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Es war früher Morgen, als ich zu meiner Reise aufbrach, der Pilot wartete schon an der Startbahn. In einem kleinen Buschflugzeug stiegen wir über Pemba in die Höhe - trotz seiner 100 000 Einwohner eigentlich keine Stadt, sondern eine endlose Ansammlung von Hütten auf einer Landzunge am Meer. Fast zwei Stunden flogen wir gen Westen, und anfangs konnte ich unter uns noch einige Dörfer ausmachen. Dann schien plötzlich alles Leben zu enden; da waren nur noch verbrannte Erde und schwarze Bäume ohne Laub, die scharfe Schatten auf den Boden warfen.
Paviane gucken wir alte Männer
Ausgetrocknete, sandige Flussläufe durchschnitten die Ebene, nackte Bergketten säumten den Horizont. Wegen des Motorenlärms sprachen der Pilot und ich kein einziges Wort, und das war mir recht, weil der Ausblick ohnehin sprachlos machte. In diesem verdorrten Land kann nichts existieren, dachte ich, kein Mensch, kein Tier. Ich war im Irrtum.
Schon an diesem ersten Nachmittag im Busch sind mir Antilopen und Gnus begegnet, Warzenschweine und Hyänen. Ich habe Vogelkolonien in den Bäumen gesehen, drei Meter hohe Termitenhügel und eine Gruppe Paviane, die beschäftigungslos und mürrisch wie alte Männer dasaßen. Und noch jetzt klingt mir leise ein sanftes, beständiges Rauschen in den Ohren, wie eine Meeresbrise, die durchs Schilf weht: Das Geräusch einer Elefantenherde, die unerwartet bedächtig durch das hüfthohe Gras schritt. Nun sitze ich im Abendlicht am Ufer des Rio Lugenda und lausche dem trägen Schnauben der Flusspferde im Wasser, das sich vermischt mit dem Singen der Zikaden. Tag eins meiner Reise durch Mosambik, ein Land, von dem ich wenig weiß, neigt sich dem Ende zu.
Diese erste Etappe hat mich in das Niassa-Reservat ganz im Norden des Landes geführt, das Ziel der zweiten wird der Quirimbas- Archipel sein, eine Inselgruppe vor der Küste. Niassa sei eines der letzten Geheimnisse Afrikas, sagt Steven Turner-Smith, ein weißer Südafrikaner, der "Field Guide" und Leiter eines neueröffneten Buschcamps im Reservat.
Er ist mit mir und den anderen Gästen an diesem Nachmittag zur Safari aufgebrochen, jetzt breitet er hier mitten im Busch eine karierte Tischdecke über die Motorhaube seines Jeeps und serviert Sundowner: Gin Tonic und afrikanisches Bier.
"Während des Bürgerkriegs hat sich niemand für das Gebiet interessiert", sagt er. "Erst vor kurzem ist der Regierung klargeworden, welchen Schatz sie in Händen hält: ein unentdecktes Land mit tausenden von Wildtieren." Zweimal so groß wie der Krüger-Nationalpark im benachbarten Südafrika ist das Niassa-Reservat, mit einem Bestand von 12 000 Elefanten, ebenso vielen Rappenantilopen und 370 verschiedenen Vogelarten.
Auf der Fahrt zurück ins Camp teile ich mir eine Sitzbank mit John Matterson, einem munteren Rentner aus Südafrika, der vor allem wegen dieses Vogelreichtums hierher nach Mosambik gereist ist. Wo ich nur Astwerk sehe, sieht er Gefieder. "Ein Hammerkopf", flüstert er andächtig und zeigt auf einen braunen Punkt im braunen Gras. Auf einen klagenden Ruf über uns in den Bäumen antwortet er, die sehnigen Hände vor dem Mund gefaltet, mit einer nicht weniger wehmütigen Imitation. "Der schwarze Trompeter-Hornvogel", verkündet er. "Touristen, die auf Safaris immer nur Löwen und Leoparden sehen wollen, wissen gar nicht, was ihnen alles entgeht", findet John.
