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Es ist etwas vier Uhr nachmittags, als Marie-Laures konzentrierte Suche nach der Frische in die entscheidende Phase tritt. Seit etwa einer Stunde tröpfelt die junge Frau mit einer Pipette gelbe, braune, grüne Flüssigkeiten auf Papierstreifen. Diese fächert sie durch die Luft, schnuppert, rümpft die Nase, schnuppert wieder. Nickt. Schüttelt den Kopf.
Fächern und schnuppern
"Das ist es noch nicht", sagt sie. "Es riecht zu sehr nach Zeder". Wieder taucht sie den Glasstab in ein Döschen, und er saugt sich voll. Marie- Laure lässt ein paar Tropfen auf einen neuen Streifen fallen und atmet tief ein. "Oh nein, jetzt ist zu viel Mandarine dran", seufzt sie, "ich brauche etwas Frisches." Von hinten greift ein Mann mit einem Kinnbart und in weißem Kittel nach Marie- Laures Papierstreifen. Nicolas de Barry schließt die Augen, saugt den Geruch ein und sagt: "Du brauchst einen Tropfen Limonengras." Pause. Fächern. Schnuppern.
"Und noch zwei Tropfen Basilikum." Nicolas de Barry, 58, ist Parfümeur und lebt auf einem Schloss: im Château de Frileuse im Loiretal. Sein Handwerk besteht darin, Gerüche so lange zu mischen, zu verstärken und zu komponieren, bis sie im Zusammenspiel einen Duft ergeben, der perfekt zu Aussehen und Ausstrahlung passt. Individuelle Parfüms sind seine Spezialität. Er mischt sie aus über tausend Ölen, abgefüllt in kleine Flakons, die er auf Regalen und in Schränken bereithält. Für mehr als 100 Kunden hat er einen persönlichen Duft geschaffen. Ihre Namen behält der Parfümeur diskret für sich.
Akkorde und Harmonien
Zahlungskräftig ist seine Klientel: Ein Duft von de Barry schlägt mit rund 5000 Euro zu Buche. Dafür garantiert der Parfümeur auch, dass niemand das Rezept der Mischung erfährt: "Denn ein Duft ist etwas sehr Intimes. Ein Parfüm verrät mehr über einen Menschen als Kleidung, Frisur und Make-up zusammen." Einmal im Monat gibt Nicolas de Barry einige seiner Geheimnisse für kleineres Geld preis. In Wochenend-Workshops können Parfümliebhaber lernen, wie man Badesalze kreiert, Massageöle mixt und den persönlichen Duft findet und herstellt.
Marie-Laure, 23, ist mit ihrer Mutter Danielle angereist, die zum roten Haar eine grüne Lederweste trägt. Die beiden planen, einen Beauty-Salon in Luxemburg zu eröffnen. Die Mutter wird für die Gesichtsbehandlungen zuständig sein, die Tochter für Maniküren, Pediküren, Massagen, Packungen. Der persönliche Duft ist Teil der Geschäftsidee, wird dem Spa eine "persönliche Note" geben. Bevor sie und ein halbes Dutzend weitere Teilnehmer damit begonnen haben, Öle zu mischen, hat Nicolas de Barry sie in die Theorie des Duftherstellens eingewiesen: Im ehemaligen Weinkeller des Châteaus, wo der Meister seine Batterien von Flakons, Döschen und Gläsern aufbewahrt, lauscht das Grüppchen seinem Vortrag - scheinbar über Musik: "Wir nehmen einzelne Noten, stellen damit Akkorde und Harmonien her, um später zu einer Gesamtkomposition zu gelangen."
Stirnrunzeln bei einigen Schülern: Wieso geht es immer nur um Töne? "Jedes gute Parfüm", erläutert de Barry, "besteht aus Kopf-, Herz- und Basisnoten." "Wenn man einen Duft aufträgt, kommen zunächst die frischen Kopfnoten zum Tragen. Im Lauf der Zeit treten die schweren Basisnoten in den Vordergrund", sagt er. Die Gruppe nickt, aber als de Barry einen Papierstreifen zum Probeschnüffeln herumreicht, zucken einige erschrocken zusammen.
Der Geruch von George Sand
"Bäh, was ist das denn?", fragt Marie-Laure. "Civette, ein Sekret aus den Drüsen der asiatischen Zibetkatze", sagt er. Erst als de Barry verrät, dass die meisten Parfüms der Marke "Guerlain" eine leichte Civette-Note haben, entspannen sich die Mienen. Dann lässt er an zwei weiteren Kostbarkeiten riechen: Moschus, dem Drüsensekret des ostasiatischen Moschushirschs, und an Amber, einer Substanz, die im Darm von Pottwalen entsteht und seit dem Altertum Grundstoff für Parfüms ist. Auch von der teuersten Zutat hat de Barry ein Döschen in den Tiefen der Schränke: 20 000 Euro kostet ein Liter des bräunlichen Adlerholz-Öls. "Wenn ihr das ins Parfüm mischt, bin ich pleite", warnt er.
