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Luxor: An den Ufern der Zeit

Links der Tod und rechts das Leben: Auf der stillen Westseite des Nils schlafen die Pharaonen. Die andere ist modern, geschäftstüchtig - und unterwegs zu neuer Größe. Das einstige Theben, eigentlich ein riesiges Freilichtmuseum, wird architektonisch geliftet

Wie anders könnte Luxor, wie anders die ganze Welt aussehen! Hätte Hassan Fathy gewonnen, sie wäre heute ein schönerer Ort. Erdfarbene Häuser würden im Niltal stehen, mit Kuppeldächern, Arkaden, Innenhöfen und vier Meter hohen Wänden. Mit Ziegeln aus Schlamm, Stroh und Sand gebaut, samtig verputzt und wunderbar kühl. Doch der Visionär aus Alexandria (1900-1989) konnte sich in den Vierzigern mit seiner Idee einer Architektur für die Armen nicht durchsetzen. Vielleicht war sie einfach zu gut - keiner hätte davon profitiert außer den Bauern selbst, kein Bauunternehmer, keine Bank, kein Politiker. Das Material für die luftgetrockneten Ziegel lieferte der Nil; die Techniken, die Fathy sich von nubischen Baumeistern hatte beibringen lassen, waren leicht zu erlernen.

Als ich in der Moschee von Neu-Gurna am linken Ufer stehe, durchsticht mich das Bedauern über Arroganz, verpasste Chancen und verlorene Schönheit wie ein schneller Schmerz. "Merken Sie, wie kühl es ist? Spüren Sie den Wind, Madame?", fragt Okas Mohammed (58). Er war noch ein kleiner Junge, da hatte Hassan Fathy seine Chance bekommen: Die 7000 Bewohner von Gurna im Westen Luxors sollten umgesiedelt werden. Denn ihr Dorf hatten sie über den Ruhestätten der Pharaonen am Fuße eines Berges errichtet - und wurden seit Generationen auf dem eifersüchtig verteidigten Terrain immer wieder bei Grabräuberei erwischt. Also baute der Architekt, schnell und billig, in der Nähe rund neunzig Häuser, eine Geschäftsstraße, eine Schule, ein Theater, sogar ein Minarett mit Außentreppe. Mögen der Unwillen der Dörfler daran schuld gewesen sein oder politische Querelen - letztendlich zog keiner ins "Hassan Fathy Village". Fast alle Gebäude wurden abgerissen oder bröseln vor sich hin. Heute steht nur noch die Moschee, Okas Mohammed ist ihr Hüter. Der hartnäckige Clan zog erst vor Kurzem grollend in eine neue Betonwürfel-Siedlung ein paar Kilometer weiter nördlich, in der sich die Hitze staut.

Tempel der Hatschepsut
Tempel der Hatschepsut
© MedioImages/ Corbis
Die Karnak-Tempel
Die Karnak-Tempel
© Stephen Studd/ Photographer's Choice/ Getty Images

Am linken Ufer des Nils stehen zwar einige Lehmziegel-Villen im Hassan-Fathy-Look; aber sie gehören reichen Europäern und Ägyptern. In die Häuser für die Armen hat sich die Elite verliebt. Auch sonst ist Luxor zweigeteilt. Rechts vom Nil, im modernen Revier der Lebenden, rauscht der Verkehr die Corniche entlang, umsummt Souks und Neubauviertel. Das Westufer des einstigen Thebens aber, das Reich der Toten, wirkt noch fast ländlich. Vom Minarett im Hassan-Fathy-Village aus sehe ich die Farbkontraste glühen. Blauer Himmel, gelbe Wüste, blendend weißer Sandstein, die Bläue des Flusses, die grünen Schilfgürtel des Ufers, Palmenhaine, Zuckerrohrfelder, roter Fels: Nur rund sechs Kilometer sandiges Land liegen zwischen Bergen und Nil - sowie die steinernen Reliquien des alten Ägyptens: Der Tempel der Hatschepsut. Das Tal der Könige mit den Gräbern Tutanchamuns und mehr als sechzig anderer Herrscher. Das Tal der Königinnen, die frisch gereinigten Kolosse von Memnon. Aller Abgeschiedenheit zum Trotz ist es der Libanesin Zeina Aboukheir allerdings gelungen, die Baugenehmigung für ihr Designhotel "Al Moudira" zu bekommen. Und das war ein Glück: Mit seinen schattigen Gärten voller Bougainvilleen, durch seinen Orientpalast-Stil und die erdigen Dunkelrotund Ockertöne, mit Höhlen, Kuppel und Nischen schmeichelt es der Landschaft; Hassan Fathy hätte es geliebt.

