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Canyoning im Wadi Mujib
Ich schaue in den Himmel, die Hände im Kies vergraben. Am Ufer des Bachbetts lässt der weiche Wind das Schilf tanzen, warmes, klares Wasser rinnt durch meine Haare. Stundenlang könnte ich so liegenbleiben - oder gleich noch einmal zurück durch die Schlucht laufen.
"Du wirst staunen", hatte Osama Otoum vor unserer Canyoning-Tour durchs Wadi Mujib prophezeit: "Die Schlucht ist ein Geheimtipp, sogar die meisten Jordanier waren noch nie hier." Mein Tourguide mit den strammen Waden hat nicht übertrieben: Aus der Wüste neben dem Toten Meer wächst ein Reich aus rundgeschliffenen Sandsteinskulpturen und geschwungenen Wänden, aus Wasserrutschen, Pools und Kletterpassagen.

Hinter dem energischen Endvierziger mit seinem rasierten Schädel stapfe ich über Kiesel durchs Wadi. Erst reicht uns das Wasser nur bis zu den Knöcheln, doch mit jeder Biegung wird es tiefer, reißender, manchmal reicht es bis zur Brust. Die in Rot und Ocker schillernden, 50 Meter hohen Sandsteinwände rücken immer näher. Es wird eng wie in einer Gletscherspalte - nur dass hier laues Wasser strömt, gespeist aus Quellen des Hochplateaus. Eineinhalb Stunden waten und schwimmen und klettern wir bachaufwärts durch die Schlucht, hangeln uns an Eisengeländern und Seilen über glitschige Felsen, Stromschnellen und Kaskaden. Wir verständigen uns fast nur noch mit Handzeichen, so laut wirft der Stein das Rauschen des Bachs zurück. Und dann stehen wir vor einem Wasserfall, zehn, zwölf Meter hoch, der uns die Knochen brechen könnte, wenn wir uns darunter stellten, mit solcher Wucht stürzt er herab. Es ist Mittag, die senkrecht stehende Sonne sendet einzelne Strahlen auf den Grund der Schlucht - ein Licht wie in einer Kathedrale. "Das nächste Mal kommen wir von oben", verspricht Osama, "und seilen uns hier ab."
Schillernde Landschaften
Jordanien, östlich von Israel gelegen und nur wenig größer als Bayern, ist die kleine Wundertüte der arabischen Welt. "Ein ruhiges Haus in einer lauten Nachbarschaft", hat der verstorbene König Hussein sein Land einmal genannt. Viele sehen in der konstitutionellen Monarchie, die mit Israel Frieden geschlossen hat, das Vorbild für einen besseren Nahen Osten: stabil, sicher und dabei liberaler und toleranter als seine Nachbarn Syrien, Irak oder Saudi-Arabien. "Bei uns leben Muslime und Christen ohne Probleme zusammen", sagt Osama - und auch, wie ich später sehen werde, sunnitische Scheichs und Karrierefrauen mit Auslandsstudium.
Auch die Landschaft des Wüstenstaats schillert. Da sind natürlich die Felsenstadt Petra, die filmkulissenschöne Wüstenlandschaft des Wadi Rum, in der der Monumentalklassiker "Lawrence von Arabien" gedreht wurde, das Tote Meer, die römischen Ruinen von Jerash oder biblische Stätten wie der Berg Nebo, von wo aus Moses der Bibel nach das Gelobte Land sah - jeder Ort für sich genommen schon ein Grund für eine Reise (siehe Poster rechts).

Doch Jordanien macht mit seiner Landschaft auch Wanderer, Kletterer und Öko-Touristen glücklich - im Wadi Mujib eben oder in der naturgeschützten Canyon-Landschaft von Dana. Und es inszeniert Begegnungen mit einer traditionsbewussten Beduinenkultur, in der Frauen eine stille Revolution vorantreiben. In der Hauptstadt Amman erobern sich junge Jordanier die kopfsteingepflasterten Straßen und Zwanziger-Jahre-Gebäude des Diplomatenviertels und machen dort zwischen Mangobäumen und Basaren westlich inspirierte Cafés, Bars und Läden auf - mit stillschweigender Unterstützung des noch jungen Königs Abdullah und seiner glamourösen Frau Rania, die wie ein Popstar verehrt wird.
