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Krimi-Szenarien gesucht
Es ist eine Frau, wegen der ich nach Gaborone gekommen bin: Precious Ramotswe, Ende dreißig und traditionell gebaut, wie es hier heißt. Man könnte auch sagen – eher dick. Wie alle Frauen Botswanas wird sie respektvoll mit "Mma" angesprochen, langes "M", kurzes "a". Mma Ramotswe besitzt einen kleinen Lieferwagen und eine Wohnung in der Stadt. Sie mag keine übertriebene Eile und ebenso wenig die "bohnenstangenartigen Wesen aus der Werbung". Dafür hält sie viel von gegenseitiger Achtung, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft – kurz: von botho, den alten botswanischen Werten. Mma Ramotswe ist die Chefin der einzigen Detektei des Landes, der "No. 1 Ladies’ Detective Agency". Es sind keine spektakulären Fälle, die sie untersucht. Das Böse tarnt sich ihr gegenüber als untreuer Ehemann, gierige Haushälterin oder Dieb; als Mensch eben, dem es an botho mangelt.
Natürlich war mir vor meiner Abreise klar, dass ich Mma Ramotswe nicht begegnen würde – sie und ihre Detektei entspringen der Fantasie des schottischen Schriftstellers Alexander McCall Smith, der lange in Botswana gelebt hat. Bereits in neun Bänden ermittelt seine Detektivin, mit weltweitem Erfolg. Aber mag die Figur auch erfunden sein, die Stadt, in der sie leben und arbeiten soll, ist es nicht. Und auf sie hatte ich Lust bekommen. Auf das Gaborone, in dem junge Frauen um den Titel "Miss Viehwirtschaft" kämpfen, während die älteren auf der Straße palavern, als seien sie "noch im Busch unterwegs".


Auf das Gaborone, wo "der Holzrauch morgendlicher Feuer den Appetit anregt". Und das "von Kuhglocken aus dem Radio" geweckt wird. ch bin am frühen Morgen angekommen, und tatsächlich sehe ich die erste Kuh bereits auf der Fahrt vom Flughafen. Doch etwas irritiert mich: die riesige Glasfassade der "Diamond Trading Company Botswana", in der sich das Tier mit großen Augen spiegelt. Ein Zaun hält es allerdings davon ab, über den akkurat gestutzten Rasen zu spazieren. Aber Gaborone ist kein Kuhdorf. Schnell wird klar: Es ist eine moderne afrikanische Metropole. Auf den asphaltierten Straßen fahren große Autos, keines älter als zwei Euter, schätze ich – nicht älter also als acht Jahre.
In Zitzen und Eutern zählte man hier, als die nach dem Stammeshäuptling Kgosi Gaborone benannte Stadt noch eine Bahnstation an der Grenze zu Südafrika war. Erst 1966 wurde das 1000-Seelen-Dorf Regierungssitz, hauptsächlich, weil hier die Versorgung mit Wasser sicher erschien. Aber dann, nur ein Jahr später, entdeckten Prospektoren Diamanten im Norden des Landes, und Gaborone entwickelte sich zu einer der am schnellsten wachsenden Hauptstädte der Welt. Wo die Planer einst mit 20 000 Einwohnern rechneten, leben rund vier Jahrzehnte später zehnmal so viele.
Sie arbeiten in glänzenden Bürotürmen und Einkaufszentren. In rasantem Tempo sind Bauten wie "The Square" oder "Kgale Mall" entstanden. Eine nicht unbedingt schöne, aber beeindruckende Welt aus Glas und Granit, marmornen Portalen und hallengroßen Lobbys. Finanzdienstleister haben sich in ihr eingerichtet, Konferenzmanager, Behörden, internationale Organisationen. Wer Bonn oder Brasilia mag, wird Gaborone lieben.
Aber noch immer liegt zwischen den Gebäuden einer der kostbarsten Rohstoffe – unberührtes Land. Fast verschwenderisch wird mit ihm umgegangen, grenzen bebaute Grundstücke an riesige überwucherte Flächen. So wächst Gaborone wie ein Flickenteppich in die Breite, und nichts wirkt maßlos oder gar erdrückend. Wie eine optische Täuschung staucht der Himmel selbst 20 Stockwerke hohe Türme auf weitaus bescheidenere Höhe.
