Der große K ist da. Sir Kenneth Clark. Der Mann, der Leonardo so gut kennt wie kein anderer seiner Zeit. Schon um 1930 ordnete er die Zeichnungen Leonardos im Besitz der britischen Königsfamilie. So überzeugend war sein Katalog, dass der Kunsthistoriker zum Direktor der National Gallery in London befördert wurde. Es genügt in der Kunstszene seither, von K zu sprechen, und jeder weiß, wer gemeint ist.
Man könne, so heißt es, ihm irgendeine Zeichnung, irgendein ein Gemälde der Leonardo-Zeit vor Augen halten, und er wisse sofort, um was es sich handelt. Seine Intuition und seine Expertise sind weit bekannt.
Nun, am 25. Juni 1958, erkennen ihn die Mitarbeiter des Auktionshauses Sotheby’s wohl sofort, als er das Haus in London betritt. Der Kunsthistoriker will die Versteigerung einer privaten Sammlung verfolgen und vielleicht etwas erwerben.
Irgendwann wird Los 40 aufgerufen. Auf der Staffelei steht ein schlecht erhaltenes Gemälde mit einem Christus in Nahansicht. Es soll von dem Leonardo-Schüler Giovanni Antonio Boltraffio stammen oder, wie manche sagen, von einem von dessen Nachfolgern.
Für so etwas hebt ein Sir Kenneth Clark seine Hand nicht. Auch die auf Renaissancekunst spezialisierten Händler im Saal sitzen reglos auf ihren Stühlen. So erhält der Möbelhändler Warren E. Kuntz den Zuschlag. Für nun 45 Pfund erwirbt er den „Salvator Mundi“, den „Christus als Weltenretter“. Religion ist Kuntz wichtig, er will das Bild für seine persönliche Andacht.
Da Vinci ist der Inbegriff des Genies
Dieser Christus ist ein gepflegter, lang gelockter Mann, wie es etliche gibt in der Leonardo-Schule. Er schaut den Betrachter an und segnet ihn mit seiner Rechten. In der anderen Hand trägt er eine schimmernde Glaskugel als Symbol der Welt.
Weder Clark noch Kuntz noch irgendjemand sonst ahnt, das sich die kleine Holztafel zu einer der größten Sensationen in der Geschichte des Kunstmarkts entwickeln wird. Fast 60 Jahre später, am 15. November 2017, fällt im New Yorker Saal von Sotheby’s Erzrivalen Christie’s der Hammer bei 400 Millionen Dollar. Solch einen Preis hat noch kein Bild auf einer Auktion erzielt. Der „Salvator Mundi“ ist nun das teuerste Gemälde der Welt. Denn das Bild, so glaubt man jetzt, stammt von Leonardo persönlich.
500 Jahre nach seinem Tod ist der Mann aus Vinci der Inbegriff des Genies. Kein Maler ist so bekannt wie er, kein Kunstwerk so berühmt wie seine "Mona Lisa".
Der Mann, von dem höchstens 15 Gemälde überliefert sind, steht für Erfindergeist, für einen unerschöpflichen Ideenreichtum, für eine so eindringliche Kunst, wie sie kaum je wieder geschaffen wurde. Und weil seine Werke derart rar sind, steht er nun auch für das große Geld.
Leonardo wird als Künstler und Erfinder vereehrt
Ob Leonardo sich je vorgestellt hat, eines Tages zur Trophäe der Superreichen zu werden? Wohl kaum. An seinem Nachruhm aber war er höchst interessiert. Die Personen, die ein Maler zeigt, würden alle sterben, sagt er einmal, seine Bilder aber blieben in der Welt. Die Menschen noch Jahrhunderte später zu beeindrucken: Das ist eine Aussicht, die ihn lockt.
