GEO.de: Was genau macht eine Fußverkehrsbeauftragte eigentlich?
Petra Jens: Die Mobilitätsagentur Wien ist eine Anlaufstelle zum einen für Beschwerden und zum anderen für Ideen zum Fuß- und Radverkehr. Meine Kollegen und ich sammeln, beantworten und tragen die Vorschläge der Bürger den Verantwortlichen der Stadt vor. Wir bringen neue Impulse ins Stadtleben hinein und leiten aus diesen vielen Verbesserungswünschen auch Informationsbroschüren oder -kampagnen ab. So haben wir zum Beispiel festgestellt, dass viele Fußgänger es als Stress empfinden, wenn die Ampel auf Rot springt, während sie die Straße überqueren. Die wenigsten wissen, dass nach dem Umschalten auf Rot noch ausreichend Zeit bleibt, um die andere Straßenseite zu erreichen. Deshalb haben wir zusammen mit Autofahrerorganisationen, Fahrschulen und Polizei, eine Informationskampagne zu diesem Thema gestartet. Das Planen und Bauen wie etwa von Fußgängerzonen oder sonstiger Straßeninfrastruktur gehören nicht zu unseren Aufgaben. Wir sehen uns sehr stark in der Rolle der Vermittler.
Wien liegt im internationalen Städtevergleich im Spitzenfeld beim Zu-Fuß-Gehen. 26 Prozent der Wege werden in Wien zu Fuß zurück gelegt. Das klingt doch vielversprechend. Wieso braucht Wien überhaupt eine Beauftragte für Fußverkehr?
Es fängt schon morgens an, wenn Sie ihren Radiowecker einschalten. Sie hören Verkehrsnachrichten, die vor allem Autofahrer ansprechen. Sie werden ständig von Werbung und Kommunikation um den individualisierten, motorisierten Verkehr begleitet. Sie sehen überall auch Werbeplakate von Automobilherstellern – und nun gibt es in diesem Konzert auch Stimmen für Radfahrer und Fußgänger.
Zudem wächst Wien stetig, und wir könnten 2029 schon eine Zwei-Millionen-Metropole sein. Es ist wichtig, dass die Menschen ihre Wege da umweltfreundlich erledigen. Ihre täglichen Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Rad und auch zu Fuß zurückzulegen ist ein wichtiger Schritt zur Entwicklung der Stadt – und dafür braucht es eine kommunikative Begleitung.
Sie haben auch eine Sprechstunde und einen "Kummerkasten". Wo drückt gerade den Wiener der Schuh?
Die meisten Beschwerden, die bei uns in die 'Wunschbox’ hineinkommen, sind Probleme mit dem motorisierten Verkehr, Geschwindigkeits- und Vorrangsverletzungen. Gleich gefolgt von zu wenig Platz. Lärm ist ein großes Thema. Beschwerden zu Ampeln, wie zu lange Wartezeiten oder zu kurze Grünphasen, das stört die Leute auch sehr. Dazu kommen noch der Radverkehr auf dem Gehsteig sowie das Bedrängtwerden von Radlern.
Wie ist denn Ihr Verhältnis als Fußverkehrsbeauftragte zu anderen Verkehrsteilnehmern?
Ich suche als Fußverkehrsbeauftragte intensiv den Kontakt zu anderen Interessenvertretungen wie zum Autofahrerclub. Ich kooperiere auch sehr stark mit den Wiener Fahrschulen, besonders zum Thema Anhaltebereitschaft vor Fußgängerübergängen. Wir haben schon zusammen ein Video produziert, das jetzt in den Fahrschulen eingesetzt wird. Von Anfang an habe ich auch ganz stark den Kontakt zu der Radlobby gesucht. Bei Aktionen wie 'Respektzone Gehsteig' und 'Wiener Verkehrsfrühling' werben wir bei Radfahrenden für ein besseres Miteinander mit den Fußgängern.
Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden pro Tag 10.000 Schritte empfohlen. Schaffen Sie dieses Pensum selber jeden Tag?
Nein, nicht jeden Tag. In der Summe schaffe ich das Pensum aber schon, weil ich an den Wochenenden sehr oft wandern und bergsteigen gehe. Meine tagtäglichen, beruflichen Meter mache ich vor allem am Schreibtisch im Büro. Aber es ist mir sehr wichtig, regelmäßig draußen auf der Straße und bei den Bürgern zu sein.
Und wie sieht Ihr Wien der Zukunft aus?
Mein Wien der Zukunft sieht so aus, dass es mehr Raum für das Zu-Fuß-Gehen, aber auch für das Radfahren gibt. Dazu wünsche ich mir eine neue Kultur des Miteinanders. Man ist es gewöhnt alle Verkehrsarten strikt von einander zu trennen. Das führt in Kreuzungspunkten zu Konflikten, deswegen braucht es eine neue Kultur des Miteinanders im Straßenraum. Und eine geringere Geschwindigkeit.
Mein Wien der Zukunft ist langsamer, entspannter, und es ist eher möglich unterschiedliche Verkehrsarten gemeinsam in einem Straßenraum zusammenzuführen.
Das kann Gelingen, wenn weniger schnell gefahren wird und wenn es mehr Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern gibt. So ist Barcelona ein gutes Beispiel. Hier hat man ganze Wohnviertel fast autofrei gemacht, da wird jetzt zu Fuß gegangen, da wird Rad gefahren, da wird der öffentliche Raum einfach zum Leben genutzt. Für Wien wünsche ich mir auch, dass man die Straße wieder mehr als Lebensraum begreift. Was sie ursprünglich auch war.
Weitere Infos im Netz
Die App: www.wienzufuss.at/app/
Fußwegekarte plus Schrittzähler und Schatzsuche - die Wien zu Fuß-App zeigt nicht nur die schnellsten Fußweg-Verbindungen und Sehenswürdigkeiten, sondern bietet auch 1000 virtuelle Diamanten, die es zu finden gilt. Jedoch führt die kontinuierliche Benutzung von GPS im Hintergrund zu einer drastischen Verkürzung der Akkulaufzeit. Kostenlos für IOS und Android
Wien zu Fuss: www.wienzufuss.at
Alle Infos zum "Jahr des Zu-Fuß-Gehens" auf einen Blick.
Termine
Das Geh-Café: www.wienzufuss.at
Einstündige Spaziergänge durch unterschiedliche Grätzeln, die kleinen Wiener Bezirke, und am Ende wartet als Belohnung immer ein Pop-Up-Café. Eine gute Gelegenheit, um auch Bezirke jenseits der Touristenpfade kennenzulernen.
Das Streetlife Festival: www.streetlife-festival.at
Es werden am 12. und 13. September Teile der Mariahilfer- und die Babenbergerstraße für den Autoverkehr gesperrt. Mit Live-Acts, Mitmach-Aktionen, Bühnenprogramm, Street-Sportarten und Straßenkünstlern.
Urban Village: walk21vienna.com
Vor der "Walk21" Konferenz findet für jedermann vom 17. bis 18. Oktober ein "Urban Village" am Wiener Rathausplatz statt – mit Überraschungs-Nachtprogramm und Infoständen.
WALK21: www.walk21.com
Die internationale Konferenz "Walk21" findet vom 20. bis 23. Oktober in Wien statt.