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Pilot in Lederhosen
"Toi toi toi! Ruf bitte an, wenn du gelandet bist. Und kommst du zum Mittagessen?", fragt Oma und streckt mir zwei gedrückte Daumen entgegen. Schnell verspreche ich ihr sowohl Anruf als auch Essen und steige ins Auto.
Von Kaltern bis Saltaus brauche ich etwa 40 Minuten, und um nicht an die bevorstehende Prüfung meiner Höhenangst zu denken, höre ich laut Musik. Es wirkt, und schon bald stehe ich vor einem breitgrinsenden Piloten.
"So, du fliegst also heute mit mir?" Hans ist Paraglider mittleren Alters, braun gebrannt und trägt Lederhosen. Meine anfänglichen Bedenken lösen sich sofort in Luft auf, irgendwie fühle ich mich mit ihm an meiner Seite gleich sicher. Hans macht den Anschein, als wisse er, was er tut. Wir stehen an der Talstation der Hirzer-Seilbahn in Saltaus. Ich nehme den Rucksack, Teil der Ausrüstung für den Tandem-Paragleitflug, den Hans mir reicht, und schnalle ihn mir auf den Rücken.
Es ist das erste Mal, dass ich einen solchen Flug antrete, und meine leichte Angst vor Höhen hilft bei diesem Vorhaben nur bedingt.
Es ist ein sonniger Samstagvormittag, einer der Ersten in diesem Sommer. Es ist warm, die Berge strahlen mit ihren schneebedeckten Gipfeln in der Sonne und alle haben gute Laune. Hans und ich sind nicht die Einzigen auf den Weg zur Seilbahn, die uns zum Startplatz in 2.200 Metern bringt.
Gemeinsam mit mir suchen noch zwei weitere Frauen das Abenteuer in schwindelerregender Höhe, jede mit eigenem Piloten. Ich unterhalte mich mit den beiden, eine Dame mittleren Alters und eine jüngere etwa in meinem Alter, beide aus Deutschland und für den Urlaub angereist. Es ist beruhigend, die beiden dabei zu haben, denn sie sind genauso nervös wie ich. Und alle drei versuchen wir, es vor unseren vor Zuversicht und guter Laune strotzenden Piloten zu verstecken.
In der Seilbahn auf dem Weg nach oben erzählt plötzlich einer der drei Burschen von einem abgebrochenen Flug, da sich der Kunde beim Start den Fuß verstaucht hatte. "Oh Gott", sagt meine junge Begleiterin, "jetzt bitte nur keine Absturzgeschichten." Wir lachen alle, aber innerlich gebe ich ihr von ganzem Herzen recht.
Die Fahrt in der Seilbahn ist kurz, und schon bald befinden wir uns auf Klammeben, dem Startplatz. Ich bereite mich auf einen sofortigen Abflug vor, und werde eines Besseren belehrt. Unsere Piloten sind nämlich nicht nur geprüfte Tandemflieger und Unterhalter, sondern machen auch noch hervorragenden Kaffee im Restaurant bei der Bergstation.
Also noch rasch einen Cappuccino geschlürft und die Aussicht genossen. Dann heißt es wieder Rucksack auf die Schultern, und ab zum Aufstieg. Jetzt macht auch der Prospektaufruf für gutes Schuhwerk Sinn: Der Weg bis zu den Wetterfahnen auf der steilen Wiese ist nichts für Ballerinas oder Sandalen. Bei den Wetterfahnen angekommen breiten die Männer ihre Schirme aus, während wir Damen warten. Es bleibt Zeit für einen letzten Blick auf das wunderschöne Panorama, das sich vor uns erschließt und für den Abschied an alle Bedenken, die wir bis zu diesem Punkt noch hatten: Denn jetzt gibt es kein zurück mehr.

Adrenalin pur!
Ich setze Helm und Sonnenbrille auf, ziehe die Jacke an und lasse mich von Hans endgültig in den Rucksack-ähnlichen Sitz schnallen, während ich seinen Instruktionen bezüglich des Startens lausche. Einfach geradeaus loslaufen, nicht hinsetzen, nicht warten. Ganz einfach eigentlich. Ich sehe meiner jungen Abenteuer-Freundin zu, wie sie startet: Sie macht es wie aus dem Bilderbuch, es sieht sehr einfach aus und fast elegant, wie sie sich gemeinsam mit ihrem Piloten nach kurzem Anlauf auf der Wiese in die Lüfte schwingt. Mit besten Vorsätzen schnallen auch Hans und ich uns an den Schirm. Ich laufe los, rutsche aus und stolpere auf Hans‘ Anweisungen hin weiter. Das war’s mit meiner guten Haltungsnote, geglückt ist der Start dennoch. Schon heben wir ab, der Zug des Windes reißt uns mit und die Beine baumeln. Der Anblick und das Gefühl sind atemberaubend. Wir gleiten sanft über Wiesen, Waldstücke und Gasthöfe. Hinter mir begrüßt Hans die Wanderer unter uns mit einem urigen Jodler, und ich lache nervös. Der Wind trägt uns höher, und Hans sucht eine kleine Thermik, in der wir unsere Runden drehen.