Spurensuche in einer modernen Stadt
Aber wo ist die Stadt, in der das "Vieh nach Hause schritt" und vor deren Hütten Feuer brennen, die "knisterten und glühten für das Abendessen"? Wo sind die kleinen, mit Lehmmauern umgebenen Häuschen? Zwar finde ich die traditionellen Rundhütten mit Dächern aus Schilf – aber es sind private Grillplätze oder originelle Außenklos. Auch moderne Einfamilienhäuser mit Klinkern und Satellitenantenne sehe ich. Und Grundstücke, die kleinen Festungen gleichen: hinter Betonmauern gelegen, die mit Glasscherben und Elektrozäunen versehen sind. Ich frage mich, vor wem sie schützen sollen? Sogar Polizisten patrouillieren in dieser Stadt ohne Pistole, und selbst in dunklen Nächten werde ich ohne Angst durch menschenleere Straßen gehen. Nicht einmal in Old Naledi erhöht sich mein Pulsschlag, dabei ist dieses Viertel offiziell ein Slum.
Statt Elend finde ich jedoch eine Klinik, eine Grundschule und einen gepflegten Park. Die Häuser sind aus verputztem Lehm, fast alle verfügen über eine Wasserleitung. Und wer die 500 Pula (rund 50 Euro) Eigenbeteiligung für die Abwasserrohre nicht aufbringen kann, dem gräbt der Staat ein Loch fürs Plumpsklo, kostenlos.
Mehrere Milliarden Dollar hat Botswana bislang mit seinen Diamanten erwirtschaftet und sich davon einen in Afrika beispiellosen Wohlfahrtsstaat geleistet: mit kostenlosem Schulbesuch, Zuschüssen für Mieten und Krankenversicherungen und Förderprogrammen für fast jeden, der will – ob Schüler oder Rentner. Vor allem Gaborone profitiert davon, und je länger ich hier bin, desto überraschter bin ich. Auch wenn mich Mma Ramotswe, die clevere Detektivin, offenbar auf eine falsche Fährte geführt hat. Denn von ihr und ihrer Welt fehlt mir noch jede Spur.

Ich überlege, ob die Krimis ein Trick der Tourismusbehörde sein könnten? Denn wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der beim Lesen zum ersten Mal von dieser Stadt erfahren hat. Doch mein Verdacht wird noch am selben Vormittag von Mma Setlang widerlegt.
Touristen in Gaborone: eine Seltenheit
Mma Setlang, eine stämmige Dame, ist Mitarbeiterin des "Botswana Tourism Board" und sitzt in einem imposanten Büro mit viel Marmor und Granit. Sie hat Rotbuschtee eingegossen und gibt sich nun die größte Mühe: Sie schwärmt von den Krokodilen im Okawango-Delta und beschreibt bildreich die Wildheit der Löwen in der Kalahari. Fast beschwörend spricht sie auch vom Chobe-Nationalpark und seinen großen Elefantenherden. "Alles sehr, sehr sehenswert." Dann ist sie am Ende. Ihre Hand zittert ein wenig, als sie ihre Teetasse hebt. "Aber Sie wollen", fragt sie ungläubig, "trotzdem in Gaborone bleiben?"

Nun bin ich nicht der erste Tourist, dem Mma Setlang bisher in der Stadt begegnet ist. Der Erfolg der Krimis bringt inzwischen immer mehr Besucher wie mich, denen Gaborone nicht nur als Zwischenstopp auf dem Weg in den tierreichen Norden dienen soll. Aber noch hat sich die lokale Tourismusbranche nicht auf die unerwarteten Gäste eingestellt. Um das zu erkennen, reicht ein Blick in die Regale des Büros, in denen die Broschüren der Lodges des Landes liegen, der Naturparks, der Safari-Anbieter. Aber keine Informationen zu Gaborone. Nicht einmal mit einem Stadtplan kann Mma Setlang dienen. "Ja, was können Sie hier machen?", sagt sie wie zu sich selbst. Dann fallen ihr immerhin zwei Sehenswürdigkeiten ein: Das "House of Chiefs" und das "Sanitas Nurseries and Garden Centre". Das eine ist ein Amtsgebäude, das andere ein Gartenbaumarkt. "Ach", fügt sie hinzu, "und in die Oper könnten Sie gehen!"
