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Autoputzer in Windhoek
Fessy Kaai, 24, Autoputzer in Windhoek
Die Autos an unserer Waschstation sind meistens unglaublich schmutzig! Sand, Staub und Dreck, Macken in den Scheiben, verschrammte Unterböden. Das ist die Wüste, klar, die macht die Autos fertig. Aber ich muss schon sagen: Manche Leute können einfach nicht fahren. Sie brettern über Schotterpisten, rammen ein Tier, rasen durch Pfützen.

Wir spritzen, schrubben, saugen und polieren bis zu 70 Fahrzeuge pro Tag, danach sehen sie wieder einigermaßen aus. Ich habe acht Kollegen, alle Ovambos aus dem Norden des Landes, die wie ich in die Region gekommen sind, um Arbeit zu finden. In unserer Heimat hatten wir keine Jobs, nichts. Nur Familien, die Druck machten, dass wir Geld verdienen sollten. Hier arbeiten wir elf Stunden täglich, sechs Tage die Woche.
Wir nennen uns gegenseitig brother, und jeder weiß, von welchem Wagen der andere träumt. Ich hätte am liebsten einen Toyota Corolla. In Dunkelrot. Wenn ich mit dem Lappen über die fremden Autos streiche, rechne ich gern, an welchem Tag in welchem Monat in welchem Jahr ich ihn mir werde kaufen können. Leider bleibt am Monatsende von den 1000 Namibia-Dollar (etwa 84,50 Euro) nicht viel übrig. Davon kann ich Miete zahlen, genug essen, damit mein Körper stark bleibt, und mir Seife und Kleidung kaufen, um ordentlich auszusehen.
Viel ist es nicht, aber mehr, als ich je hatte. Vor allem, wenn ich im Fernsehen die Kriege im restlichen Afrika sehe, bin ich froh über mein friedliches Namibia. Außerdem bekomme ich ja Trinkgeld. Das meiste schicke ich an meine Mutter, vom Rest spare ich auf den Führerschein. Ich kann natürlich längst fahren, aber es gibt nun mal das Gesetz. Leider. Denn im Gegensatz zu den Leuten mit Führerschein würde ich wirklich auf meinen Wagen aufpassen.
Vom Koch zum Souschef
Curt Burns, 24, Souschef im Restaurant NICE in Windhoek
Koch war immer mein Traumberuf. Ich bin am Meer aufgewachsen, in einer typischen farbigen Mittelschicht-Familie. Jedes Mal, wenn wir das Wochenende am Strand verbrachten, ging ich angeln und grillte anschließend den besten Fisch aller Zeiten. Später experimentierte ich mit Pasta- und Currygerichten herum. Alles, was aus fremden Ländern kam – Gemüse, Gewürze, Saucen –, interessierte mich mehr als die namibische Küche mit ihrem Maisbrei.

2006 eröffnete in Windhoek das NICE, das Namibian Institute of Culinary Education: eine private Kochschule, die zum gleichnamigen Restaurant gehört. Besser als hier hätte ich in Namibia nirgends kochen lernen können. Mein Chef hat in einer Zwei-Sterne-Küche in Deutschland gekocht, das Restaurant war früher das Elternhaus des Besitzers und wurde komplett umgebaut. Das Besondere: Die Gäste können durch eine Glasscheibe sehen, wie wir ihr Essen zubereiten. Ich bin nach nur anderthalb Jahren zum Souschef aufgestiegen und verantwortlich für alles, was aus dem Meer kommt. Meine neueste Kreation ist Limefisch mit Rote-Bete-Sauce – delicious!
Außerdem trainiere ich die jüngsten Kochschüler. Es sind sieben Schwarze, Farbige und Weiße aus allen Landesteilen, und wir palavern in der Küche einen lustigen Wirrwarr aus Oshivambo, Damara, Afrikaans und Englisch. Die Atmosphäre wirkt entspannt, aber ich arbeite sehr hart. Ohne Ehrgeiz und Fleiß bringt man es als Koch zu nichts! Für meine Freundin und unseren Sohn bleibt da wenig Zeit. Dafür kann ich vielleicht in zwei Jahren meinen eigenen Laden aufmachen.
Direktor vom Waterberg Plateau Park
Boas Erkkie, 37, Parkdirektor im Waterberg Plateau Park
Nashörner sind richtig dicke Dinger! Das denke ich auch noch nach acht Jahren als Parkdirektor, wenn ich bei meinen Patrouillen auf eines treffe. Wir haben Spitzmaul- und Breitmaulnashörner auf dem Waterberg, jedes einzelne erkenne ich an seinen Fußspuren. Manche auch am Schnauben; und die Übellaunigen, weil sie sofort mit hochgerecktem Horn auf mich zurasen. Wie viele es genau sind, verrate ich nicht – die Tiere sind wegen Wilderei vom Aussterben bedroht. Ich sage nur: Namibia kann auf sein Schutzprogramm stolz sein.

