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Es ist dieser Strand, der überwältigt. Neun Kilometer zieht er sich an der Nordsee lang, Sand, so weit das Auge reicht. Verschwenderisch breit besonders bei Ebbe, wenn das zurückweichende Wasser steinerne Buhnen freilegt und die Luft noch würziger nach Salz und Fisch riecht. »La reine des plages«, »Königin der Strände« hieß das belgische Seebad einst.
Ende des 19. Jahrhunderts galt es als Inbegriff des Mondänen, wetteiferte mit Brighton, Belgiens König Leopold II. hielt hier Hof und investierte das Geld, das er aus seiner Privatkolonie Kongo grausam herauspresste. Nach Hitlers Machtergreifung wurde Oostende zum Zufluchtsort von Schriftstellern wie Stefan Zweig, Joseph Roth oder Ernst Toller. Bewegend beschrieben in Volker Weidermanns Bestseller »Ostende – 1936, Sommer der Freundschaft», den Regisseur Uli Edel jetzt verfilmen will. Oostende ist außerdem die Heimat des berühmten Malers James Ensor – und heute ein Hotspot für Street Art.
Schöne Entdeckungen in Oostende
So frei und weit der Blick aufs Meer, so zubetoniert ist die Landseite des einst strahlenden Seebads, mit überwiegend gesichtslosen Apartmenthäusern. Erleichtert atme ich auf, als ich auf der Promenade Zeedijk die Königlichen Galerien erreiche. Durch den kurz nach 1900 erbauten Säulengang konnten erlauchte Herrschaften einst wind- und wettergeschützt zur Pferderennbahn gelangen. Heute stützen Stahlträger die Kolonnaden bis zur überfälligen Restaurierung.
Doch besonders im Abendlicht schimmert Glanz vergangener Epochen auf. Inzwischen renoviert wurde das 1883 eröffnete Hippodrom Wellington, im Juli und August laufen vor denkmalgeschützten Tribünen wieder die Pferde um die Wette. Mehr Belle Époque entdecke ich im Viertel hinter der Rennbahn rund um den Platz Petit Paris, wo reich dekorierte Bürgerhäuser erhalten sind.
Schwerer fällt es dagegen, heute noch Spuren deutscher Emigranten zu finden, auch wenn die belgische Schriftstellerin Els Snick die Erinnerung wachhält: Im Oostender KulturzentrumKAAP stellte sie unlängst den Briefwechsel »Jede Freundschaft mit mir ist verderblich« zwischen Joseph Roth und Stefan Zweig in niederländischer Sprache vor. Der Pavillon an den Galerien ist übrigens auch für Jazz-Konzerte eine gute Adresse (Zeedijk 10). Das »Café Flore«, in dem sich vor Kriegsbeginn Literaten wie Egon Erwin Kisch, Arthur Koestler oder Irmgard Keun trafen, existiert nicht mehr. Aber in der Brasserie Du Parc, mit ihrem Art-déco-Interieur ein aus der Zeit gefallener Ort, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie Joseph Roth hier trank und an der Weltlage verzweifelte (Marie-Joséplein 3).

Die »wunderbarhaftige Schönheit« des Meeres, wie er es formulierte, malte James Ensor immer wieder. Seine Heimatstadt verließ der Maler eigentlich nie. Seine Werke hängen in Antwerpen, Brüssel, Los Angeles und München, ab 2020 wird man auch wieder sein Wohnhaus an der Vlaanderenstraat besuchen können, verspricht Tourismusdirektor Peter Craeymeersch.
Das schmale Haus mit Schaufenster und Vitrinen im Erdgeschoss, in dem sich das Kuriositätengeschäft von Ensors Mutter befand, wird renoviert. Gemälde und Zeichnungen von Ensor, darunter auch Stillleben und Maskenbilder, sind aber ständig im Kunstmuseum Mu.ZEE zu sehen (Romestraat 11). Unübersehbar sind die Spuren aktueller Künstler.
