Über Vivian Maier ist nicht viel bekannt. Ihre Mutter war Französin, 1926 wurde sie in New York geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit abwechselnd in der Heimat ihrer Mutter und in New York, wo sie um das Jahr 1950 sesshaft wurde. Ihren Unterhalt verdiente sie als Kindermädchen. 2009 starb sie in Chicago.
Zwei Jahre zuvor, 2007, hatte der Immobilienmakler John Maloof auf einer Auktion für 400 Dollar eine Kiste mit Negativen erworben. Er arbeitete gerade an einem Buch über Architektur in Chicago. Von wem die Fotos stammten, wusste Maloof damals nicht. Auch nicht, dass er eine sensationelle Entdeckung gemacht hatte.
Die Kiste enthielt 30.000 Negative - vor allem Straßenszenen aus dem New York und dem Chicago der 50er und 60er Jahre. Maloof stellte ausgewählte Fotos ins Internet. Schon nach wenigen Tagen konnte er sich vor Anfragen nicht mehr retten. Maloof kaufte weitere Kisten, die bei der Auktion an andere Bieter gegangen waren. Bis heute ist nur ein Bruchteil der insgesamt über 100.000 Negative und Abzüge gescannt, unzählige Filmrollen sind noch nicht entwickelt.
Im Jahr 2009 entschied sich Maloof, nach der Künstlerin zu suchen, um mit ihr über das gewaltige Œuvre zu sprechen. Doch seine Google-Anfrage brachte nur einen Treffer: eine Todesanzeige, vom Vortag. Nun zeigt eine Hamburger Galerie erstmals in Deutschland Fotos der heimlichen Meisterfotografin. Wir sprachen darüber mit der Galeristin Hilaneh von Kories.
Wie sind Sie auf Vivian Maier aufmerksam geworden?
Ich habe einen Artikel in der FAZ über sie gelesen und daraufhin sofort mit dem Entdecker, John Maloof, Kontakt aufgenommen. Er ließ mich fast 1000 Bilder durchsehen, aus denen ich eine Auswahl von 87 Schwarz-Weiß-Fotos für meine Ausstellung getroffen habe.
Was fasziniert sie an dieser Frau?
Es ist zum einen ihre Geschichte. Diese Frau ist wirklich ein Mysterium für mich. Sie hat ihr ganzes Leben lang als Kindermädchen gearbeitet. Nach allem, was wir von ihr wissen, war sie eine Feministin und Sozialistin. Für Kinder war sie so etwas wie eine Mary Poppins, zu den Erwachsenen war sie dagegen eher etwas unhöflich und schroff. Sie hat bei einer ihrer Familien durchgesetzt, dass die Kinder auf dem Wagen des Milchmanns mitfahren durften. Das war in wohlhabenden Familien sicher sehr ungewöhnlich. Ihr Anspruch war wohl, den Kindern die Welt zu zeigen, wie sie ist - und nicht wie sie sein könnte. Das sieht man auch in ihren Bildern.
Warum hat sie ihre Bilder so gehütet?
Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass sie überhaupt kein Privatleben hatte. Bei einer Familie hat sie über zehn Jahre gearbeitet. Und sie soll nie einen privaten Anruf bekommen oder getätigt haben. Ihre Fotos müssen ihr Allerheiligstes gewesen sein. Sie hat nie ein einziges davon veröffentlicht oder auch nur jemandem gezeigt. Alles, was sie an Emotionen hatte, muss sie in ihrer Fotografie ausgedrückt haben.
Ist Vivian Maier eine der ganz großen Fotografinnen?
Ja, eindeutig. Ich finde, sie hat ein ziemlich unbestechliches Auge. Ihre Bilder haben fast durchweg eine hohe Qualität. Sie hat sehr unterschiedliche Themen fotografiert, und da ist nichts inszeniert. Ihre Bilder sind wunderbar komponiert. Und sie haben nichts Modisches an sich. Wir dürfen wirklich gespannt sein. Ihr Werk ist ja noch gar nicht zu Ende entdeckt.
Mit wem würden Sie sie vergleichen?
Ich möchte sie mit niemandem vergleichen. Natürlich erinnern einzelne Bilder an große Street Photographer. Aber sie hat eine ganz eigene Handschrift.