Sein Liebhaber Salaì mag aus Eigennutz handeln, als er Leonardos Gemälde kurz vor oder nach dem Tod des Meisters am 2. Mai 1519 dem französischen König Franz I. zuschanzt. Doch er sorgt so dafür, dass bedeutende Gemälde, darunter die „Mona Lisa“, die „Anna selbdritt“ und „Johannes der Täufer“, in gute Hände kommen. Sie werden nie verloren gehen und schließlich im französischen Staatsbesitz landen.
Und Leonardos Sekretär Francesco Melzi sortiert alle Schriften des Meisters zur Kunsttheorie. Abschriften der Texte zirkulieren schon bald unter Künstlern; 1651 wird sein „Traktat von der Malerei“ auf Französisch und Italienisch gedruckt und erscheint bald in zahlreichen Auflagen.
Nach der Französischen Revolution, im Zeitalter der Naturwissenschaften, beginnen Gelehrte, sich auch für Leonardos andere Forschungen zu interessieren. Und im späten 19. Jahrhundert wird Leonardo als technischer Erfinder wiederentdeckt.
2019 wird die Tonskulptur als ein Jugendwerk Leonardos präsentiert; tatsäch- lich ist sie aber wohl eine Arbeit aus der Werkstatt seines Lehrers Verrocchio
Zu diesem Zeitpunkt verehren Besucher seine Gemälde bereits. Johann Wolfgang von Goethe hat 1818 in einem euphorischen Essay das Mailänder „Abendmahl“ nördlich der Alpen bekannt gemacht.
Andere Publizisten bekommen es vor Leonardos Kunst mit der Angst zu tun. „Wie ein Schuljunge vor einer Herzogin“ fühlt sich der Autor Théophile Gautier 1858 vor der „Mona Lisa“ im Louvre. Sein Kollege Walter Pater nennt die Porträtierte einen „Vampir“, der um die „Geheimnisse des Grabes“ wisse.
Die "Mona Lisa" wird zum Bild der Bilder
Leonardo wollte auch seinen femininen Gestalten eine Seele und einen eigenen Willen geben – im Zeitalter der anbrechenden Frauenemanzipation wirkt das auf manche männliche Betrachter offenbar eher erschreckend als einladend.
In jedem Fall weckt die „Mona Lisa“ starke Gefühle, und das macht sie bald zum Bild der Bilder. 1911 ist sie so berühmt, dass es sich lohnen könnte, sie zu rauben. Der italienische Anstreicher Vincenzo Perugia versteckt sich am 20. August in einem Wandschrank des Louvre und lässt sich über Nacht einsperren. Der nächste Tag ist ein Montag, da ist das Museum geschlossen.
Perugia wartet, bis der Putztrupp seine Arbeit getan hat, klettert aus dem Schrank und hängt die „Mona Lisa“ ab. Ein Klempner hilft ihm, das Gebäude zu verlassen.
Die Öffentlichkeit ist schockiert, der Raub macht monatelang Schlagzeilen. Von dem Gemälde fehlt jede Spur, die Ermittlungen laufen ins Leere. Selbst Pablo Picasso wird vorübergehend als Hintermann verdächtigt. Ein Betrüger kontaktiert heimlich reiche Sammler, behauptet, er besitze das Original – und verkauft ihnen Kopien.
Nach zwei Jahren bietet Perugia den Uffizien in Florenz das Gemälde zum Kauf an. Er wird gefasst und versucht es nun mit einem Appell an den italienischen Nationalstolz: Er habe das Bild der Lisa del Giocondo in ihre Heimat zurückgebracht. Ins Gefängnis muss er trotzdem. „Mona Lisa“ aber darf durch italienische Museen reisen, bevor sie in den Louvre zurückkehrt. Jetzt kennen auch Menschen, die noch nie ein Museum betreten haben, das Gemälde und seinen Schöpfer.
So viel Erfolg reizt zum Widerspruch. Im Jahr 1919 nimmt der Künstler Marcel Duchamp eine Postkarte des Bildes, zeichnet der Frau mit einem Bleistift einen Bart an und versieht das Stück mit einer Buchstabenfolge, deren französische Aussprache den Satz „Ihr ist es warm am Arsch“ ergibt.