Dann reicht er eine Flasche seiner Eigenkreation herum. "Historisches Parfüm von George Sand" steht auf dem Etikett. Die französische Schriftstellerin ist zwar seit 130 Jahren tot, doch ihren Duft hat de Barry wiederbelebt. "Ich habe die Korrespondenz mit ihrem Parfümeur studiert und Reste aus dem Flakon analysiert, den sie um den Hals trug." Entstanden ist ein schweres Parfüm mit süßlicher Note, eine Mixtur aus Patschuli und Rosen. "Sehr altmodisch", findet Marie-Laure.
Wie sehr sich die Vorlieben für Düfte und Gerüche im Lauf der Jahrhunderte verändert haben, kann man im Château de Chamerolles erschnuppern, etwa eine Autostunde von de Barrys Labor entfernt. Die Zimmer dort sind in unterschiedlichen Stilen eingerichtet. Vor jeder Tür steht ein Apparat, aus dem auf Knopfdruck der dazugehörige typische Duft entströmt. So betörte im 16. Jahrhundert vor allem der leicht-liebliche Lavendel die Sinne. 100 Jahre später übertünchte man die Körpergerüche mit schweren tierischen Noten wie Amber, Civette oder Moschus. Limonengras und Basilikum. Marie- Laure hat den Tipp de Barrys beherzigt. Sie schnuppert und nickt zufrieden: Die Komposition ihres Duftes macht Fortschritte. Um den Teilnehmern die Auswahl zu erleichtern, hat de Barry anfangs drei Öle als Basis angeboten: Moschus, Farnkraut und Zypressenholz, dazu mehrere Dutzend frische, holzige und süße Noten.
Bereits die Wahl der Grundstoffe verrät einiges über die Person. Marie-Laure fühlt sich zum Beispiel bei Limettenöl an einen Cocktailabend auf Caipirinha-Basis erinnert: "So will ich auf gar keinen Fall riechen." Alexandra entscheidet sich für Farnkraut als Grundlage, weil sie gern "etwas Grünes" kreieren möchte. Lygie lehnt Zitronenöl kategorisch ab, wegen des "Klogeruchs". Danielle glaubt im Süßgras eine verflossene Jugendliebe wiederzuerkennen. Und Dominique entdeckt seine Leidenschaft für Bitterorange.
Mandarine oder Orange?
De Barry geht von einem zum anderen, schnuppert, berät, gibt Ratschläge und spart auch nicht mit Kritik: "Ihre Mischung ist ein bisschen banal, finden Sie nicht?" Stéphane nickt bekümmert und tauscht einen Limettenpapierstreifen gegen einen mit Bergamotte. In dem Kellergewölbe sind für Laien die Gerüche mittlerweile kaum noch auseinanderzuhalten. Es kribbelt in der Nase, und der feine Unterschied zwischen Mandarine und Orange verschwimmt. "Kurze Pause", verkündet de Barry. "Geht im Park spazieren, neutralisiert die Nasen." Entlang des Flusses erhebt sich ein Schloss neben dem anderen: Amboise, Blois und Chambord, die berühmtesten, dazu Burgen in Chenonceau, Chinon und Chaumont-sur-Loire. Während des Hundertjährigen Krieges im 14. und 15. Jahrhundert bildete die Loire eine Grenze zwischen den englischen besetzten Gebieten und dem französischen Kernland. Die Festungen dienten als Bollwerke gegen die Engländer. Nach dem Krieg wurden sie militärisch nutzlos und verfielen. Während der Renaissance entdeckte der Adel das Loiretal und baute repräsentative Residenzen auf den alten Fundamenten.
Vor einigen Jahren hat sich in der Region auch der Duftadel niedergelassen. Im "Cosmetic Valley" sitzen nahezu alle großen französischen Marken, darunter Guerlain, Christian Dior und Hermès. Längst hat die Loire-Region dem südfranzösischen Grasse den Rang abgelaufen. Im Park des Château de Frileuse laden Hängematten zum Schaukeln ein, auf der Wiese stehen Liegestühle in der Sonne, und wer die schmale Allee ein Stück entlangspaziert, gelangt zum Wald mit Joggingstrecken und Radwegen. Im Schloss gibt es Leihräder. Doch dafür ist keine Zeit. Nach zehn Minuten bittet de Barry ins Labor: "Nun mischen wir die finale Version." Auf dem Holztisch hat jeder ein Fläschchen mit reinem Alkohol stehen. "Ein toller Geruch bringt nichts, solange er nur auf Papierstäbchen existiert", doziert der Meister. Erst wenn die Öle sich in Alkohol lösen, entsteht das Parfüm. Dazu haben sich die Teilnehmer sorgfältig notiert, welche Öle sie auf die Papierstreifen getröpfelt haben und in welcher Menge. Die Zutaten ziehen sie nun mit Pipetten aus den Flakons und lösen sie in Alkohol.
