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Reisetraum Mit der Transsib durch Russlands fernen Osten

Die weniger populäre Strecke der Transsibirischen Eisenbahn führt durch Russlands Osten. Unser Autor fuhr von Chabarowsk bis Ulan Ude im Großraumwaggon um dann in den Luxuszug umzusteigen. Ein Systemvergleich
Reisetraum: Jeder Wagen des Linienzugs hat eine eigene Schaffnerin, Männer machen diesen Job nur selten
Jeder Wagen des Linienzugs hat eine eigene Schaffnerin, Männer machen diesen Job nur selten
© Martin Kaluza

Als ich auf dem Weg zu meinem Platz durch den ersten von drei Großraumwagen laufe, frage ich mich, was mich geritten hat, ein Bett in der Kategorie "Platzkartny" zu buchen. So heißen die Waggons, die 54 Betten beherbergen. Hier gibt es nur angedeutete Trennwände, keine Abteile, keine Türen. In den ersten beiden Wagen fläzen sich fast nur junge Männer auf den Liegen, vermutlich frisch von der Armee entlassen. Der Blick in den langen Gang erinnert an einen Lazarettwagen. Man kann es bequemer haben hier im Linienzug der Transsibirischen Eisenbahn – in den Abteilwagen beispielsweise, die ich gerade hinter mir gelassen habe. Doch ich suchte das Abenteuer, das authentische Transsib-Gefühl. Und das vermutete ich eher im Großraumwaggon.

In dem Wagen schließlich, in dem mein Schlafplatz liegt, ist das Publikum deutlich gemischter – junge und alte Leute, eine Rentnerin schräg gegenüber, ein paar Kinder. Die Schaffnerin weist mir die Pritsche mit der Nummer 7 zu. Dieses Bett wird für die nächsten drei Tage meine Heimat sein. Die Fahrt geht durch den fernen Osten Russlands: von Chabarowsk, am Amur gelegen, einem der großen sibirischen Ströme, ganz im Osten Russlands bis nach Ulan Ude, der Hauptstadt der Republik Burjatien, nicht weit von der mongolischen Grenze und nicht weit vom Baikalsee. Dort werde ich umsteigen in einen anderen Zug: den Zarengold-Express, einen luxuriösen Sonderzug. Ich habe sozusagen Gelegenheit zum Systemvergleich.

Abfahrt nach Moskauer Zeit

Die Transsibirische Eisenbahn ist nicht etwa ein einzelner Zug, wie vielfach angenommen. Sie ist vielmehr eine 9.288 Kilometer lange Eisenbahnstrecke, die Moskau und den Pazifikhafen Wladiwostok verbindet. Die letzte Lücke wurde 1916 geschlossen, als in Chabarowsk die drei Kilometer lange Brücke über den Amur fertiggestellt wurde. Auf der Strecke Moskau-Wladiwostok fahren alle ein bis zwei Tage durchgehende Züge, dazu mehrere täglich auf Teilstrecken und viele Güterzüge. Heute ist die Linie zweigleisig ausgebaut und durchweg elektrifiziert. Eine Woche braucht der Zug für den ganzen Weg.

Die Schaffnerin kontrolliert die Tickets auf dem Bahnsteig, noch bevor die Gäste an Bord gehen. Jeder Wagen hat seine eigene Schaffnerin, Männer machen diesen Job selten. Als die Abfahrt näher rückt, schaut sie auf die Uhr ihres Smartphones. Kein Pfiff kündigt an, dass es jetzt losgeht. Sie steht in der offenen Tür, schaut Richtung Lok und gibt mit einer Flagge ein Signal. Der Zug fährt pünktlich ab. Man darf sich von den Fahrplänen nicht verwirren lassen: Die Abfahrtszeiten richten sich immer nach Moskauer Zeit. Alles andere würde auf der Strecke, die durch acht Zeitzonen führt, unnötig Verwirrung stiften. Routinierte Transsibfahrer, so hören wir, haben zwei Uhren dabei – eine auf Ortszeit, die andere immer kremltreu.