Der Spott verschwindet im Laufe des 20. Jahrhunderts, übrig bleibt nur Hochachtung, ja Verehrung. Andy Warhol erzählt von der Wirkmacht Mona Lisas, als er die Figur 1963 auf seinen Siebdrucken in Serie abbildet. Und als in den 1990er Jahren die Computertechnik das Leben von immer mehr Menschen im Westen zu verändern beginnt, erscheint Leonardo manchem als technischer Visionär.
1994 erwirbt der Software-Pionier Bill Gates eine wichtige Handschrift des Meisters, den „Codex Leicester“; dass Leonardo mit den meisten seiner Erfindungen gescheitert ist, interessiert nun nicht mehr.
Die National Gallery nennt 2011 Leonardo da Vinci als Schöpfer des "Salvator Mundi"
Der November 2011 ist so dunkel, feucht und unwirtlich wie so ziemlich jeder November in London. Trotzdem stehen Tag um Tag Menschen auf dem Trafalgar Square und warten stundenlang; manche übernachten in Schlafsäcken auf dem Platz: Die National Gallery hat gerade eine der seltenen Ausstellungen mit Kunstwerken Leonardo da Vincis eröffnet.
Zu bewundern sind unter anderem beide Versionen seiner „Felsgrottenmadonna“, die „Belle Ferronière“ und der „Heilige Hieronymus“. Wer schließlich ein Ticket für die Schau ergattert hat, sieht auf einen Schlag mehr Gemälde und Zeichnungen Leonardos, als der Meister selbst je gleichzeitig in seiner Werkstatt versammelt hat.
Bei einem Bild aber ist fraglich, ob Leonardo es überhaupt kannte: Zwischen den Originalen des Meisters wendet sich der „Salvator Mundi“ dem Publikum zu, segnet mit der Rechten die Betrachter, zeigt ihnen seine Glaskugel mit der Linken. Apart fallen die Ringellocken über die Schultern. Sein Blick erscheint benommen.
Zum ersten Mal kann eine große Öffentlichkeit die Holztafel in Augenschein nehmen. Nach dem Möbelhändler Kuntz und seiner Gattin ist 2004 auch ihr Neffe verstorben. Dessen Erben fanden offenbar kein renommiertes Auktionshaus, und so ist der „Salvator“ im April 2005 bei einer wenig bekannten Galerie in New Orleans unter den Hammer gekommen.
Dort hat ihn der New Yorker Kunsthändler Robert Simon erstanden, auf gut Glück. Der begeisterungsfähige Mann träumt von einer Entdeckung. In der Hoffnung auf einen großen Fund lässt er das stark beschädigte Werk untersuchen und reparieren.
Die Zuschreibung da Vincis stößt auf Widerstand
Die Restauratorin entdeckt auf dem Gemälde eine Unterzeichnung mit einer leicht anderen Fingerstellung: Der Künstler hat die Segenshand korrigiert. Offenbar war er beim Malen noch auf der Suche nach der richtigen Form, statt eine andere Arbeit zu kopieren. Restauratorin und Händler glauben nun, ein Original vor sich zu haben. Und dessen Schöpfer sei: Leonardo da Vinci.
2008 gelingt es Robert Simon, einige der renommiertesten Leonardo-Forscher in der Londoner National Gallery um das Gemälde zu versammeln. Es erscheint der britische Kunsthistoriker Martin Kemp, ein kultivierter, hagerer Mann, der in seiner extravaganten Eleganz seinem Idol Leonardo da Vinci nicht nachsteht. In Augen vieler Briten führt er das Werk Kenneth Clarks fort, des großen K. Sein Wort ist auf dem Kunstmarkt viele Millionen Dollar wert, und es zählt auch in der Welt der Museen.