Er kennt Mosambik noch von früher. Nicht den nördlichen Teil, wo wir uns aufhalten, sondern den Süden. Der hatte einst einen legendären Ruf als Urlaubsparadies - damals, als das Land noch eine Kolonie Portugals war, vor dem blutigen Bürgerkrieg, der auf die Unabhängigkeit folgte. Die Hauptstadt Maputo galt als eine der aufregendsten Städte Afrikas. Südafrikas Weiße liebten sie, weil sie so viel lebendiger, verruchter, sündiger war als die bibelfesten, puritanischen Städte im Apartheidsland der Buren. "Hier oben bin ich aber zum ersten Mal", sagt John. "Dieser Teil des Landes wird erst jetzt entdeckt."
Das Schnarchen der Elefanten
Unser Buschcamp liegt ein Stück flussaufwärts am Lugenda unter hohen Feigenbäumen, am Fuße der Ngalongue-Berge. Vier großzügige, luxuriöse Zelte auf steinernen Fundamenten gruppieren sich um einen offenen Holzbau, der als Bar und Speiseraum dient. Am Swimmingpool blickt man wie von einer Tribüne auf das gigantische Flussbett, einen gut 800 Meter breiten, tiefen Graben, in dem jetzt zur Trockenzeit nur ein dünnes Rinnsal fließt. Ab Februar, wenn der Regen am stärksten ist, schwillt der Lugenda auf seine ganze Breite an, dann tritt er vielleicht sogar über die Ufer. Ich schlafe nicht sehr gut in dieser Nacht. Reife Feigen fallen im Minutentakt von den Ästen auf mein Zeltdach, und die geheimnisvollem Melodien des Buschs halten mich wach. Als ich unserem Campleiter Steven beim Frühstück am großen Mahagonitisch das unheimlichste der vielen Geräusche vormache - es klang wie das Knurren eines hungrigen Löwen, der neben meiner Zeltwand auf der Lauer lag - muss er lachen. "Wenn es wirklich ein Löwe gewesen wäre, hätten dich die Schreie der Affen gewarnt."
Nein, sagt er. Aber es gebe hier einen jungen Elefantenbullen, der manchmal ins Camp komme. Was ich für Raubtierknurren gehalten habe, war nichts weiter als das Schnarchen eines schlafenden Elefanten. Wie auf dieses Stichwort hin öffnet sich das grüne Buschwerk, und der Elefant tritt auf die Lichtung hinaus. Nur ein paar Meter von unserem Frühstückstisch entfernt geht er ein, zwei vorsichtige Schritte, hält inne, den linken Vorderfuß schwebend in der Luft, die Ohren angelegt. Dann dreht er langsam den großen Kopf und wirft einen langen Blick in unseren Unterstand, wie ein Kind, das seine Puppenstube inspiziert. Das Camp, die Zelte und die fremden Gerüche der Menschen beunruhigen den jungen Bullen offensichtlich, gleichzeitig aber verzehrt er sich nach den Feigen, die überall verstreut unter den Bäumen liegen. "Elefanten sind süchtig nach diesen Früchten, sie können nicht widerstehen", sagt Steve. "Wahrscheinlich ist er schon früher hierhergekommen, bevor es das Camp gab." Mit seinen linkischen Bewegungen wirkt das Tier wie ein pubertierender Junge auf einer Party von Erwachsenen: unsicher und zugleich respektheischend. Als sich jemand abrupt bewegt, macht der Elefant sich groß, stellt die Ohren auf und lässt ein markerschütterndes Trompetensignal erschallen - nur eine kleine Warnung, so wie ein Mensch mit dem Finger droht.
Safari und Strand
"Bush and Beach", Safari und Strand, ist eine beliebte Reisekombination im südlichen Afrika. Also nehme ich Abschied von den Elefanten, ein Flugzeug bringt mich nach Matemo im Quirimbas-Archipel: mehr als 30 tropische Inseln, die sich von Tansanias Grenze bis zur Hafenstadt Pemba an die mosambikanische Küste schmiegen. Auf einigen leben Menschen, andere bestehen nur aus dichten Mangrovengürteln, grünen Klecksen im Indischen Ozean. Matemo ist bewohnt, sieben Dörfer gibt es auf der Insel und eine exklusive, erst vor zwei Jahren eröffnete Hotelanlage. Als ich dort ankomme, wird gerade ein Boot auf den weißen Sandstrand gezogen, das von einer Tauchexkursion zurückgekehrt ist. Schnorchler lassen sich an Korallenriffen treiben, draußen auf dem Meer leuchtet das Segel einer Dhau.