Ein paar Stunden später, als alle ihre Fläschchen fest verschraubt im Koffer verstaut haben, lädt der Parfümeur zu einem besonderen Abendessen. "Düfte kann man nicht nur auf der Haut tragen", hatte er am Nachmittag versprochen und war in die Schlossküche verschwunden. Er serviert Hasen in Pfeffersauce, aromatisiert mit Rosenöl, und als Dessert Pannacotta mit einem Hauch Jasminduft. Beim Dinner beantwortet er bereitwillig Fragen seiner Schüler. "Monsieur de Barry, welches Parfüm benutzen Sie eigentlich?" "Ich trage fast nie Parfüm", sagt er. "Und wenn, dann hat es meine Frau ausgesucht."
Info
A N R E I S E
Flug: Nach Paris fliegen Air France, Lufthansa, Air Berlin und dba von fast allen deutschen Städten; Germanwings ab Stuttgart und Köln, Easyjet ab Berlin und Dortmund.
Auto: Von Paris über Orléans nach Blois, später Richtung Montrichard. Am Kreisel vor Les Montils Richtung Amboise abbiegen. Nach etwa 1,5 Kilometern weist ein Schild zum Schloss. Bahn: Der Zug von Paris nach Blois braucht ca. 2 Stunden. Abfahrt vom Gare d’Austerlitz.
D E R P A R F Ü M-W O R K S H O P
Anreise ist am Freitagabend, Ende am Sonntag gegen 18 Uhr. Sprache: Französisch oder Englisch, bei der Anmeldung angeben. Im Preis für das Seminar enthalten sind wahlweise eine Weinprobe bei einem benachbarten Winzer oder der Besuch in den Gärten von Chaumont-sur- Loire; gemeinsame Herstellung eines Badesalzes; Drei-Gänge-Menü mit Parfüms; ein kleiner Flakon mit dem eigenen Parfüm sowie Übernachtung, Frühstück, Abendessen (Samstag), Wein. 390 Euro p. P., EZ 150 Euro Aufpreis. Workshop-Termine für 2007 auf der Website. Nicolas de Barry vermietet auch außerhalb der Termine Zimmer, die im Stil des 19. Jahrhunderts eingerichtet sind. Les Montils, Tel. 0033-2-54 44 19 59, http://www.chateau-de-frileuse.com/en/page1.htm ; EZ/F 85 Euro, DZ/F 120 bis 180 Euro
Ü B E R N AC H T E N
I N
D E R
U M G E B U N G
Hôtel de l’Abbaye: Ehemaliges Kloster zwischen Orléans und Blois mit historischem Charme: breites Holztreppenhaus, Kronleuchter, behagliche Betten, Aperitif vor dem Kamin. Fast alle Zimmer haben Blick auf die Loire. Beaugency, 2 Quai de l’Abbaye, Tel. 0033-2-38 44 67 35, www.hotel-abbayebeaugency.com; DZ ab 108 Euro
Hôtel d’Arc: Im Zentrum von Orléans, mit schönem, altem Aufzug. Ideal für einen Zwischenstopp auf der Anreise zum Workshop. Orléans, 37 ter Rue de la République, Tel. 0033-2-38 53 10 94, www.hoteldarc.fr; DZ 93 bis 119 Euro
E S S E N
U N D
T R I N K E N
I N
D E R
U M G E B U N G
Restaurant Le Lancelot: Nur drei Kilometer vom Château de Chamerolles entfernt, mit vorzüglicher Küche zu moderaten Preisen. Chilleurs- aux-Bois, 12 Rue des Déportés; So/Mi abends und Mo geschl.; Tel. 0033-2-38 32 91 15, www.restaurant-le-lancelot.com
U N T E R N E H ME N : A U F D E N S P U R E N D E R D Ü F T E
Château de Chamerolles: Schloss mit Duftzimmern verschiedener Epochen. Chilleurs-aux- Bois, Tel. 0033-2-38 39 84 66; Di geschl.
Rosengarten von André Eve: In dem Garten blühen über 650 Rosenvarianten, darunter viele alte und seltene Sorten. Beste Zeit ist von Mai bis September. Les Roses Anciennes André Eve, Pithiviers-le-Vieil, Tel. 0033-2-38 30 01 30, www.roses-anciennes-eve.com
A U S KU N F T
Maison de la France, Zeppelinallee 37, 60325 Frankfurt/M., Tel. 0900-1-57 00 25 (49 ct/Min.), http://de.franceguide.com; www.tourismeloiret.com