Kemp erklärt später, er habe sofort die Aura des Gemäldes gespürt, als er das Labor in der National Gallery betrat. Viele Kopien und Varianten nach Leonardos Werken habe er in seinem Leben gesehen – „dies aber war etwas anderes“. Aus dem Gefühl wird ein Urteil: Kemp und einige Kollegen erkennen das Werk als Original Leonardos an.
Die Fürsprecher glauben, so wie sich der Künstler in der „Mona Lisa“ der irdischen Natur zugewandt habe, so habe er sich im „Salvator Mundi“ dem Kosmos gewidmet, den die Glaskugel in der Hand symbolisiert. Dieser Argumentation folgt die National Gallery. Als Schöpfer des Gemäldes nennt sie im November 2011 auf einer Tafel im Ausstellungssaal neben dem matt blickenden Christus: „Leonardo da Vinci“.
Die Zuschreibung macht Furore – und stößt sofort auf Widerstand. Andere Experten erklären, das Bild sei höchstens eine Arbeit aus Leonardos Werkstatt. Die Berliner Gemäldegalerie lässt durchblicken, sie habe abgelehnt, das Werk zu kaufen – nicht nur wegen des horrenden Preises, den das Händlerkonsortium forderte, sondern vor allem, weil das massiv beschädigte Bild eine „Ruine“ sei, zu schlecht erhalten, um ein Urteil zu fällen. Auch andere Museen winken ab, als ihnen der „Salvator“ nun für dreistellige Millionenbeträge angeboten wird.
Welcher Künstler einst den Pinsel führte, wissen auch Gemäldetechniker nicht
Museumsdirektoren kennen das: Erst erhalten sie Fotos von einem angeblich verkannten Werk eines Meisters zugeschickt, von Leonardo, Michelangelo oder Caravaggio, dann versucht der Anbieter, sie davon zu überzeugen, das Gemälde vor Ort zu betrachten. Und schließlich zu kaufen.
Oft ist es zu dem Zeitpunkt schon von einer Restaurierungswerkstatt aufbereitet worden, zumeist in einer der weniger guten. Wenn sich indessen bereits ein bekannter Kunsthistoriker gefunden hat, der die Zuschreibung stützt, dann feiern Medien weltweit die vermeintliche Entdeckung.
Der allgemeine Enthusiasmus kann Museumskustoden in Versuchung führen, selber als Entdecker in die Kunstgeschichte einzugehen. Zumeist fehlen eindeutige Beweise; wer was gemalt hat, ist dann oft eine Frage der Wahrscheinlichkeiten.
Also müssen die Experten genau hinschauen, Quellen prüfen und fragen: Passt ein Werk zum Stil des Meisters? Lassen sich Lücken in der Herkunftsgeschichte erklären? Und wie schlüssig wirken Befunde der Experten sowie Röntgen- und Infrarotaufnahmen, Pigmentproben, Holzanalysen?
Technische Untersuchungen können klären, welche Untermalungen es gibt und wie alt das Holz ist. Sie geben Auskunft, ob zwei Tafeln vom gleichen Baum stammen und ob eine Pigmentmischung, eine Art des Farbauftrags auch auf anderen Bildern des Malers vorkommen. Wer genau aber in der Werkstatt einst den Pinsel geführt hat, das wissen auch Gemäldetechniker nicht.
Wenn ein Röntgenbild wie beim „Salvator“ zeigt, dass der Maler sich korrigiert hat, so kann das bedeuten: Hier hat der Künstler seine Komposition erst an der Staffelei entwickelt und sie nicht bei einem Kollegen abgemalt. Es kann sich aber auch schlicht um einen Nachfolger handeln, der sich beim Malen vertan hat.
Selbst wenn das Alter eines Bildes mit den Lebensdaten des Künstlers übereinstimmt und auch sein Stil dem des Meisters entspricht, sind neue Zuschreibungen oft nicht zu halten, auch dann nicht, wenn der eine oder andere Kenner sie verteidigt. Denn häufig handelt es sich um Bilder, die Zeit genossen des Künstlers angefertigt haben, um von der Malweise ihres Vorbildes zu lernen. Daher ähneln sie vage Werken des Meisters.