Amman: Stadt der Gegensätze
Hotspot für die Szene ist die Rainbow Street in Ammans Ausgehviertel auf dem Jabal Amman, den sich alter Stadtadel und junge Intellektuelle teilen. Ein sanfter Wind weht über den Hügel, zu dessen Füßen am Abend die Altstadt funkelt, in der der Alltag noch traditionell arabisch abläuft. Kéké, der eigentlich Khalil Hareb heißt, kennt hier oben jeden - und jeder kennt ihn, den 29-jährigen Lebenskünstler, der sich mal als DJ, mal als Mädchen für alles beim Film durchschlägt. "Ich bin der einzige mit Rastalocken in Jordanien", sagt Kéké. Im "Books@Café" hat er sich gerade ein Stück Möhrenkuchen bestellt. Draußen versteckt er die Haare aber unter einer bunten Strickmütze, "ich will ja niemanden provozieren".
Im legendären Buchladen- und Internetcafé gab es die erste weibliche Bedienung, auf seiner Terrasse müssen sich auch Schwule nicht verstecken. Und so ist das Lokal, in dem sie alle sechs Monate die schrillen Tapeten gegen ein neues Design austauschen, das von den Behörden aber immer wieder mal für ein paar Tage geschlossen wird, ein Seismograf dafür, wie viel Aufgeschlossenheit sich das muslimische Land gerade zutraut. "Im Moment ist es entspannt", sagt Kéké, der die versteckte Allgegenwart der Polizei ganz okay findet: "In Jordanien fühlen sich alle sicher, auch Frauen und Touristen."

Gegensätze lieben sich in Amman. Vor dem Büro der Kommunistischen Partei hängt die jordanische neben der roten Fahne. "Kein Problem", sagt Osama, "das gehört hier alles zur Folklore." Ein Stück weiter bewachen Soldaten den von hohen Mauern umgebenen Palast des verstorbenen Königs Talal, Husseins Vater. Gegenüber von Ammans erster christlicher Buchhandlung, dem "Good Book Shop", sitzen Männer vor dem "Old Times Restaurant", rauchen Wasserpfeife und hören einem Lautespieler mit rotem Filzhütchen zu, der melancholische Liebeslieder singt. Im Souk Jara, dem kleinen Basar in einer Nebenstraße, leuchten die Notebooks auf den Holztischen der Cafés. Der Aufruf eines Muezzins zum Gebet dringt aus der Altstadt herauf, in der einige Dutzend christliche Kirchen und an die 400 Moscheen stehen sollen. Die grünen Lichtringe um ihre Minarette schweben als kleine Ufos über dem nächtlichen Amman.
"A well behaved woman never made history" verkündet das Plakat in Julian Noursis hellem Büro unweit der Rainbow Street, und "immer richtig gut benommen", sagt die 32-jährige palästinensische Christin, "hab ich mich bestimmt nicht". Seit fünf Jahren organisiert sie das Techno-Festival "Distant Heat" am Rande des Wadi Rum im tiefen Süden Jordaniens - eine gigantische Ansammlung ausgetrockneter Flussbetten rund 50 Kilometer von der israelischen Grenze. Dann blubbern die Bässe um die gewaltigen Sandsteinfelsen, die wie ein Skulpturenpark mitten im jordanischen Hochplateau vor sich hin bröseln. Busse aus Amman und Aqaba bringen ausgelassene Deutsche, Jordanier, Iren, Libanesen, Ägypter und junge Holländerinnen in abgeschnittenen Jeans und Glitzertops zum Wüstenrave mit DJ Bee Bee - nicht weit von dort, wo einst Moses mit seinem Volk Israel auf den Weg ins Gelobte Land vorbeigezogen sein soll. Neben den "Sieben Säulen der Weisheit", monumentalen Felspilastern mit Sandsteinpuder, denen der legendäre Lawrence von Arabien ihren biblisch klingenden Namen gegeben hat, drängeln sie sich in Zeltcamps und im "Rum Gate Restaurant".
