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Puerto Rico Revolte gegen Washington: Der Jayuya-Aufstand

Puerto Rico: Schießerein auf offener Straße: Ende Oktober 1950 stürmen rund 100 Bewaffnete Polizeireviere, Postämter und Behörden in acht puertoricanischen Städten. Knapp 30 Menschen kostet der Aufstand das Leben.
Schießerein auf offener Straße: Ende Oktober 1950 stürmen rund 100 Bewaffnete Polizeireviere, Postämter und Behörden in acht puertoricanischen Städten. Knapp 30 Menschen kostet der Aufstand das Leben.
© mauritius images / TopFoto
Jahrzehntelang beuten die USA Puerto Rico wirtschaftlich aus – und schicken Jagdbomber, als dort im Oktober 1950 ein Aufstand entbrennt

Die Schüsse der Attentäter reißen den US-Präsidenten aus dem Mittagsschlaf. Mit Pistolen bewaffnet, attackieren sie das Gästehaus in Washington, D.C., in das sich Harry S. Truman am 1. November 1950 zurückgezogen hat. Ein Leibwächter bricht tot zusammen, zwei weitere werden verletzt. Die beiden Angreifer wollen den Präsidenten ermorden – und die Unabhängigkeit ihrer Heimat Puerto Rico ­erkämpfen. Denn das Attentat ist Teil eines Aufstands gegen die Vereinigten Staaten, der in diesen Tagen auf dem Eiland tobt.

Puerto Rico ist die viertgrößte Insel der Karibik – und seit 1898 ein „Außengebiet“ der USA. Seine gut zwei Millionen Bewohner sind zwar US-Bürger, doch sie dürfen weder an Präsidentschaftswahlen teilnehmen noch mitbestimmen, wer als Abgeordneter im Kongress in Washington Gesetze erlässt.

Es sind die Spanier, die ­Puerto Rico seinen Namen geben: „reicher Hafen“. Ab 1493 gehört das Eiland zu ihrem Kolonialreich und beschert der Krone phasenweise gewaltige Einnahmen. Zunächst holen Arbeiter und Sklaven Gold aus dem Boden. Später pflanzen sie Tabak, Kaffee, Zuckerrohr in der fruchtbaren Erde der Insel.

Die siegreichen Amerikaner nehmen Puerto Rico ein

Wichtiger noch: Die Spanier kontrollieren einen wichtigen Zugang zum Karibischen Meer, denn Puerto Rico liegt am östlichen Rand der Großen Antillen. So können sie Angriffe der Briten, Franzosen und Niederländer auf ihre lateinamerikanischen Territorien abwehren. Doch 1898 bricht Krieg aus zwischen Spanien und den USA. Die siegreichen Amerikaner nehmen das Eiland ein. „Puerto Rico wird behalten“, ver­kündet die US-Regierung. „Der Besitz der Insel soll dabei helfen, die hohen Kosten des Krieges auszugleichen.“

Zwei Jahre darauf bekommt das Eiland eine zivile Verwaltung und einen von Washington ernannten Gouverneur. 1917 erhält die Bevölkerung zwar die Staats­bürgerschaft, Rede- und Versammlungsfreiheit. Ein vollwertiger Bundesstaat wird die Insel jedoch nicht.

USA verbannen die spanische Sprache aus den Schulen

Auch für die USA ist Puerto Rico von strategischer Bedeutung. Das Eiland liegt günstig zwischen Nord- und Südamerika, hilft als Marinestützpunkt bei der Verteidigung der Atlantikküste. Außerdem dient es als günstiger Zuckerlieferant. Da der Boden hier besonders ertragreich ist, die Löhne aber niedrig sind, lässt sich eine Tonne der süßen Ware auf Puerto Rico zeitweilig um 47 Dollar billiger produzieren als in Louisiana oder Texas.

Bereits kurz nach ihrer Macht­übernahme verbannen die USA für einige Jahre die spanische Sprache aus den Schulen. Ab 1937 lassen die Behörden sogar Hunderttausende Frauen bei der Entbindung zwangssterilisieren, damit die nicht angelsächsische Be­völkerung weniger schnell wächst.

Die Menschen wehren sich, kämpfen mit Streiks gegen die Ausbeutung; sie gründen Gewerkschaften und neue politische Parteien, die in das puerto-ricanische Parlament einziehen. Dessen Einfluss aber ist begrenzt, weil alle wichtigen Entscheidungen in Washington fallen. Ab 1947 dürfen die ­Inselbewohner immerhin den Gouverneur selbst wählen.

Viele wünschen sich mode­rate Reformen. Doch eine kleine, radikale Minderheit militanter Nationalisten will mehr: die Unabhängigkeit, um jeden Preis.

Am 30. Oktober 1950 stürmen rund 100 Bewaffnete Polizeireviere, Postämter und Behörden in acht Städten der Insel. Doch die US-Regierung schlägt mit Härte zurück, schickt Kampf­flugzeuge und Tausende Soldaten. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte bombardieren die USA die eigenen Bürger. Auch die Attentäter in Washington scheitern. Noch bevor sie zu Truman vordringen können, wird einer von ihnen tödlich getroffen, der andere schwer verletzt.

Knapp 30 Menschen kostet der Aufstand das Leben. Die Nationalisten hatten gehofft, zumindest die Aufmerksamkeit des Auslands auf ihre Lage zu lenken – doch internationale Unterstützung bleibt aus. Die Polizei rea­giert mit Massenverhaftungen: Zu Tausenden verurteilen Gerichte auch jene Aktivisten zu langen Gefängnisstrafen, die sich nur für mehr Autonomie eingesetzt hatten.

Am Status der Puerto Ricaner hat sich seitdem kaum etwas geändert. Sie sind bis heute Amerikaner zweiter Klasse. Und fast die Hälfte der Menschen im „reichen Hafen“ der Karibik lebt unterhalb der Armutsgrenze.

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