Kaum etwas erinnert beispielsweise bei der „Bella principessa“ an Leonardos Können, einem im Profil gemalten Porträt auf Pergament, das Bianca Sforza zeigen soll, die uneheliche Tochter des Mailänder Herrschers. Und doch hält Martin Kemp, der von der malerischen Qualität überzeugt ist, da Vinci für den Schöpfer des Werkes.
Andere erkennen dagegen die Hand eines Künstlers aus dem 19. Jahrhundert. Leonardo pflegte nicht auf Pergament zu arbeiten, seine Figuren sind nie so süßlich wie diese Frau, und vor allem hat er in seinen Darstellungen junger Frauen schon früh mit der damals in Florenz üblichen Profilansicht von Mädchen gebrochen.
Kemp bleibt daher fast allein mit seiner Einschätzung der Prinzessin. Kein Museum will sie dauerhaft zeigen.
Der „Salvator Mundi“ erreicht Rekordsummen auf dem Kunstmarkt
Der „Salvator Mundi“ hingegen beginnt mit dem Zuspruch des Briten nun eine große Karriere. Die Schau in der National Gallery verhilft dem Werk zum Durchbruch auf dem Kunstmarkt.
In einem von Sotheby’s vermittelten Privatkauf im März 2014 ersteht ein Kunstmakler die Tafel für vermutlich 75 bis 80 Millionen Dollar. Er gibt das Bild binnen weniger Tage für 127,5 Millionen Dollar an einen russischen Oligarchen weiter. Der fühlt sich betrogen, als er von der Preisdifferenz erfährt, es kommt zum Rechtsstreit, am Ende liegt das Gemälde bei Christie’s.
Dort ahnen die Auktionatoren: Da geht noch mehr. Eine Ware, deren Preis innerhalb kürzester Zeit von 80 auf 127,5 Millionen Dollar klettert, hat ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Sie bieten das Gemälde nicht neben anderen Altmeistergemälden, sondern auf einer Auktion für Gegenwartskunst an. Die wird von Milliardären besucht, die sich nur bedingt dafür interessieren, wie viel Farbsubstanz eines Gemäldes nicht aus der Renaissance, sondern von einer Restauratorin stammt.
Bald gilt der "Salvator Mundi" als männliche Mona Lisa
Am 15. November 2017, dem Tag der Versteigerung, stehen hinter einer dunkel vertäfelten Brüstung Mitarbeiter von Christie’s. Wer von außerhalb bieten will, wird telefonisch durchgestellt. Ihre Gesichter sind konzentriert, als „Lot 9 B“ aufgerufen wird – der „Salvator Mundi“.
Das Anfangsgebot liegt bei 70 Millionen Dollar. Dann geht es schnell. 353 Millionen Dollar, 370 Millionen. Nach 19 Minuten fällt der Hammer bei 400 Millionen Dollar, mit Gebühren macht das 450,3 Millionen Dollar für den Käufer. Das Gemälde hat alle Auktionsrekorde gebrochen.
Das Bild, für das der Leonardo-Kenner Kenneth Clark rund 60 Jahre zuvor nicht einmal 45 Pfund ausgeben mochte, gilt nun als männliche Mona Lisa. So jedenfalls müssen es der Käufer aus dem arabischen Raum und sein Unterbieter an diesem Tag sehen. Das Werk soll im Louvre Abu Dhabi aus gestellt werden, einem neuen Museum am Persischen Golf, und vom Glanz und der Finanzkraft der Emirate künden.
Doch so schnell kommt der „Salvator Mundi“ nicht in Abu Dhabi an. Offenbar wird der Christus mit der Glaskugel in der Schweiz zwischengelagert. Und die Diskussion darüber, was an diesem Bild überhaupt echt ist, intensiviert sich noch.
