besteht sogar zu 39 Prozent aus reinem Fruchtzucker.
Ganz auf Fruktose zu verzichten ist dagegen – außer für Menschen mit einer hereditären Fruktose-Intoleranz – nicht ratsam. Denn frisches Obst ist ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung.
Überdies verringert der Darm, wenn er gar keine Fruktose mehr bekommt, die Zahl der Transporter-Moleküle. Die Fruktose-Aufnahme verschlechtert sich in der Folge dann nur noch mehr. Besser ist es, fruktosehaltige Lebens- mittel mit Traubenzucker (Glukose) zu kombinieren. Denn über einen komplizierten biochemischen Mechanismus hängen die Aufnahme von Fruchtzucker und Traubenzucker zusammen: Ist Traubenzucker vorhanden, vermögen die Transport-Fähren der Darmschleimhaut mehr Fruchtzucker aufzunehmen.
Aus diesem Grund wird etwa Haus- haltszucker (Saccharose), der sich aus je einem Traubenzucker- und einem Fruchtzuckermolekül zusammensetzt, in der Regel problemlos vertragen. Auch in einigen Obstarten wie etwa Brombeeren und Himbeeren, Zitrusfrüchten, Honigmelonen sowie Papayas ist von Natur aus ein relativ ausgewogenes Verhältnis zwischen Fruktose und Glukose vorhanden. Sie sind damit besser verträglich als andere Früchte. Meiden sollten Betroffene dagegen den Zuckeraustauschstoff Sorbit, der beispielsweise vielen diabetischen Lebensmitteln, Light-Getränken oder Kaugummis zugesetzt wird. Sorbit bewirkt das Gegenteil von Traubenzucker: Es blockiert die Transport-Fähren, und die Fruktose-Aufnahme verschlechtert sich.
Vor Kurzem entdeckten Forscher, dass eine Fruktose-Unverträglichkeit nicht nur körperliche Beschwerden verursacht, sondern womöglich auch negative Folgen für die Psyche hat: Sie erhöht manchen Studien zufolge offenbar die Neigung zu Depressionen.
Eine mögliche Erklärung: Fruktose, die im Darm verbleibt, geht dort möglicherweise eine Verbindung mit der Aminosäure Tryptophan ein, was deren Aufnahme in den Körper behindert. Aus Tryptophan entsteht im Gehirn der stimmungsaufhellende Botenstoff Serotonin. Ein Grund mehr, Fruchtzucker sparsam zu konsumieren.
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Heinz Hammer, medizinische Universität Graz; Prof. Dr. Torsten Zuberbier, Charité-Universitätsmedizin Berlin