Die Stadtoper: eine konkrete Spur
Die Oper am Stadtrand ist zu meiner Überraschung die erste konkrete Spur von Mma Ramotswe. Unterstützt wird das "No. 1 Ladies’ Opera House" von Alexander McCall Smith, dem Erfinder der "No. 1 Ladies’ Detective Agency". Ein Prachtbau ist das Gebäude nicht, es ähnelt eher der im Buch beschriebenen Werkstatt von Mr. J. L. B. Matekoni, dem Langzeitverlobten von Mma Ramotswe. Früher wurden hier Lastwagen repariert, auf deren Ladeflächen die Minenarbeiter ins nur 15 Kilometer entfernte Südafrika fuhren. Musik bietet die Oper allerdings noch nicht, nur Essen. Im kleinen Restaurant können Besucher unter den Leadwood-Bäumen sitzen und "Mma Makutsis Pfannkuchen" bestellen oder das "McCall-Smith-Frühstück". In einigen Monaten soll dann das erste Stück in einem der kleinsten Opernsäle der Welt Premiere feiern: Gerade einmal 90 Quadratmeter ist dieser groß. Gartenbänke stehen vor einer winzigen, leeren Bühne. Das Orchester – ein Piano, drei Violinen, eine Bratsche, ein Cello – hat frei.
Ich fahre zurück ins Zentrum, das in Form eines großen Halbkreises um die Nationalversammlung und das Büro des Präsidenten gebaut worden ist. Wichtigste Straße ist die Main Mall. Im "Cresta President Hotel" nimmt Mma Ramotswe regelmäßig ihren Rotbuschtee ein. Dann blickt sie auf das, was auch ich sehe: Supermärkte, Büros und Textilgeschäfte. Zwischen ihnen haben Gemüsehändler ihre Stände aufgebaut, Buchverkäufer, Fotografen mit Polaroid-Kameras. Schnitzereien aus Malawi liegen aus und Rietkörbe vom Thamalakane-Fluss im Norden. Felle von Antilopen stapeln sich, von Eichhörnchen und Schakalen. Ein bisschen wirkt es, als halte Cottbus seine "Afrikanischen Tage" ab. Entspannt nippe ich am Tee, als ich Stimmengewirr höre. Es kommt von einer Platane gegenüber der Mall. Etwa 50 Männer diskutieren dort aufgeregt, mal spricht nur einer, mal sprechen alle gleichzeitig. Von Mma Ramotswe weiß ich bereits: "In diesem Land wird eine Menge geredet, und meines Wissens nach sind es vor allem die Männer."
Bäume gehören zu den wichtigsten Orten des Landes. Sie sind wahrscheinlich die Garantie für die seit 40 Jahren währende politische Stabilität – bevor eine offizielle Entscheidung getroffen wird, sind meist sämtliche Vor- und Nachteile in ihrem Schatten abgewogen worden, ob es um die Öffnungszeiten der Bars geht oder die Kandidaten fürs Präsidentenamt. Botswana ist eine echte Rede-Demokratie. Immer mehr Männer kommen nun aus den Büros und Geschäften und nehmen an der Debatte teil. Manche ziehen ihre Jacke aus und hängen sie an einen Zweig. "Das geht jeden Tag so", sagt Charles Harvey, "stundenlang."

Mma Ramotswe am Stadtrand
Auf Charles Harvey treffe ich im "Good Food Restaurant" gegenüber der Platane. Der Engländer ist Professor für Ökonomie und Berater der botswanischen Regierung. Ein halbes Dutzend Mal pro Jahr fliegt er von Brighton nach Gaborone. Da er in einem der Mma-Ramotswe-Krimis las, hatte ich ihn zunächst für einen Touristen auf den Spuren der Detektivin gehalten. "Irgendwie stimmt das ja auch", sagt der 72-Jährige. "Seit ich Mma Ramotswe kenne, suche ich dieses Gaborone." "Und, haben Sie es gefunden?" Der Professor lacht. "Natürlich", sagt er, "kommen Sie, ich zeige es Ihnen."
Wir fahren an den westlichen Stadtrand. In den Büchern liegt hier, am Fuße des Kgale Hill, die Detektei. Und dann sehe ich sie tatsächlich. Das Haus ist zwar nicht gelb gestrichen, doch auf einem Schild steht eindeutig: "No. 1 Ladies’ Detective Agency". Auch die Geschäfte der Nachbarschaft sind genau, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Da ist die Fahrradwerkstatt, der Friseur, die Wäscherei und der Kleinhändler, der auch Bargeld verleiht. Sogar die Akazie, auf die Mma Ramotswe von ihrer Tür aus schaut. "Bitte schön", sagt Professor Harvey, "hier ist Ihr Gaborone, wie es im Buche steht."