Mit dem ewigen Frieden West-Thebens scheint es ohnehin bald vorbei zu sein: Pläne für neue Wohnsiedlungen aus Beton gibt es bereits. "Sie haben mir die Stromleitungen gekappt", beschwert sich Ahmed Abdel Fattah, der in seiner Werkstatt am Grab eines alten Herrschers Hieroglyphen in eine Kalksteintafel ritzt. "Aber ich bleibe hier, ich kenn da ein paar Leute in der Verwaltung …" Luxor, wegen seiner Monumentendichte oft als größtes Freilichtmuseum der Welt bezeichnet, bekommt gerade ein städtebauliches Facelift. Für die Nilschiffe an der Corniche entsteht im Süden ein Hafen. Der Flughafen ist ebenso neu wie eine Autobrücke über die Bahngleise, der Bahnhof frisch renoviert. Das ehrgeizigste Projekt: Die Straße der Sphingen, die einst den Tempel von Karnak und den Luxor-Tempel miteinander verband, wird freigelegt. Dazu werden ganze Wohnviertel und Souks niedergewalzt, viele Bewohner sind schon zwangsumgesiedelt. "Die ersten", erzählt der junge Ire Stephen, der mit seiner Mutter Mara ein kleines Hotel hinterm Bahnhof führt, "bekamen noch neue Wohnungen, danach gab’s nur noch Geld. Manche leisten sich dafür aber auch eine zweite Frau." Der Optimismus ist jedenfalls nach Luxor zurückgekehrt; der Terroranschlag von 1997 am Hatschepsut-Tempel verblasst in der Erinnerung. Sogar der Zwang zum Fahren im Konvoi unter Polizeischutz wurde inzwischen wieder aufgehoben: Bis vor einem Jahr rasten bis zu hundert Busse hintereinander von den Resorts am Roten Meer durch die Wüste, und schwarmweise fielen die Touristen für jeweils exakt eine Stunde über die durch ihre Atemluft gefährdeten Altertümer her.

Dabei bräuchte man Stunden, Tage, ein ganzes Leben, um sie zu betrachten. Selbst zappelige Kinder lassen im Säulenwald des Tempels von Karnak ihre Gameboys sinken und lauschen den Geschichten der Reiseleiter. Der Zauber des alten Ägyptens ist in den weitläufigen Anlagen Thebens intensiver zu spüren als etwa in Kairo, wo die Pyramiden wie schüchterne Aliens am Rand eines Stadtmolochs kauern, der sich aus gigantischen Neubausiedlungen zusammensetzt. Auch in Luxor wohnen nun immer mehr Menschen in solchen Häusern. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihnen fehlt das Dach. Stephen sagt, dass ein Steuergesetz daran schuld sei. Ist ein Haus noch nicht verputzt und unfertig, müssen weniger Abgaben entrichtet werden. Die Folge ist ein urbaner Dschungel von kopflosen Bauten, aus denen Betonpfeiler mit traurig winkenden Eisenruten in die Luft ragen.

Die Hotels aber sind, abgesehen vom kolonialen "Old Winter Palace", moderne Schmuckstücke. Fast alle liegen am rummeligen Ostufer, wo sich die Kaleschen drängeln und die Souvenirhändler nicht lockerlassen, um Chinaware im Pharaonen-Stil loszuwerden. Wer hingegen in Stephens "Mara House" absteigt, in einem völlig untouristischen Viertel hinterm Bahnhof, erfährt ägyptischen Alltag. Hier wird kein Gast vom "Where do you come from - echt Alabaster"-Singsang genervt. Keiner schaut selbst alleinreisende Frauen auch nur an. Vorausgesetzt, sie überleben den Verkehrskampf von Kutschen, Motorrädern und Autos, können sie in Luxor Bilder einer Stadt betrachten, die mit 450 000 Bewohnern immer noch Provinz ist. Bauern, die auf Esel- oder Pferdewagen ihr Getreide zum Markt fahren. Kinder in Schuluniform an der Hand ihrer verschleierten Mütter. Supermärkte, Parks oder Restaurants sucht man vergeblich, stattdessen sehe ich Imbissbuden und mit Haushaltswaren und Gemüsekörben vollgestopfte Läden. Am Abend lasse ich mich mit einer Feluke auf dem Nil herumfahren, um den Sonnenuntergang zu sehen. Die "Basra" gehört Ali und seinem Cousin Abdullah. Ich lasse eine Hand durchs Wasser streifen, und die Hitze des Tages schmilzt. Das Westufer träumt schon, die letzten Touristen kommen mit der Fähre zurück. Ein paar müde Esel stehen im Schilfgürtel und trinken. Das Ostufer aber glitzert. Vor dem neuen Park am Luxor-Tempel picknicken ägyptische Familien, junge Männer segeln mit ihren kleinen Booten den Fluss entlang und springen kopfüber ins Wasser. Ali stammt aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater besitzt Land am Westufer. Eine Schwester arbeitet an der Botschaft in Oslo, andere Geschwister in Mailand, Kanada und Saudi-Arabien. "Ich habe in Kairo studiert", sagt er, "aber ich möchte nirgendwo anders als in Luxor leben." Welche Pläne er hier hat? "Ein Haus bauen, ein Haus, von dem aus man den Fluss sehen kann." Ob er Hassan Fathy kennt? "Ich soll ein Lehmziegel-Haus bauen, meinen Sie?" Ali lacht, denkt einen Moment nach. Und sagt langsam: "Warum eigentlich nicht?"

GEO SAISON Nr. 01/2010 - Ägypten

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