"Klar, 'Distant Heat' sollte die Botschaft eines modernen Jordaniens in die Welt tragen", sagt Julian. "Aber wenn ich ehrlich bin, wollte ich einfach etwas machen, zu dem ich auch meine Freunde aus dem Ausland einladen kann." Jetzt wirbt selbst das Jordanische Fremdenverkehrsbüro mit dem Festival.
Bildung für Beduinentöchter
Am nächsten Tag rollen wir von Amman auf dem Desert Highway in Richtung Süden. Geröll- und Steinwüsten gleißen in der Sonne - Orgien in Beige, als habe hier jemand alle Schattierungen des Farbtons auf einmal ausprobieren wollen. Alle paar Minuten wandert eine 40, 50 Meter hohe Windhose von Westen heran, quert in aller Ruhe die Fahrbahn und zieht weiter. Bald kommt es mir fast normal vor. Rechts am Horizont ragen dunkel die rissigen Silhouetten mehr als 1000 Meter hoher Berge auf. Dahinter liegt Israel. Urzeitland, durch das nahe der Autobahn gleichmütige Kamele streifen.

Nach drei Stunden taucht Ma'an in der Wüste auf, eine Stadt mit 30 000 Bewohnern, einer Festung und einem Phosphatwerk - so konturlos und erdfarben ins Nichts gestreut, als wolle sie sich möglichst rasch wieder aus der Erinnerung schleichen. "Ein Ammani geht nicht nach Ma'an, da gibt es nichts zu sehen", hatte Osama gezögert, als ich ihn bat, mich dort mit der Schuldirektorin Salfa Abu Tayeh bekannt zu machen. Dabei spielt sich in der von konservativen Beduinenclans beherrschten Region eine leise Revolution ab. So unscheinbar wie die Stadt selbst ist auch das Epizentrum des Wandels: ein Hof, umstanden von flachen Gebäuden, einer kleinen Moschee mit Kuppel und einer Handvoll Bäumen.
Die Rektorin der Schule für die Töchter der Beduinen empfängt uns mit der Haltung einer preußischen Generalin in ihrem Büro mit einer plüschigen Sitzgruppe für Gäste - eine Matrone mit Zahnlücke, lauter Stimme und zackigen Bewegungen. Sie trägt einen bodenlangen grauen Übermantel, das weiße Kopftuch hat sie eng unter dem Kinn geknotet. Eine Sekretärin, ebenfalls in Grau und mit Kopftuch, huscht heran und flüstert ihr etwas ins Ohr, eine andere gibt mit einer Glocke das Pausenzeichen. Schülerinnen in schwarzen Gewändern mit einem Blickgitter wie bei einer Burka eilen über den blankgefegten Hof - gefolgt von Mädchen mit offenem Haar.
Rektorin Abu Tayeh entstammt einer der wichtigsten Familien, ihre Geschwister sind Militärs, Minister, Manager. Ihr Urgroßvater hatte im Ersten Weltkrieg mit Lawrence von Arabien gegen die Osmanen gekämpft. Ihr eigener Kampf könnte das Land ebenso umwälzen, nur ganz friedlich. "Bildung, Bildung, Bildung", sagt sie und trommelt mit den Fingern auf dem Schreibtisch, den ein gutes Dutzend goldene und silberne Auszeichnungen für die Rektorin und ihre Schule zieren. "Bei uns sollen Mädchen lernen, dass sie unabhängig sein können." 900 besuchen die Schule und das Internat für Beduinentöchter, deren Familie noch wie einst durchs Land ziehen. Selbst Sex und Verhütung sind Thema im Unterricht. "Unsere Absolventinnen studieren überdurchschnittlich oft", sagt die Rektorin, "viele bekommen Stipendien fürs Ausland und werden später Juristinnen, Ärztinnen und hohe Beamtinnen." Sie selbst reicht uns weder zur Begrüßung noch zum Abschied die Hand, das verbietet die Tradition.