Die Restauratorin muss sich vorwerfen lassen, dass vieles, was in dem Bild an Leonardos weichen Stil erinnert, aus ihrer Hand stammt. Das Wenige, was an alter Farbe erhalten ist, hätte auch ein Werkstattmitarbeiter des Meisters aufgetragen haben können. Vielleicht hat der Maler auf den heute verlorenen Farbpartien einige Pinselstriche hinzugefügt, doch das bleibt reine Spekulation.
Zudem erwähnt keine Quelle aus der Renaissance ein Salvator-Gemälde Leonardos – und das, obwohl der Künstler ab dem Jahr 1500 von Zeitgenossen genau beobachtet wurde, die damals schon klagten, trotz seines immensen Talents male er so wenig. Bekannt ist das Motiv des Weltenretters hingegen aus dem Kreis der Schüler und Nachfolger Leonardos: Sie malten solche Christusfiguren immer wieder.
Was der Meister aus Vinci dagegen geschaffen hat, das geht weit über den „Salvator Mundi“ hinaus. Seine so klugen wie zugewandten Figuren sind weitaus dynamischer als der frontal abgebildete Salvator-Christus mit den versteinerten Zügen.
Junge Frauen wie Cecilia Gallerani, die Belle Ferronière oder die Mona Lisa nehmen Kontakt auf zum Betrachter, locken ihn an, hören ihm zu, versprechen eine Gemeinsamkeit auf Augenhöhe. Und die Jünger des Abendmahls diskutieren miteinander, statt auf Ansagen von Jesus zu warten.
Ein herrischer Segensgestus ist Leonardos Sache gerade nicht. Seine Religiosität ist nicht autoritär, sie lebt vom Respekt vor der Schöpfung in all ihren Spielarten.
Im Jahr 2019 wird Leonardo erneut zum Streitfall
Im Frühjahr 2019, dem Jahr der 500. Wiederkehr seines Todestages, wird Leonardo auch politisch zum Streitfall. Italien und Frankreich zanken längere Zeit dar über, zu wem der Künstler gehört.
Italiens Regierung droht vorübergehend, bereits zugesagte Leihgaben für eine große Leonardo-Schau im Louvre zurückzuhalten, da der Künstler ja Italiener gewesen sei und sein 500. Todesjahr daher eine nationale Angelegenheit. Das Museum in Paris aber besitzt die wichtigsten Leonardo- Gemälde – denn der Meister ist einst ja ausgewandert und in Frankreich gestorben.
Und wieder taucht ein vermeintliches Leonardo-Werk auf. Als im März 2019 in Florenz eine Ausstellung über seinen Lehrer Andrea del Verrocchio eröffnet wird, präsentieren die Kuratoren eine Madonnenskulptur aus Ton als ein noch nicht bekanntes Jugendwerk Leonardos. Das Lächeln der Maria erinnert sie an dessen Frauenbilder, auch das lebendig modulierte Kind scheint ihnen mit den Jesusknaben des Mannes aus Vinci verwandt.
Nur: Wie lässt sich das beweisen, wenn doch aus seiner Hand keine einzige Skulptur zum Vergleich überliefert ist? Naheliegender ist, dass Leonardo Impulse aus der Werkstatt Verrocchios in seiner Malerei aufgegriffen (und seinerseits die Arbeiten der Kollegen beeinflusst) hat.
Daher wird es immer Arbeiten aus der Renaissance geben, die denen des Meisters ähneln, aber nicht seine eigenen sind. Er war kein Solitär, kein einsames Genie, sondern ein sensibler, nachdenklicher und aufmerksamer Mann, der ebenso wie seine Gestalten vom Austausch mit anderen lebte.
Verliebt machen wollte er die Betrachter in seine schönen Figuren. Das ist ihm bis heute gelungen. Denn mit ihrer besonderen Freiheit der Bewegung, des Gemüts und der Gedanken zeigen der Nachwelt, wie es sich im Einklang mit der Natur und den Menschen leben lässt. Und das, was sie vermitteln, ist unbezahlbar.