Auf meiner Pritsche liegt ein Paket bereit: eine dünne Matratze zum Ausrollen und die in einem Plastikbeutel eingeschweißte Bettwäsche. Während ich meinen Beutel gedankenlos aufreiße, trennt die Mitfahrerin von der Liege über mir ihren Beutel akkurat entlang der kurzen Kante auf, entnimmt die Bettwäsche und hängt ihn dann als Müllbeutel an einen Haken unter dem Tisch. Routiniert sieht das aus.

Eine Mitreisende kann ein wenig übersetzen. Die Mitfahrerin von oben heißt Sveta, eine Kurzform von Sventlana. Sie ist Volleyballtrainerin, spielt selbst mit in dem Team, das sie coacht, und fährt bis Čita. Vor ihr liegen 2.334 Kilometer und zwei Übernachtungen im Zug. Alle zwei Wochen fährt sie die Tour. Mit dem Zug ist es nur halb so teuer wie mit dem Flugzeug. Schräg gegenüber sitzt ein Fotograf, der auf Familienbilder spezialisiert ist. Er bleibt nur wenige Stunden an Bord. Meist sitzt er regungslos da und schaut aus dem Fenster. Niemand scheint die Zeit mit Kreuzworträtseln oder Lesen zu verbringen. Selbst die Kinder sind auffallend ruhige Gesellen.

Die Passagiere bewegen sich kaum. Hin und wieder laufen sie zum Teekessel am Ende des Wagens. Unroutinierte Gäste, die kein Teeglas dabei haben, können bei der Schaffnerin hübsche Becher in verschnörkelter Halterung mit dem Logo der Russischen Eisenbahn leihen. Oder gleich kaufen – die Teebecher sind ein schönes Souvenir. Am Teekessel gießen viele Mitfahrer Fertiggerichte mit Wasser auf. Die meisten sind Selbstversorger, der Speisewagen ist praktisch nie voll besetzt.

Reisetraum: Keine Vorhänge, keine Trennwände. Eng an eng verbingen die Passagiere ihre Zeit im Großraumabteil des Linienzugs
Keine Vorhänge, keine Trennwände. Eng an eng verbingen die Passagiere ihre Zeit im Großraumabteil des Linienzugs
© Martin Kaluza

Das Bett ist zu kurz

Die erste Nacht. Das Bett ist kurz, vielleicht 1,80 Meter. Wenn ich mich ausstrecke, ragen meine Füße in den Gang. Als der Zug einmal hält und neue Passagiere zusteigen – zwickt mich da im Vorbeigehen jemand in den großen Zeh? Einmal katapultiert mich ein großer Ruck fast aus dem Bett. Doch das angenehme, leichte Ruckeln des Zuges lullt mich gleich wieder in den Schlaf. Die Abteile sind zwar sehr offen, doch die Nacht hier fühlt sich deutlich privater an als etwa ein Lager in einer Berghütte. In meiner direkten Umgebung schnarcht niemand, und wenn jemand weiter weg sägen sollte, wird das vom Ruckeln und den Fahrgeräuschen angenehm verschluckt.

Morgens um viertel nach vier (welches viertel nach vier auch immer) blitzt die Sonne gelblich zwischen den Birkenstämmen hervor. Wir passieren Lichtungen, über denen Bodennebel liegt. Ich habe Jetlag. Das kommt davon, wenn man elf Stunden nach Osten fliegt, um dann mit dem Zug tagelang nach Westen zu fahren. Schließlich Katzenwäsche mit kaltem Wasser in der Zugtoilette. Duschen gibt es im ganzen Zug nicht. Noch vor fünf bin ich fertig für den Tag. Ich lege mich wieder hin.

