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Das Türchen im Zaun öffnet sich elektrisch, und wir schlüpfen hindurch. Für einen Moment noch folgen uns neugierige Blicke. Dann tauchen wir unter in der Menge der Menschen, die diesen Sonntag am gefrorenen Strand von Heiligendamm verbringen. Viele von ihnen reisen mit der "Molli" an, der alten Schmalspurbahn, die zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn hin und her schnauft. Fast alle Fahrgäste, die ihr entsteigen, zieht es zur "Weißen Stadt am Meer".
Niedrige grüne Zäune umgeben das "Grand Hotel Heiligendamm", Kameras überwachen die kleine Grenze der Exklusivität. Das Weiß des klassizistischen Ensembles triumphiert über den Winterhimmel, der wie ein angegrautes Laken im Hintergrund hängt. Gäste und Zaungäste blicken auf die diskrete, nie zu stürmische Ostsee und ergänzen das Bild im Kopf um Herzöge und russische Großfürstinnen, die ihre Zehen in die Wellen dippen: Im 19. Jahrhundert logierte der Hochadel im mondänsten aller deutschen Seebäder, um das eine oder andere Wehwehchen zu kurieren. Aus den Logier- und Badehäusern machte die DDR-Regierung ein Sanatorium für die Werktätigen, die nach der Wende den zahlungskräftigen Gästen wichen. Wir haben uns den Gang durchs Türchen und die damit verbundene Exklusivität mit einem ausgiebigen Frühstück erkauft.
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Für ein Heringsbrötchen auf die Hand wäre es ohnehin viel zu kalt. So zahlen wir 28 Euro pro Person und gehen gegen 12 Uhr satt und aufgewärmt hinaus in die kalte Seeluft, die schon die großen Fenster behaucht hat. Wir tragen Windstopperjacken, darunter warme Pullover, ziehen uns Mützen über die Köpfe und stecken die Hände in gefütterte Handschuhe. Das Thermometer zeigt acht Grad unter Null. Und ein steifer Nordost bläst die Küste entlang. In langer Dünung rollen die Wellen auf den gefrosteten Sand. Die Sonne glitzert jetzt in kleinen Eispfützen, die Halme des Strandhafers tragen Reifmäntel. Dicht nebeneinander stapfen wir in Richtung Nienhagen und werden von Minute zu Minute stiller. Der Wind reißt uns den Atem aus dem Mund.
Bei Börgerende stürmt das Meer gegen das Steilufer und überspült den Strand. Schaum bildet sich, rast in kleinen Wolken um unsere Füße. Wir kraxeln auf das Ufer und folgen dem Feldweg. Und hinter einer Biegung können wir ihn plötzlich sehen - einen gewaltigen graugrünen Schatten, den Gespensterwald. Bis an die Abbruchkante hat sich das Nienhäger Holz ausgedehnt, ein Wald, der überwiegend aus Buchen besteht, aber auch ein paar Eichen stemmen sich hier gegen die Ostseestürme. Und was die mit dem Wald machen, erklärt dessen Namen: Bizarr verformt ragen die Bäume auf, windschief, mit Ästen nur auf der dem Wasser abgewandten Seite. Die tief stehende Sonne malt gespenstische Schatten auf den Moosboden, der Schnee klebt als akkurate weiße Linie an den Stämmen.
Hinter dem Wald steht das Hotel Nienhäger Strand. Wir bestellen Salat mit gebratenem Fisch und dazu ein Bier. Und sehen zu, wie die Sonne untergeht. Schon um drei Uhr nachmittags scheint es uns zu dunkel, um durch den Wald zurückzugehen. Wir bestellen ein Taxi nach Heiligendamm. Denn dort wartet, dampfend, die Molli auf uns.
Info: Bummel in Eis und Schnee
Auf Rügen spaziert man im Nationalpark Jasmund bis zum Königsstuhl (mit Besucherzentrum und Bistro), der Kreidefels ist 118 Meter hoch, der Ausblick auf die Küste spektakulär. Info: Nationalparkzentrum Königsstuhl, Tel. 038392-66 17 66, www.koenigsstuhl.com
Der Strand an der Hohwachter Bucht ist naturbelassen, man spaziert bis zum großartigen Kuchen im Hotel "Genueser Schiff". Info: Hohwachter Bucht Tourismus, Tel. 04381-9 05 50, www.hohwachterbucht.de
Übernachten
Hotel Nienhäger Strand: Sehr schöne Lage am Meer, aber eher einfache Zimmer. Der Service ist umsichtig, das Essen allerdings nicht günstig. Ostseebad Nienhagen, Am Meer 1, Tel. 038203-8 11 88, www.hotelnienhaegerstrand.de
Grandhotel Heiligendamm: Bemerkenswertes Hotelensemble mit luxuriös ausgestatteten Zimmern. Das Essen ist grandios, das Frühstück eine Wucht. Bad Doberan-Heiligendamm, Prof.-Dr.-Vogel-Str. 16–18, Tel. 038203-74 00, www.grandhotel-heiligendamm.de