
„A very good morning to you“, wünscht der sommersprossige Steward beim Anleger an der Blackfriars Bridge. Niemand schiebt, keiner drängelt: Morgens mit dem Rad im Berufsverkehr an Bord zu gehen ist eine entspannte Freude. Mit Tee im Pappbecher lasse ich die Sehenswürdigkeiten passieren. An Big Ben gleite ich vorbei, das Hightech-Riesenrad London Eye blitzt auf, und die Themse? Sie ist im Zentrum Londons ein fast reißender Strom. Mein Ziel ist der Vorort Richmond, von dem der berühmte Tierfilmer David Attenborough als dem schönsten Ort der Welt schwärmte, „mit weitem Abstand“. Allerdings können sich nur Reiche die eleganten Villen leisten. Flussaufwärts geht es in rund 40 Minuten bis Putney Bridge, vorbei an Investitionsobjekten wie der Battersea Power Station, einem Ex-Kohlekraftwerk. Gleich hinter Putney, wo ich von Bord gehe, führt der ausgeschilderte, autofreie „Thames Path“ am Südufer entlang. „Watch the floods!“, ruft der Steward mir noch vom Pier aus hinterher, „hüte dich vor Überschwemmungen!“

Heckenrosenduft liegt in der Luft, ich radle im Nieselregen an blühendem Jasmin vorbei. Die Themse ist viel zahmer hier als weiter östlich, mäandert aufs lieblichste durch eine Auenlandschaft. Weil am Nordufer der schmiedeeisernen Hammersmith Bridge ein hübscher Pub auftaucht, schiebe ich das Rad über dieses Wunder aus Gold und Schilfgrün von 1887. In den Verstrebungen ist eine Bank eingelassen. Als ich eine Tasse Tee später aus dem Halbdunkel des „Blue Anchor“ trete, strahlt die Sonne. Auf das britische Wetter ist auch kein Verlass mehr. Die Flusslandschaft erinnert an englische Landschaftsgemälde aus dem 17. Jahrhundert – würden nicht Rudertrainer per Megaphon ihre Combos instruieren. Ich nähere mich den Ausläufern eines der berühmtesten botanischen Gärten der Welt: Kew Gardens mit den überquellenden Gewächshäusern.
Rund 22 000 Menschen wohnen heute in Richmond
Auf einer weiten Wiese präsentiert sich bald darauf wie hinmodelliert das imposante Syon Park House, seit 1594 in Familienbesitz. Kurz setze ich mich auf eine Holzbank mit der Inschrift: „For Geoffrey and his dog Moet“ des wohl champagnerverliebten Stifters. An der Schleuse von Richmond versperrt ein Wandertrupp den Weg, ältere Damen, die aus der Zeit gefallene Handtaschen tragen. „Lovely weather, isn’t it?“, schallt es mir entgegen. Miss Sophie gibt mir Tipps für Richmond mit auf den Weg. Rund 22 000 Menschen wohnen in dem dörflichen Vorort, der bis ins 17. Jahrhundert den prachtvollen Richmond Palace besaß, von dem nur noch das Pförtnerhaus steht, aber schließlich gibt es ja ein paar Kilometer weiter das Barockschloss Hampton Court.

Auch die herrschaftliche Uferpromenade ist bestens erhalten. Am Rande der steinernen Brücke, in den „Bridge Boat Houses“ voller Boote und Werkzeuge, duftet es würzig nach Holz. Hier tüfteln einige der besten britischen Restaurateure. Samson, ein Auszubildender, schleift gerade einen Kahn aus Sperrholz ab. Hier können sich Besucher Boote leihen und etwa zu den Kew Gardens paddeln und sich samstags ein Picknick vom Farmers’ Market am nahen Heron Square mitnehmen. Miss Sophie hatte mir zum Lunchen „The White Cross“ auf der Promenade empfohlen. Jetzt verstehe ich auch die Warnung vor den floods. Der Themse-Pegel steigt rasant, das Wasser tritt über die Ufer.

Gerade erreiche ich noch trockenen Fußes den Pub. Zwar gibt es einen bei Flut benutzbaren Seitenausgang, aber mein Rad steht unter Wasser, und die Fish & Chips schmecken fantastisch. Also lasse ich mir Zeit, setze mich mit einem herben Cider ans Kaminfeuer und betrachte die gleichfalls träge Themse. Zurückradeln muss ich nicht, der Zug bringt mich in 35 Minuten zur Waterloo Station. Und ich kann vorher noch den riesigen Richmond Park mit seinen frei laufenden Hirschen durchstreifen.