Am nächsten Morgen stehe ich gegen sechs Uhr auf und wandere den Strand entlang, vorbei an den 24 Bungalows der Hotelanlage und immer weiter. Ich will in die Dörfer. In einem Palmenhain sehe ich einen jungen Mann, ganz in Weiß gekleidet, eine weiße Kappe auf der Stirn. Er geht langsam auf und ab und liest dabei halblaut und mit Inbrunst aus einem Buch in seinen Händen. Fast alle Inselbewohner sind Moslems, daher vermute ich, einen Koranschüler vor mir zu haben, der sich an diesen stillen Ort zurückgezogen hat, um zu beten. Wir begrüßen uns, und er zeigt mir sein Buch: Es ist ein Schulheft, die Seiten in einer großen Kinderschrift mit englischen Vokabeln gefüllt. "Bye Bye", liest er mit einem Lächeln vor. "Goodee Nightee". Jeden Morgen übe er hier zwischen den Palmen die fremde Sprache, erklärt er, um irgendwann eine Stelle im Hotel zu finden.
Unheimliche Schönheitsmasken
Später begegnet mir eine Gruppe Kellner aus dem Restaurant, die auf dem Weg von ihren Dörfern zur Arbeit sind, und dann ein junger Kerl in zerschlissenen Shorts und T-Shirt, eine riesige, rote Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf. "Schicker Hut", sage ich. Er antwortet, ohne Rücksicht auf die Jahreszeit, mit "Frohe Weihnachten!" Das Dorf, das dem Hotel am nächsten liegt, heißt Palussanssa, ein paar hundert Menschen leben dort in ärmlichen Hütten aus dunklem Korallenstein, Mangrovenholz und Palmwedeln. Am Strand sitzt eine Gruppe Mädchen und bessert Netze aus. Ich bin gewappnet, ein Hotelgast hat mir von den unheimlichen Masken der Frauen erzählt, einer weißen oder hellgrünen Paste aus dem zermahlenen Holz des Msiro-Baums, unter der die Gesichtszüge verschwinden. Aber nichts an dieser Begegnung ist unheimlich. Die Augen hinter den Masken blitzen mich neugierig an, und ich erfahre, dass die Paste nur der Schönheit diene.
Wasche man sie am Abend ab, so sei die Haut darunter von einer ganz unvergleichlichen Zartheit. Kein Zauber, nur eine Tagescreme. Die Geisterstadt, die ist wahrlich unheimlich. Am Nachmittag nehme ich das Boot nach Ibo, einst die bedeutendste Insel des Archipels. Ab dem 8. Jahrhundert hatten sich hier Araber angesiedelt, die mit Elfenbein, Gold und Sklaven Handel trieben. Im 16. Jahrhundert kamen die Portugiesen, vertrieben die Araber, bauten das einträgliche Geschäft mit der Sklaverei aus und verteidigten die Inseln gegen ihre kolonialen Konkurrenten aus Holland und England. Schon vom Meer aus kann ich die weißen Villen aus portugiesischer Zeit erkennen und die Hafenanlage mit der Mole und dem kleinen Leuchtturm. Aber als ich dann durchs flache Wasser an Land gewatet bin, fehlen alle Geräusche, die zu einer belebten Siedlung gehören. Die Stadt ist verlassen, die Kolonialherren haben sie nach Mosambiks Unabhängigkeit im Jahr 1975 fluchtartig verlassen.
Durch stille Straßen, vorbei an ehemaligen Verwaltungsgebäuden und Handelskontoren, gehe ich bergan bis zum zentralen Platz. Zwischen hohen Seemandelbäumen steht dort eine Kirche, erbaut 1752, die auf den ersten Blick so aussieht, als sei der letzte Gottesdienst an diesem Morgen abgehalten worden. Vier Reihen Holzbänke, eine aufgeschlagene Bibel auf dem Altar, bunte Plastikblumen unter einem Marienbild. Nur dass die Luft muffig riecht und im morschen Gebälk riesenhafte, schwarze Fledermäuse kreisen. Ich begegne nur wenigen Einheimischen. Sie hören im Schatten der Gebäude Radio oder spielen eine Partie Dame mit Kronkorken. Die Inselbewohner, etwa 2000 leben noch auf Ibo, ziehen es vor, in eigenen Siedlungen außerhalb der Altstadt zu wohnen. Vielleicht weil sie sich die Sanierung der Villen ihrer ehemaligen Herren nicht leisten können, vielleicht weil ihnen zu viel Blut und Leid an den geweißten Wänden klebt.