Ein herzerweichendes Wimmern reißt mich aus dem Dösen. Hat die Volleyballtrainerin von der Liege oben einen Albtraum? Mühsam windet sie sich herunter, reibt sich die Schulter, und sagt zur Erklärung ein Wort, das selbst ich verstehe: "Sporrrt." Ins Gespräch kommen wir dennoch nicht so recht. Später, als sie sich ein wenig berappelt hat, bietet Sveta kleine Pfannkuchen an, Blinys, und will etwas dazu erklären. Sie greift sich das Wörterbuch, das wir dabei haben, blättert hin, blättert her, und schreibt schließlich sorgfältig eine Reihe von Substantiven heraus: "Winter." "Abschied." "Fest." "Frühling." Dazu zeigt sie auf die Bliny. An jedem anderen Ort würde einem diese Kommunikation mühselig und langsam vorkommen. Hier macht das nichts. Wir haben alle Zeit der Welt. 40 Stunden noch.

Zugspaziergänge gegen Trägheit

Die Zeit fließt. Träge, aber sie fließt. Die Hitze im Zug verlangsamt das Denken zusätzlich, das Waggonthermometer klettert auf 29 Grad. Der sibirische Sommer ist kurz, aber er kann ganz schön heiß werden! Eine Klimaanlage scheint es nur in einigen der Platzkartny-Wagen zu geben. Die Fenster kann man nicht öffnen – nur einen kleinen Spalt, groß genug, um eine Kompaktkamera herauszuhalten. Die Stunden vergehen mit Zugspaziergängen, Teetrinken, aus dem Fenster gucken. Weite Ebenen und bewaldete Hügelzüge. Mal fährt der Zug entlang eines Flusslaufs, mal mitten durch den dicht stehenden Birken- oder Kiefernwald. Dörfer und kleine Siedlungen aus Holzhäusern sind dünn gesät.

Alle zwei bis sechs Stunden hat der Zug einen längeren Halt, fünf Minuten, eine halbe Stunde. Das reicht, um sich die Beine zu vertreten. Raucher nehmen mit geschlossenen Augen einen Zug. Einige von den Armeejungs machen Liegestütze. Fliegende Händler sehen wir nicht, keine Mütterchen, die in die Waggons klettern, um ihr Essen anbieten. Das, erklärt man uns, liegt an den Vorschriften. Man darf neuerdings nur an festen Ständen oder Kiosken auf dem Bahnsteig etwas verkaufen.

Immerhin, die Spaziergänge im Zug sind somit nicht so ziellos. Drei Mal täglich enden sie im Speisewagen, dessen Öffnungszeiten sich übrigens nicht nach Moskauer, sondern nach Ortszeit richten. Dort ist es brütend heiß. Die Küche bietet Soljanka, Gulasch, Zungensalat. Zum Glück funktioniert der immense Kühlschrank, in dem Sascha, der Minibar-Chef, die Biervorräte stapelt.

Auf dem Rückweg zu meinem Platz stehen die Armeeheimkehrer zwischen den Waggons, rauchen und halten passierenden Fahrgästen die Türen auf. Wir grüßen einander. Man kennt sich ja schon.

Reisetraum: Von außen gibt es kaum einen Unterschied: Der Zarengold schlängelt sich entlang des Baikalsees. Innen jedoch ist der Zug aufwendig gestaltet
Von außen gibt es kaum einen Unterschied: Der Zarengold schlängelt sich entlang des Baikalsees. Innen jedoch ist der Zug aufwendig gestaltet
© Martin Kaluza

Kulturschock Zarengold-Express

Am dritten Tag dann der Kulturschock. In Ulan Ude steigen wir um in den Zarengold-Express. Das ist ein Sonderzug, der rund fünf Mal im Jahr verkehrt. An Bord sind 180 Touristen überwiegend aus Deutschland, die eine zweiwöchige Zugreise von Peking nach Moskau gebucht haben – die Strecke stößt in Ulan Ude auf die Transsib-Hauptroute aus Wladiwostok. Im Gegensatz zum Linienzug sind hier längere Aufenthalte fest eingeplant, die Gäste unternehmen Landausflüge wie auf einer Kreuzfahrt. In diesem Zug geht es luxuriös zu! Großraumwagen gibt es gar nicht. Selbst in der einfachsten Klasse mit Vierbettkabinen hat jeder Waggon Duschen. Die teuersten Zweibettkabinen, die ungefähr wie ein Wohnmobil ausgestattet sind, haben sogar ihre eigenen Duschen.