An der Ecke Hofstraat/Platformstraat entdecke ich seltsame Nagetiere auf einer Hauswand, über die Fassade an der Timmermannstraat 14 galoppiert ein Reiter, winzige Bauarbeiter machen sich an Haussockeln zu schaffen. Mehr als 50 große Wandbilder und mehr als 200 kleinere Objekte nationaler und internationaler Künstler sind im Rahmen des Festivals The Crystal Ship bisher entstanden (Pläne zur Street-Art-Route gibt es in der Touristeninfo, Monacoplein 2). Kurator Bjørn Van Poucke freut sich: »Es funktioniert prima, Kunst in die Stadt zu bringen. Es ist wie bei dem Crystal Ship im Song der Doors: Es schwimmt nicht, es hebt ab.«
Es weht schon ein unkonventioneller Geist in dieser Stadt. Am Zeehelden Plein, der Hafenspitze, trotzt ein kleines Haus mit Türmchen zehnstöckigen Apartmentblocks, die es in die Zange nehmen. Vor die Szene hat der Künstler Arne Quinze gigantische hellrote Metallblöcke gewürfelt, »Rock Strangers« heißen sie. Zu noch mehr Strand auf der rechten Hafenseite setzt eine kostenlose Fähre über, aber bitte die ausgiebige Mittagspause beachten! In der trifft man den Fährmann vielleicht an der nahen Fischtreppe, der »Vistrap« am Visserskaai, wo neben Fisch auch Garnelen verkauft werden, die man selbst pulen muss.
Mangels Geschicklichkeit weiche ich auf Kroketten aus, jene mit Krabben gefüllten panierten, frittierten Röllchen, um die man an Belgiens Küste nicht umhinkommt. Sagen wir es so: Mehr als diese Kroketten fasziniert mich im CultuurCafé der Grote Post, wie das im modernistischen Stil 1945 erbaute Postamt zum Kulturzentrum umfunktioniert wurde. In der riesigen Schalterhalle gehen Theatertickets über den Tresen, vor Telefonzellen wird Kaffee serviert (Hendrik Serruyslaan 18A).
Die besten Orte zum Genießen in Oostende
Spezialitäten wie »Tatjespap met garnalen«, Kartoffelstampf mit Buttermilch, Garnelen und pochierten Eiern, serviert auch das Bistro Mathilda – aber auf verfeinerte Art. In geschmackvollem Ambiente ziehe ich ein würziges flämisches Beef Stew mit Apfelkompott und Fritten vor. Michelin ehrt Mathildes Küche mit einem Bib Gourmand (Leopold II Laan 1).
Unbedingt probieren sollte man die Künste von Chocolatier Olivier Willems. Jüngst kreierte er die Praline »Poppulou Rocks«. »Sie hat die Farbe des Sonnenuntergangs, der Strand spiegelt sich in Karamellschokolade wider und das Meer ist durch eine Prise Seesalz gegenwärtig«, schwärmt der vielfach ausgezeichnete Willems (Alfons Pieterslaan 120).
Ausgewählte Unterkünfte an der belgischen Nordseeküste
Es braucht nur ein paar gute Ideen, um aus einem verstaubten Hotel einen urbanen Treffpunkt zu machen: Für das neue Upstairs Hotel wurden Wände freigelegt, Chillout-Zonen geschaffen, mit Holz, Metall und Leder gespielt. Der Strand ist nah, der Schlaf zum Innenhof ruhig (Hertstraat 15, DZ ab 50 €).
Obwohl das Hotel Thermae Palace 1933 eröffnet wurde, knüpft sein Art-déco-Stil noch an die Belle Époque an. Die Thermalbäder gibt es nicht mehr, die Ausstattung ist in die Jahre gekommen. Aber vor allem die Superior-Zimmer im ersten Stock mit ihren Terrassen eröffnen einen fürstlichen Meerblick. Und zur Nostalgie gehört unbedingt ein Sundowner in der zum Hotel gehörenden Brasserie Albert – alte Plakate von der »reine des plages« im Rücken, vor sich den langen, breiten Strand (Koningin Astridlaan 7, DZ ab 135 €).