Es ist ein Filmset. Die Häuser sind aus Sperrholz, alle Räume leer. Im vergangenen Jahr drehte Anthony Minghella, der auch bei "Der englische Patient" Regie geführt hat, hier eine Fernsehfassung nach Vorlage der Bücher. Allerdings stammte kein Hauptdarsteller aus Botswana, selbst der kleine weiße Lieferwagen der Detektivin kam aus Übersee. Immerhin konnte die Regierung durch eine Förderung von fünf Millionen Dollar verhindern, dass der Film in Johannesburg entstand. Nach Drehende sollte das Gelände eigentlich für Besucher geöffnet werden. Doch noch sichert ein Zaun die Kulissen für mögliche Fortsetzungen.
Lesungen an Schauplätzen
Neugierige kommen trotzdem schon. Etwa zehn Menschen stehen am Eingang um einen jungen Mann, der leidenschaftlich von Mma Ramotswe erzählt. Er heißt Tim Race und organisiert Stadtführungen zu Schauplätzen der Krimis: "The No. 1 Ladies’ Detective Tour". Höhepunkt sind kurze Lesungen. Am Filmset liest Race die Beschreibungen der Detektei und die Passagen, die vom Blick auf den Kgale Hill erzählen. Mal spricht er laut und mit aufgeregten Gesten, um im nächsten Moment geduckt und ahnungsvoll zu flüstern. Sein Publikum nickt wissend und lacht. Schließlich steigen die Zuschauer in ihre Autos – auf zum nächsten Schauplatz! Zum vermeintlichen Wohnhaus der Detektivin am "Zebra Drive" etwa, der in Wahrheit "Zebra Way" heißt.
Nicht alle Stationen sind improvisiert oder ausgedacht. Das "Equatorial" in der "Riverwalk Mall" gibt es wirklich. Das Café in einem zu den Seiten offenen Einkaufszentrum ist einer der Lieblingsplätze der Detektivin. Von hier aus blickt sie auf das Eukalyptuswäldchen, die Tlokweng Road und üppig bewachsenes Land. Es ist bereits dunkel, als Tim Race im "Equatorial" jene Stelle liest, in der ein Bekehrter während seiner Taufe im Fluss von einem Krokodil gefressen wird – da geht in der ganzen Mall das Licht aus. Die Musik verstummt, die Stimmen werden gedämpft. Minutenlang kann ich die Geräusche der Wildnis ringsum vernehmen, das in den Büchern beschriebene "Buschland bei Nacht": Zikaden zirpen, Vögel zwitschern, und da sind "all diese seltsamen Geräusche", nicht zu deuten, fast unheimlich.
Die Kellner stellen Kerzen auf. Aber niemand scheint überrascht – Stromausfälle gehören dazu, wenn eine Stadt ihre ganze Energie ins Wachstum steckt. Abgeschaltet wird angeblich zu festgelegten Zeiten, jeden Tag in einem anderen Einkaufszentrum. Die Gaboroner machen das Beste daraus, sie sehen es als "romantische Stunde". Wie Schattenrisse sitzen sie an ihren Tischen, und aus der Ferne glaube ich, das Brüllen von Rindern zu hören und das Bimmeln von Kuhglocken. Von irgendwoher zieht Rauch wie von einem Herdfeuer herüber. Ich bekomme Lust auf Kürbis, gekocht, den Mma Ramotswe so mag. Dann geht das Licht wieder an, und die Gäste neben mir schalten ihre Laptops erneut ein. Ich frage die Bedienung nach Kürbis, aber "so was", sagt die Kellnerin, "haben wir hier noch nie angeboten".
Wieder zieht ein Duft in meine Nase, dieses Mal kommt er vom Nachbartisch. Es ist der süßliche Geruch von Rotbuschtee. Der Mann, der ihn trinkt, hat seinen Borsalino neben sich gelegt und trägt einen grauen Anzug. Auch sein Haar ist grau und etwas struppig – Alexander McCall Smith sieht genauso aus wie auf dem Autorenfoto in seinen Büchern. Als sich meine Überraschung gelegt hat, setze ich mich an den Tisch des Schriftstellers und höre zu, wie er von den Menschen Botswanas schwärmt, dem Leben in diesem reichen, sicheren, höflichen Land – in diesem "Afrika für Anfänger", wie er sagt. Ich berichte von meiner schwierigen Suche nach der von ihm beschriebenen Stadt.
"Aber dieses Gaborone gibt es gar nicht, habe ich recht?" "Und wenn es so wäre? Würden Sie Ihren Besuch dann bereuen?", fragt McCall zurück. Ich überlege. "Nein", antworte ich dann. "Es war mir ein Vergnügen, den Fall zu lösen."