Die Speisewagen sind aufwändig dekoriert, und sie sind zu den Mahlzeiten brechend voll. Damit alle 180 Passagiere gleichzeitig essen können und abends nicht allein in ihren Kabinen sitzen müssen, sind hier gleich drei Speisewagen angehängt. Als Begleitung zum Abendessen haut ein Akkordeonspieler in die Tasten. In hohem Bogen gießt der Kellner Wodka in kleine Gläser auf einem Tablett.

Ein Stück Abenteuer hält der Luxuszug allerdings bereit: Am Baikalsee biegt der Zarengold-Express auf eine eingleisige, nicht elektrifizierte Nebenstrecke ab. Der Lokführer stoppt den Zug und lässt Gäste auf der Diesellok mitfahren – und zwar nicht im Führerhaus, sondern außen, auf einer Plattform neben dem Motorblock. Die Maschine heult auf wie ein Jet, und mit 30 Stundenkilometern rattern wir direkt am Ufer des Baikalsees entlang, vorbei an Dörfern, die nach den Streckenkilometern benannt sind, vorbei an vereinzelten Zelten, und in der kühlen Morgenluft ist das dann Rock'n Roll und großes, großes Landschaftskino.

Reisetraum: Gleich drei Speisewaagen gibt es, damit alle 180 Passagiere zur gleichen Zeit essen können, samt Musikprogramm
Gleich drei Speisewaagen gibt es, damit alle 180 Passagiere zur gleichen Zeit essen können, samt Musikprogramm
© Martin Kaluza

Linie oder Luxus?

Auf der Transsibirischen Eisenbahn fahren viele Züge. Die Hauptstrecke von Moskau nach Wladiwostok ist 9288 Kilometer lang. In Ulan Ude, nicht weit vom Baikalsee, teilt sie sich: Ein Zweig führt durch die Mongolei nach Peking, und es gibt noch weitere Nebenstrecken. Nicht alle Linienzüge fahren die komplette Strecke ab. Von Moskau nach Peking und zurück fährt der Zarengold-Express, ein Sonderzug.

Fahrzeiten

Linienzug: Täglich bzw. jeden 2. Tag durchgehende Züge, dazu mehrere Züge auf Teilstrecken, die meisten täglich.

Zarengold: Sechs mal im Jahr Moskau-Peking-Moskau. Moskau-Wladiwostok seltener.

Strecke/Dauer

Linienzug: Moskau-Wladiwostok 7 Tage; Moskau-Peking 7 Tage.

Zarengold: Moskau-Peking 13 Tage; Moskau-Wladiwostok 14 Tage (zzgl. 3 Tage An-/Abreise)

Komfort/Klassen

Linienzug: In der zweiten Klasse sind die Gäste in Viererkabinen untergebracht, die erste Klasse sind die gleichen Kabinen in halber Belegung. Die Königsdisziplin heißt Platzkartny: 54-Betten-Waggons ohne Abteile.

Zarengold: Die einfachste von fünf Kategorien sind Viererkabinen mit Dusche auf dem Gang. Die komfortabelste ist Bolschoi Platinum mit zwei Betten, 7,15m2 Platz und eigener Dusche/WC.

Preis

Linienzug:Moskau-Wladiwostok ab EUR 1.600,- bei Zweierbelegung im Vierbettabteil; ab EUR 920,- im Viererabteil; ab EUR 500,- im Großraumwagen „Platzkartny“. Moskau-Peking ab EUR 1.200,- (im 2-Bett-Abteil, exkl. Flug).

Zarengold: Moskau-Peking ab EUR 3.900,-; Moskau-Wladiwostok ab 4.370 Euro, (einfachste Kategorie); jeweils inkl. Ausflügen, Hotelübernachtungen, Mahlzeiten und Flug ab Deutschland). In der höchsten Kategorie Moskau-Peking ab 13.130 Euro.

Anbieter

Linienzug:go-east.de und realrussia.co.uk

Sonderzüge:lernidee.de

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