Es ist zu spät, um noch umzukehren und den Ratschlag des Kanulehrers zu befolgen:
"Bei Wolken am Ufer bleiben, keinesfalls raus auf den See." Genau dort aber ist jetzt das
Kanu, und ein heftiger Nordwind peitscht das Wasser. Der Stora Gla, der eben noch so ruhig und
einfach zu überqueren schien, ist wütend geworden und schickt eine Wellenfront nach der anderen
dem Boot entgegen, das voll gelaufen ist - und jeden Augenblick kentern wird. Die Arme schmerzen.
Lange reicht die Kraft nicht mehr, um gegen den Wind zu steuern und zu verhindern, dass sich das
Kanu dreht - und von den Wellen voll erfasst wird.
Die Lage scheint aussichtslos. Doch plötzlich flaut der Wind ab und eröffnet die Chance, umzukehren:
zu diesem malerischen Lagerplatz auf der Landzunge, gleich gegenüber der Insel Älgön. Mit letzter Kraft
gelingt die Rückkehr – und auch noch, nass und verfroren die Tonnen aus dem Kanu zu hieven, das Zelt
aufzubauen und die erste Büchse Bohnen zu öffnen.
Eine Stunde später ist die missglückte Seeüberquerung am knisternden Feuer schon eine schöne, wilde
Erinnerung. Und Teil einer Wildniswoche auf Övre Gla und Stora Gla, zwei der fast 80 Seen im Kanu-Revier
Glaskogen, das in der westschwedischen Provinz Värmland liegt. Glaskogen ist nicht so stark von Kanuten frequentiert wie etwa die Seen in der Provinz Dalsland. Hier
ist meist eine Insel oder Bucht für das Zelt frei. Oder aber eine der Windschutzhütten, neben denen oft
Feuerholz liegt und Toilettenhäuschen stehen.
Die Infrastruktur für Kanuten und Wanderer ist vorbildlich, trotz der Abgeschiedenheit des spärlich
besiedelten, 28.000 Hektar großen Naturschutzgebietes. 300 Kilometer markierte Wanderwege gibt es,
dazu mehrere Kanustationen wie etwa in Arvika, Glava Glasbruk – oder Lenungshammar. An diesem Weiler
zwischen Ovra Gla und Stora Gla gibt es eine Portage, also eine Strecke, bei der das Kanu auf den Wagen
geschnallt und ein Stück durch den nach Rinde und Pilzen duftenden Spätsommer-Wald gezogen wird.

Keine Angst vorm bösen Wolf
Lennungshammar bringt mit seinem aufgeräumten Campingplatz, einem Lebensmittelladen und dem Café "Karl XII" schon beinahe
Luxus ins asketische Kanutenleben. "Sie können sich nachschütten, so oft sie wollen", sagt die junge
Frau hinterm Tresen. Hier hält man es aus.
Aber nicht zu lange. Denn da ist schnell wieder der Gedanke
an diese eigene Stille, die auf dem Wasser
einkehrt, wenn der schwedische Wald in zarten Indian-Summer-Farben vorüberzieht und eine V-Formation
Kanadagänse die Morgenröte durchschneidet. Glaskogens Fauna hat alles:
Kaum Stechmücken, dafür Kraniche, Luchse, Biber, Elche. Und eine weitere Art:
Das erste Geheul zieht vom anderen Seeufer herüber, gegen 23 Uhr, als das Feuer
schon fast heruntergebrannt ist. Dann folgt ein zweiter Ruf. Und die Frage: Wer
führt hier, mitten im Wald und fern jeder Ortschaft, nachts seinen Hund spazieren?
Die Antwort gibt es am nächsten Morgen beim Heidelbeersammeln, nach dem Bad im See: Auch
Wölfe leben in Glaskogen, steht auf einer Schautafel. Und ein Bär wurde schon gesichtet.
Mit diesen Erkenntnissen mutet an diesem Tag alles noch wilder und urtümlicher an: der
Fischadler vor blasslila Wolkenwänden, das Baumstamm-Mikado, dass Biber am Ufer gelegt haben,
die Felsen, die steil aus dem rostbraunen Wasser ragen. Der Fischer, der vom Boot sein Netze auslegt.
Und die eigene Angeltour, die, nicht wie vorgestern, Hecht in Alufolie zum Ergebnis hat. Stattdessen
gibt es am letzten Abend wieder Bohnen. Aber deren Geschmack ist Nebensache.
Denn die Gedanken kreisen um den "glänzenden Wald", wie Glaskogen auf Deutsch heißt. Und fragen danach,
wann dessen Bilder und Farben möglichst bald wieder glänzen, strahlen, leuchten können.
Hinkommen:
Die Anreise von Deutschland mit dem Auto führt zur Küste, etwa bis Kiel oder Puttgarden.
Weiter geht es dann mit der Fähre (Scandlines www.scandlines.de oder Stena Line www.stenaline.de)
nach Kopenhagen, Malmö oder weiter nach Göteborg. Von dort führt die Route dann über Vänersborg,
Svanskog und Arjäng nach Lenungshammar. Arvika, die "Hauptstadt" Glaskogens, ist auch mit der Bahn
über Kopenhagen und Göteborg zu erreichen. Arvika ist dann per Bus erreichbar. Der nächste Flughafen
ist Oslo/Torp in Norwegen, den Ryanair anfliegt. Weitere Informationen: Camping Lenungshammar,
Tel: +46 (0)570-440 70, E-Mail: glaskogen@arvika.se. Glaskogen allgemein: www.glaskogen.se
Zelten und Paddeln:
Touristen finanzieren die vorbildliche Infrastruktur im Naturreservat mit dem Erlös einer
Aufenthaltserlaubnis, der "Glaskogskortet", die man für 30 schwedische Kronen pro Tag
am Campingplatz Lenungshammar erhält - wo auch Kanus vermietet werden. Der Campingplatz
hat vom 1.5. bis 30.9. geöffnet und eignet sich gut als Ausgangs- und Endpunkt einer Tour.