1972 hat mein Vorgänger die ersten Nashörner und andere bedrohte Arten, Kapgeier und Rappenantilopen, auf unserem Plateau angesiedelt. Ich übernahm den Posten als erster Schwarzer, nachdem ich in Südafrika und, echt wahr, in Berlin an der Humboldt-Universität Naturschutz und Biodiversitäts-Management studiert hatte.
Gerne würde ich dort auch noch promovieren, ich habe es geliebt, quer durch die Stadt zur Universität zu radeln, selbst bei Schnee. Aber das wird wohl nichts mehr – keine Zeit. Denn inzwischen muss ich unseren Nachwuchs im Park managen. Ich beobachte zum Beispiel, welche Nashorn-Dame mit welchem Männchen anbändelt, um Inzucht zu vermeiden. Werden es zu viele, verkaufe ich die geschützten Tiere an andere Parks, außerdem organisiere ich Trophäenjagden bei nicht geschützten Tieren, damit Geld reinkommt – aber nach meinen Regeln. Hier schießt kein fauler Angeber vom Geländewagen auf einen Büffel!
Wer unsere Tiere jagen will, muss in der Hitze zu Fuß ihren Spuren folgen – und wenn es eine Woche dauert! Wer sich nur mit der Kamera auf die Lauer legen will, kann den Waterberg natürlich bequem auf geführten Safaris erkunden. Wer Glück hat, trifft ein Nashorn – wer richtig Glück hat, sogar ein nettes.
Noongo hilft HIV-Positiven
Ottilie Ipawa Noongo, 29, Leiterin einer Selbsthilfegruppe für HIV-Positive in Katutura/Windhoek
Vor vier Jahren war ich am Ende. Innerhalb einer Woche starben mein Freund und meine Tochter; an Tuberkulose, hieß es. Später las ich im Arztbericht, dass beide HIV-positiv waren, und mir wurde klar, dass die Kleine es nur von mir haben konnte. Mein Arzt hatte mir nichts gesagt. So ist das hier: Keiner spricht über das Virus, obwohl alle Panik haben. Für die Leute ist Aids eine Schande.

Die Eltern meines Freundes warfen mich nach seinem Tod aus ihrem Haus, und ich musste mit meiner älteren Tochter Hendrina in diese Hütte nach Okahandja-Park ziehen, ein Wellblech-Viertel im Norden von Windhoek. Wir haben keinen Strom, und unsere Toilette ist der Busch. Ansonsten geht es uns gut hier. Aber der Anfang war hart. Ich verkaufte "Kampana", um zu überleben, einen typisch namibischen Eintopf. Dann sprach sich herum, dass ich HIV-Medikamente nehme, die Infizierte kostenlos erhalten, und keiner wollte mehr bei mir essen. Ich musste mit Hendrina in eine Suppenküche gehen. Dort brauchten sie zufällig eine Köchin, meine Rettung!
Heute leite ich neben der Arbeit eine HIV-Selbsthilfegruppe. Es gibt nur wenige solcher Zusammenschlüsse im Land, und es kommen fast nur Frauen. Männer verstehen einfach nicht, was HIV bedeutet. Sie benutzen keine Kondome oder glauben, mit Medikamenten seien sie nicht mehr ansteckend. Was soll man da tun? Mit meinem neuen Freund, der auch infiziert ist, habe ich nur Safer Sex. Mein größter Wunsch wäre, ihn zu heiraten und noch ein Kind zu bekommen. Aber er will nicht, weil seine Blutwerte zu schlecht sind. Er sagt, es habe alles keinen Sinn mehr. Das ist das Einzige, was mich wirklich traurig macht.
Bürgermeisterin von Swakopmund
Rosina Hoabes, 46, Bürgermeisterin von Swakopmund
Ich regiere "Klein Deutschland" in Afrika – nun, zumindest wird meine Stadt häufig so genannt. Der Grund: Wir haben ein Brauhaus, einen wilhelminischen Bahnhof, und jeder Fünfte unserer Einwohner hat deutsche Wurzeln. Alles ein Erbe der Kolonialzeit und der Apartheid. "Keep your distance, my dear" – so wurden wir erzogen: "Schau den Weißen nicht in die Augen, sprich sie bloß nicht an!"