Schafe hüten in der Geröllwüste
Weiter südlich bei Ras an-Naqab treffen wir Osman und Amer, der eine 18, der andere 16. Das Lager der Hirtenjungen besteht aus ein paar Decken neben einem Felsen im welligen Gelände, einem rußschwarzen Teekännchen und einem Wasserkanister. Ganz in der Nähe fällt das Hochplateau tief zum Wadi Rum ab; auf dem Desert Highway keuchen schwere Laster die Steigung empor.
Amer reißt drei Hände voll trockenes Gras aus dem Boden und entzündet es unter dem Kännchen; Osman löffelt aus einer Plastiktüte Zucker in die Teegläser. "Heute Nacht war es ziemlich kalt", erzählt Amer. "Und die Hunde bellten oft", ergänzt Osman, "vielleicht ist ein Wolf um die Herde geschlichen oder eine Hyäne." Sie wollten nie etwas anderes machen als Schafe und Ziegen hüten, beteuert Osman und zupft am Bartflaum über der Oberlippe. Ob sie zur Schule gegangen sind? Klar, antworten sie, aber nicht so gern. Ihr Dorf liegt ein paar Stunden auf dem Esel entfernt, für den Notfall steckt ein Handy in ihrer Hirtentasche. "In Amman war ich noch nicht", sagt Amer, und Osman fügt verträumt hinzu: "Schau mal, diese Weite ..." Wir sehen nur heiße Geröllwüste, kilometerweit karge Böden, die nichts gemein haben mit der Sandstein-Schönheit des Wadi Rum.

"Warst du schon mal im Grand Canyon?", fragt Osama. Verdutzt schüttele ich den Kopf. "Dann fahren wir jetzt dahin", sagt mein Tourguide: Vor der Rückkehr nach Amman will er mir das Naturschutzgebiet Dana zeigen, das zweitgrößte des Landes, 50 Kilometer südlich des Toten Meeres. Bald stehen wir auf einem Plateau im Rummana-Lager mit 20 Zelten und drei Steinhäusern. Ein Stück tiefer liegt die "Feynan Eco Lodge" mit Solaranlage auf dem Dach - auch dies eine Idee der Royal Society for the Conservation of Nature, die sich um die sieben Naturschutzgebiete des Landes kümmert, Öko-Tourismus populär machen möchte und Wandertouren anbietet. Vor uns liegt ein cinemascopeweites Tal, orangerot ausgeleuchtet von der sinkenden Sonne. Wölfe leben hier, Wildkatzen streifen über die mit Steineichen und Erdbeerbäumen mit roter Rinde bewachsenen Hänge. Am nächsten Tag wandern wir selbst hinab in die grüne Felswildnis. "Weißt du, was das ist?", fragt Osama und stochert mit einer Stachelschweinborste in einem Klumpen herum. "Wolfskot!" Er pult ein Stück Fell hervor. Wo andere vorübergehen, entdeckt der ausgebildete Naturführer die Spuren wilder Tiere.
Dann steigen wir wieder empor und stellen uns auf einen Felsvorsprung über dem Abgrund. Von hier aus könnte man bis nach Petra und hinab zum Toten Meer beinahe 1600 Meter Höhenunterschied durchwandern, drei Klimazonen und kaum berührte Natur. Osamas Arm zeichnet den Horizont nach, als unter ihm ein Pärchen aus den Büschen tritt - abseits des Wanderweges. "Achtet auf die Natur, lauft nur auf den erlaubten Pfaden", ruft er. Und wie er da mit den Händen am Mund hinausruft in das gewaltige Panorama, wirkt er fast wie ein Mahner in biblischen Zeiten.