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Keine zwanzig Touristen haben sich an Acapulcos berühmten La Quebrada-Felsen versammelt, um den professionellen Klippenspringern dabei zuzuschauen, wie sie aus 40 Metern Höhe in die Fluten des Pazifiks eintauchen. "Die Leute zahlen mich für etwas, was ich liebe. Das ist kein Job, sondern Teil meines Lebens", erklärt Miguel Angel Rodríguez, der seit er 16 ist Klippen springt. Früher versammelten sich hier Menschenmassen und sicherten den Springern ein einträgliches Auskommen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Überall in der Stadt sieht es ähnlich aus: Die Hotels sind nur zu einem Bruchteil ausgelastet; viele Geschäfte und Apartments stehen leer, werben großflächig um Käufer oder Mieter. Clubs und Bars reduzieren Personal und Öffnungszeiten. Selbst die Kreuzfahrtschiffe machen mittlerweile einen Bogen um Acapulco.
Tristesse überwiegt
Acapulco, das klingt in vielen Ohren zwar immer noch wie ein Versprechen: Sonne, Strand und Luxus. Doch die Zeiten als sich Hollywoodgrößen wie Frank Sinatra, Bob Hope und Elizabeth Taylor hier vergnügten, scheinen unwiderruflich vorbei. Auch wenn die mexikanische Tourismusindustrie Rekordzahlen an Besuchern vermeldet - nach Acapulco kommen sie nicht mehr. Tristesse überwiegt.
Zuletzt haben Schweinegrippe und die überbordende Gewalt des mexikanischen Drogenkrieges das Tourismusgeschäft einbrechen lassen. Die Besucherzahlen in Acapulco haben sich in den letzten fünf Jahren halbiert. Vor allem in den vergangenen 18 Monaten ist der Abfall dramatisch - mit Konsequenzen für den gesamten Bundesstaat. Denn Acapulco erwirtschaftet vier Fünftel des Bruttoinlandsprodukts von Guerrero.


Im vergangenen Sommer eskalierte die Gewalt in Acapulco. Allein im August wurden mehr als 140 Menschen getötet. Statistiker rechnen Acapulco zu den gefährlichsten Städten weltweit. Touristen sind zwar auch unter den Opfern, aber eher weil sie in von Kartellen umkämpfte Gebiete geraten sind, als dass sie gezielt angegriffen wurden. Trotzdem sprach die US-Regierung Reisewarnungen aus. Und vor einigen Monaten sah sich die Regierung in Mexiko-Stadt gezwungen, Militär und Bundespolizei zur Unterstützung der lokalen Polizeikräfte zu schicken. Laut Guerreros Tourismusministerin Graciela Báez diente die Maßnahme vor allem dazu, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen. Aber auch sie weiß: "Dem Image ist es sicherlich nicht förderlich, Polizei und Militär die ganze Zeit in den Straßen zu haben."
Doch die Krise des Tourismus in Acapulco begann schon vorher. "Der Erfolg von Acapulco fällt mit dem Ende von Havanna als Tourismusziel zusammen, als Europa sich noch nicht vom Zweiten Weltkrieg erholt hatte", erklärt Báez. Damals begründete sich Acapulcos legendärer Ruf. Die Attraktivität seiner Strände diente als natürliche Filmkulisse und der internationale Jet Set machte die Stadt in den Vierzigern bis Sechzigern zum Synonym für Glamour. Im Jahr 1967 adelte das "Life Magazine" Acapulco zum Top Jet Ressort. Und das Hotel "Los Flamingos" warb mit dem Spruch: "Willkommen im Versteck der Hollywood-Bande". Showgrößen wie Elvis Presley, Ursula Andress, Rita Hayworth oder Errol Flynn verbrachten ihren Urlaub in Acapulco.
Der Jet Set ist längst weitergezogen
Im Glauben an ewig andauerndes Wachstum und das Versprechen des schnellen Geldes wurden die Strände zubetoniert und es wird bis heute weiter gebaut. Der Jet Set aber ist längst weitergezogen. Gleichzeitig machten andere Tourismusziele wie Cancún der Stadt Acapulco die Besucher streitig. Viele Hotels stehen heute leer. "Letztes Jahr ist es wirklich zurückgegangen - von sehr guten Auslastungen zu kompletten Leerstand, es war sehr schwierig, sehr enttäuschend", sagt Mariana Aragones, Managerin des Encanto-Hotels, eines Familienbetriebs in den Hügeln oberhalb Acapulco, das erst vor zwei Jahren eröffnet wurde. Mitarbeitern sei bereits gekündigt worden, andere arbeiten nur noch halbtags. Acapulco lebt vom Tourismus - und wenn die Touristen wegbleiben, stirbt die Stadt.
Die Regierung habe Acapulco aufgegeben, beklagt der Präsident des Hotelverbandes "Acapulco Tradicional", Javier Saldivar: "Sie haben uns keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt, doch die Nähe zu Mexiko-Stadt hat uns davor gerettet, dass der Ort zur Geisterstadt geworden ist." Haben die Hotels früher einheimische Gäste nicht empfangen wollen, da alles auf den internationalen Tourismus ausgerichtet war, sei man heute froh über jeden Gast, so Saldivar. Das gilt auch für die legendären Nachtclubs Acapulcos, wie das "Palladium". Seit einigen Monaten hat man nicht mehr sechs Nächte in der Woche geöffnet, sondern nur noch zwei.
Aber die Probleme sind zum Teil hausgemacht. Als Baez letztes Jahr ihren Posten antrat, hatte Acapulco noch nicht einmal eine eigene Tourismus-Webseite. "Etwas, das man kaum glauben kann", so die Ministerin. Aus Nordamerika gibt es im Moment nur aus Houston Direktflüge nach Acapulco - auch dies ein Zeichen für verloren gegangenes Interesse. Baez macht die fehlende Werbestrategie verantwortlich und verspricht, das zu ändern. Die Imagekampagne "Habla bien de ACA" (ein Wortspiel, ACA steht für Acapulco, bedeutet im Spanischen aber auch "hier": "Sprich gut von hier/Acapulco") wurde gegründet und soll ein positiveres Bild von der Stadt zeichnen.
Ende Februar wurde zudem ein von der Regierung von Guerrero initiiertes Projekt vorgestellt, das Acapulco alten Glanz wiederherstellen will. Der Beraterstab, dem mehr als 80 Kulturschaffende, Unternehmer und Politiker angehören, wird vom reichsten Mann der Welt angeführt, dem mexikanischen Magnaten Carlos Slim, selbst eine Berühmtheit in Acapulco und gerngesehener Gast bei gesellschaftlichen Ereignissen. Sein Hotelunternehmen Ostar betreibt unter anderem das Hotel Calinda in Acapulco. Das Projekt plant, Acapulcos Transportsystem zu modernisieren, neue Einkaufszentren sollen entstehen, ein Meeresmuseum, bessere Zugänge zum Strand. Acapulcos Wirtschaft soll wieder angekurbelt werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und Touristen anzuziehen. "Es ist sehr wichtig, dass es wirtschaftliche Aktivität und Investitionen im ganzen Land gibt, wir müssen wachsen, denn wenn wir nicht wachsen, werden keine Arbeitsplätze geschaffen", so Slim. Aus dem Munde eines Unternehmers klingt alles ganz einfach. Miguel Angel Rodríguez traut den Versprechen auf baldigen Aufschwung jedoch nicht so ganz. Er hat seit kurzem einen Zweitjob als Wachmann angenommen - die einzig boomende Branche in Acapulco, wie es scheint.