Ich weiß noch genau, wie verstört ich war, als ich 1986 als Studentin in den USA ankam und Weiße und Schwarze nebeneinander auf einer Bank sitzen sah. Mit meinen Kommilitonen teilte ich abends Wein und Ideen, und ich wünschte umso mehr, dass dies irgendwann auch in meiner Heimat möglich sein würde. Mein Traum ist wahr geworden.
Vor fünf Jahren wurde ich sogar als erste schwarze Frau zur Bürgermeisterin gewählt. In Swakopmund haben wir seither neue Baugebiete ausgewiesen, um die einst getrennten Wohnviertel der Weißen mit denen der Schwarzen und Farbigen zu verbinden. Letztere versuchen wir auch, mit vergünstigten Grundstücken in neue Wohngebiete zu locken – selbst wenn sich einige Weiße dadurch ungerecht behandelt fühlen.
Immerhin akzeptieren inzwischen die meisten Deutschstämmigen, dass wir Straßen wie Kaiser-Wilhelm-Straße umbenannt haben, nach namibischen Volkshelden. Meine Güte, das war damals ein Theater! Ich sage immer: Leute, seht den Wandel im Land als Herausforderung, nicht als Bedrohung! Manche brauchen dafür aber wohl länger.
Kwaito-Star Gazza
Gazza, 30, Kwaito-Star und Chef der Produktionsfirma GMP (Gazza Music Productions) in Windhoek
In meinem Leben war immer, immer Musik. Als ich als kleiner Junge nach dem Tod meines Vaters Ziegen hüten musste, tröstete mich der Kirchenchor unter dem Dorfbaum. Mit zwölf kickte ich so fanatisch wie Paul Gascoigne – deshalb wurde ich Gazza genannt. Noch cooler fand ich allerdings Rapper wie MC Hammer oder Vanilla Ice. Wochenlang habe ich geübt, ihre Songs und Tanzschritte zu imitieren. Dann schwappten die neuen Sounds nach Namibia, Dancehall, Ragga, Hip-Hop, Kwaito aus Südafrika. Und mit meiner Highschool-Band spielten wir alles nach, sogar softes Zeug für die Mädchen.
Wir hatten viele Fans, aber ich dachte nicht im Traum daran, dass ich irgendwann von Musik würde leben können. Deshalb legte meine ganze Familie für ein Wirtschaftsstudium in Kapstadt zusammen. Statt zu lernen, fuhr ich aber von Konzert zu Konzert – selbst wenn ich dafür beim Essen sparen musste.
Wieder zurück in Windhoek, begann eine irre Zeit: Tagsüber verkaufte ich Anzeigen für die Gelben Seiten, und nachts komponierte ich auf dem Firmen-Laptop neue Beats. Zwei Jahre kaum Schlaf, nur Musik!
Zwei CDs kamen dabei heraus, aber ich fühlte mich vom Management gelinkt: Das wurde reich, ich blieb arm. Mein drittes Album produzierte ich deswegen selbst. Es wurde die erfolgreichste Scheibe des Jahres 2005 in Namibia!

Seitdem bin ich ein Star mit meiner "Ghetto Music", aber kein Gangsta-Rapper. Ich betreue junge Musiker und besuche regelmäßig Schulen, um armen Kids Mut zu machen. Mein Vorbild ist Prinzessin Diana, ohne Witz! Denn die kümmerte sich um die Schwachen.
Filmproduzentin in Windhoek
Oshosheni Hiveluah, 27, war ein "Ossi-Kind" und organisiert heute internationale Filmproduktionen in Windhoek
Ich habe meine Kindheit in der DDR verbracht – als eines von 430 Kindern, die Erich Honnecker während des Bürgerkriegs in Namibia und Angola aus Flüchtlingslagern retten ließ. Meine Eltern kämpften für die Freiheitsbewegung der SWAPO. Ich sollte in Frieden aufwachsen, im Kinderheim von Schloss Bellin bei Güstrow. Wir lernten deutsche Lieder, feierten Weihnachten im Schnee, gingen in die Grundschule und hatten ein bisschen Namibia-Kunde. Eine schöne Zeit!
Doch 1990 war Schluss: Die Mauer war gefallen, außerdem wurde Namibia unabhängig. Wir mussten zurück. Einige meiner Freunde bekamen einen Kulturschock, vor allem, wenn sie zu armen Familienangehörigen in den Busch geschickt wurden. Ich hatte Glück, meine Eltern arbeiteten für die neue Regierung und konnten mir die Deutsche Schule finanzieren. Frustrierend war nur, dass wir uns anfangs kaum verständigen konnten – mein Oshivambo war zu schlecht. Und dass ich für die Weißen plötzlich nicht mehr das süße Schoko-Kind war, sondern im schlimmsten Fall ein "dummer Kaffer".

Durch meinen Job habe ich noch immer Kontakt zu Deutschland. Ich bin Teilhaberin der Produktionsfirma Media Logistics Namibia: betreue Schauspieler, besorge Kamera-Equipment, suche Drehorte. Flexibel zu sein, das habe ich schon in der DDR gelernt – die beste Voraussetzung für beruflichen Erfolg in Afrika.