Die Spiralen, die wir fliegen, fühlen sich an wie Loopings in der Achterbahn: Es zieht vom Bauchnabel über die Wirbelsäule bis in die Fingerspitzen. Adrenalin pur! Der Wind in dieser Höhe ist ungezähmt, er reißt und zerrt am Schirm und ich bekomme kleine Angstanfälle. "Oh, was ist denn jetzt los?", höre ich von hinten, und mein Herzschlag setzt für einen Sekundenbruchteil aus. Ich muss meinen von Adrenalin und Höhenangst gebeutelten Verstand sehr anstrengen, um mich an Sarkasmus und dessen Verwendung zu erinnern, doch irgendwie gelingt es mir. Als ich Hans in gespielter Panik etwas zurufe, lacht er aus vollem Hals. Er amüsiert sich königlich, und seine gute Laune ist ansteckend. Nicht, dass er mich aufmuntern müsste: Die Aussicht ist fantastisch und auch für eine Südtirolerin, die an Berge und Wiesen gewöhnt und derer oft sogar schon überdrüssig ist, atemberaubend. In dieser Höhe meldet sich der Heimatstolz und ich seufze glücklich. Das Wetter ist klar, die Sicht reicht bis ins Ultental und in den Vinschgau, nach Meran, auf das Burggrafenamt und auf die Berge.
Je weiter wir nach unten sinken, desto ruhiger werde ich. Meine verkrampften Hände lösen sich langsam von den Gurten und ich kann mich zurücklehnen. Hans unterhält sich mit mir über die Landschaft und zeigt, wo er vor 23 Jahren das Paragleiten gelernt hat. Ich bin neugierig und will wissen, ob das denn nicht schwierig ist. "Nein, es geht schon. Ich bin nur ein einziges Mal in den Bäumen gelandet, und das gehört dazu", sagt mein uriger Pilot in Lederhosen. Ich erkläre ihm, dass ich die Info über seine exzellente Absturzrate gerne etwas früher gehabt hätte.
Darauf lacht er vergnügt und kündigt ein Looping an. Ich wappne mich gespannt. Die junge deutsche Touristin und ihr Pilot sind mittlerweile bereits auf der Wiese unter uns gelandet. Hans setzt zur letzten Spirale an. Wieder meldet sich das Achterbahnfeeling und wir jauchzen beide vergnügt. Und dann sind wir auch schon fast unten. Ein letztes Kommando und ich setze sanft mit dem Po Voraus im hohen Gras auf, Hans bleibt hinter mir stehen. Mit zittrigen Fingern und einem breiten Grinsen löse ich die Schnallen und versuche, nach dem uneleganten Start wenigstens grazil aufzustehen. Es gelingt zufriedenstellend.
Noch ein schnelles Abschiedsfoto und ein Bussi auf die Wange: "Danke, es hat echt Spaß gemacht, mit dir zu fliegen!" sagt Hans. Ich lache und bedanke mich vielmals für den tollen Flug. Sobald meine Knie aufhören zu zittern rufe ich Oma an. Dann muss ich mich beeilen, denn die Schnitzel liegen schon in der Pfanne.
Informationen zu Paragliding in Südtirol
Flugroute der Autorin
Bergstationflug Hirzer
Preis: 130 Euro (100 Euro + 10 Euro Seilbahn + 20 Euro für Film und Fotos)
Flugdauer: ca. 30 Minuten
Höhendifferenz: 1.750 Meter
Startplatz: 2.200 Meter, etwas oberhalb der Bergstation Hirzer
Landeplatz: 450 Meter neben Hotel Torgglerhof in Saltaus
Zeitaufwand: insgesamt etwa 90 Minuten
Veranstalter
Tandemclub Ifinger – Fly Hirzer
Saltaus, Passeiertal
Tel: 0039-3397631715