Ein letztes Ziel auf dieser Reise ist Quilálea, ein Eiland, so klein, dass dort kein Flugzeug landen kann. Der Pilot hat mich auf der benachbarten Insel Quirimba abgesetzt, an einer staubigen Landepiste. Er hat versprochen, es werde jemand kommen, um mich abzuholen. Ich stehe allein in einem Wartehäuschen mitten in der Wildnis. Lange Zeit geschieht nichts. Dann höre ich ein Motorengeräusch, und ein weißer Jeep rumpelt über einen Feldweg auf mich zu. Am Lenkrad sitzt eine gebückte, weißhaarige Frau, die mich in resolutem Ton auf Deutsch begrüßt. "Ich bringe Sie auf die andere Seite der Insel, zum Boot nach Quilálea", sagt sie. "Mein Name ist Sieglinde Gesser."
Robinson auf Quilálea
Sieglinde Gesser wurde 1932 in Tansania geboren, ihre Eltern stammen aus Oldenburg. Vor fast 50 Jahren kam sie nach Quirimba, wo sie mit ihrem Mann Joachim eine Kokosnussplantage übernahm. Während der Fahrt durch die Pflanzung erzählt sie von ihrem harten Leben abseits der Zivilisation. Wie einsam es wurde, als die Kolonialzeit endete und nicht nur die meisten Portugiesen, sondern auch fast alle Deutschen das Land verließen. Von dem großen Zyklon im Jahr 1970, der 10 000 ihrer Palmen umwarf und alle Wege unpassierbar machte. Von den Schädlingen: den Affen, die ihr Mann früher mit dem Gewehr aus den Bäumen schoss, und dem Nashornkäfer - sie hält mir ihre geballte Faust unter die Nase, um dessen Größe zu demonstrieren -, der die Palme tötet, indem er ihr Herz frisst. Als wir das Boot erreichen, steigt sie mit langsamen Bewegungen und wie unter Schmerzen aus dem Auto. "Jetzt ist mein Mann schon über ein Jahr tot", sagt sie. "Noch habe ich die Kraft, um weiterzumachen."
Fühlte ich mich im Busch wie Hemingway und auf Matemo wie ein Millionär im Luxusurlaub - auf Quilálea bin ich Robinson. Hier gibt es nur das kleine Ferienresort, die neun Hütten liegen weit voneinander entfernt. Meine Bungalowtür hat kein Schloss, weil hier niemand ist, vor dem man etwas verschließen muss. Es gibt keine gefährlichen Tiere und keine Malaria. Ich verbringe die Tage damit, den Spuren der Kokosnusskrabben im Sand zu folgen und das wahnwitzige Tempo der Gezeiten zu bestaunen. Ich tauche in die farbenverrückte Welt der Tropenfische ein und höre unter Wasser dem Papageifisch dabei zu, wie er mit seinen starken Kiefern an den Korallen knabbert. Vor der Nachbarinsel Sencar lasse ich mich in einem Kajak durch die Stille des Mangrovendickichts treiben. Ist mir nach Gesellschaft, begleite ich den rundlichen Koch Nathan auf seinem allmorgendlichen Inselspaziergang. Dann zeigt er mir die papierne Rinde des paperback tree und zerreibt eine Blüte des gigantischen Baobab-Baums in seiner Hand, um mich daran riechen zu lassen. Als wir nebeneinander an einem kleinen Strand im Osten der Insel stehen, erzählt Nathan von den Schildkröten, die jeden November kommen, um ihre Eier abzulegen.
"Die Insel ist ein geschützter Ort", sagt er. "In früheren Tagen steuerten Seefahrer und Fischer Quiláleas Ankerplätze an, um hier auszuruhen. Lala bedeutet auf Suaheli Schlafen." Es ist erst acht Uhr morgens, aber die Sonne brennt schon vom Himmel. Ich wandere zurück zu meiner Hütte und lasse mich auf einer geflochtenen Matte im Schatten eines Baumes nieder. Oben in den Zweigen kreisen gelbe Webervögel um ihre bauchigen, hängenden Nester. Ein paar Schritte entfernt von mir grast das Inselmaskottchen Mahat, ein zahmer, junger Buschbock. Ich schließe die Augen. Ein geschützter Ort.