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Street-Art in Bristol
Ein nackter Mann baumelt an der Hauswand, die Finger umklammern den Fenstersims. Aus dem Fenster darüber starren seine Gespielin und der betrogene Ehemann. Neben mir wird getuschelt, Kameras klicken, ein ganz normaler Vormittag auf der Park Street. Die In-Flagranti-Szene ist eines der bekanntesten Werke von Banksy. Der Street-Art-Künstler aus Bristol begeistert weltweit Menschen, Hollywoodstars wie Brad Pitt gehören zu seinen Fans. Banksy thematisiert mit seiner Sprühdose sozialpolitische Themen und inszeniert sie als Widersprüche: Radikale werfen Blumensträuße, Polizisten küssen einander, Neandertaler stopfen Fast Food in sich hinein.
Die Dreiecksgeschichte erzählt der Künstler auf der Fassade der städtischen Klinik für sexuelle Gesundheit. Bristol selbst wirkt auf den ersten Blick nicht rebellisch: saftige Hügel im Hinterland, und von der nahen Westküste weht stets eine Brise durch die achtgrößte Stadt Großbritanniens. In Vierteln wie Clifton reihen sich schmucke Stadthäuser aus dem 18. Jahrhundert neben Traditionspubs und bonbonbunten Cupcake-Bäckereien. Im ehemals industriellen Hafen dümpeln Segelyachten aus Holz und historische Ausflugsschiffe. Der Saint Nicholas Market, umringt von mittelalterlichen Gassen, gehört zu den beliebtesten und ältesten Märkten des Königreichs. Und selbst neben Banksys nacktem Mann verbreitet das gotische Ensemble aus Kathedrale, Rathaus und Stadtbibliothek Harmonie.
Obwohl Leinwandwerke des Bristolian bei Auktionen teilweise für Millionenbeträge den Besitzer wechseln, sind die Graffiti, die er in aller Welt an Wände sprayt, illegal. Und die Identität des Künstlers bleibt ein Geheimnis. In seiner Heimatstadt meint jedoch fast jeder, den Star zu kennen. "Ich habe ihn mal beim Sprühen erwischt", erzählt ein Taxifahrer. Ein Barista ist sicher: "Meine Schwester war mit ihm auf der Schule." Einer, der Banksy wirklich kennt, ist John Nation, sein früherer Betreuer im Jugendclub, wo die Sprayer- Legende in den Achtzigern erste Versuche hinterließ. John ist Anfang Fünfzig und beobachtet die Street-Art-Szene seit 30 Jahren. Unter der Woche arbeitet er auf dem Bau, samstags führt er Graffiti-Begeisterte durch die Stadt, eines der Weltzentren der Kunstrichtung.
Ein Höhepunkt der Tour ist die Nelson Street. "Das war ein Schandfleck, mit Abstand die hässlichste Straße, bis ,See no evil‘ sich ihrer annahm", erklärt John. Das Street-Art-Projekt, organisiert von Künstlern und der Stadt, holte 2011 und 2012 die weltweit besten Sprayer nach Bristol. Auch wenn die Waschbetonbauten noch immer keine Augenweide sind, ihre neuen Kleider sind es allemal.
Wenige Gehminuten entfernt liegt das kreative Herzstück Bristols: das ehemalige Problemviertel Stokes Croft. Zwischen Restaurants, Galerien und Klamottenläden prangen farbenfrohe Schriftzüge, abstrakte Porträts und haushohe Systemkritik. Die anonymen Künstler nennen sich "Rose", "Inkie" oder eben "Banksy". Die meisten Graffiti sind nur wenige Wochen zu besichtigen, dann werden neue Motive darübergesprüht. "Auf fast jeder Führung entdecke ich Bilder", sagt John. "Oft sind sie keinen Tag alt, die Farbe kaum getrocknet."
Anders als die sanierte Innenstadt blieb Stokes Croft von der Gentrifizierung verschont, und damit das so bleibt, hat kürzlich eine Interessengemeinschaft der Ladenbesitzer und Künstler mit Hilfe der Bank Bristol Credit Union das "Bristol Pound" eingeführt, eine eigene Währung. Wer sie gegen das Britische Pfund eintauscht (Kurs 1:1), setzt ein Zeichen gegen die Vorherrschaft großer Mode-Labels.
Die Bristolians denken gern quer und lassen der Kunst Freiräume: Am Hafen zeigt das Kulturkino Watershed Independent-Filme statt Blockbuster. Und auf dem Saint Nicholas Market dekorieren Händler ihre Verschläge mal britisch kitschig, mal als karibische Strandbar. Verkauft werden Gerichte aus aller Welt und lokale Waren. Jeden Mittwoch kommen Bauern aus der Region und bieten Käse, Fleisch und Wolle vom eigenen Hof an. Sollte sich an dieser Einstellung etwas ändern, werden die Wände der Stadt als Erste davon erzählen.
Tipps für Bristol
John Nation und Rob Dean gründeten "Wherethewall", das kleine Start-up bietet Street-Art-Touren in Bristol an. Beide lieben die Atmosphäre und das Leben in Bristol. Wir haben sie gefragt, was sie an einem freien Tag in ihrer Stadt am liebsten machen.
John Nation:"Gutes englisches Frühstück gibt es in 'Brunels Buttery' unten am Hafen. Dieser Laden ist eine Institution und verkauft die besten Sandwiches der Stadt. Dann würde ich schauen, was 'M-Shed' so zu bieten hat. Das ehemalige Industrial Museum zeigt heutzutage vor allem moderne Kunst und interaktive Ausstellungen, die sich mit Bristol beschäftigen. Den Nachmittag würde ich der Street-Art widmen und ein paar Geschäfte und Galerien von befreundeten Künstlern aufsuchen, wie zum Beispiel 'Weapon of choice', 'Colab' oder 'Upfest Gallery'. Wenn ich Zeit finde, dann streune ich auch einfach nur gern durch die Straßen und fotografiere Street-Art, denn ich kann einfach nicht genug davon bekommen. Für ein Bier gehe ich gern zu 'Pipe & Slippers' oder 'Bristol Social'. Falls ich danach noch weiterziehen möchte, würde ich wahrscheinlich zuerst 'The Bank' aufsuchen und dann in Richtung 'Motion' gehen. Das ist einer der größten Clubs in Bristol, sehr kreativ und teilweise etwas abgefahren."
Rob Dean:"Ich würde meinen freien Tag mit einem Kaffee in 'The Canteen' starten und dann mit meinem Sohn eine Radtour durch die Docks machen. Das historische Gelände zieht sich entlang des Hafenbeckens und ist wirklich sehr schön für Radfahrer und Fußgänger. Bei Sonnenschein würden wir unsere Tour im Café der Kunsthalle 'Arnolfini' beenden. Die Terrasse des Cafés liegt direkt am Wasser, dort gibt es fantastischen Kuchen und danach eine Ausstellung von internationalen Künstlern. Zum Nachmittag hin würde ich noch ein bisschen auf der Park Street schlendern mit einem Stopp bei 'Boston Tea Party' – eine Café-Kette hier in Bristol. Der Laden auf der Park Street gefällt mir am besten, denn hier gibt es einen schönen Hinterhof. Am Abend würde ich wieder zurückkehren in 'The Canteen', denn hier gibt es jeden Abend Livemusik, alternativ würde ich mir einen Independent-Film im 'Watershed' ansehen."
Erleben
Wherethewall
Street-Art-Tour mit John Nation. Start: Samstags 11 Uhr vor dem Rathaus, www.wherethewall.com
Upfest
Europas größtes Event für urbane Kunst wird am letzten Maiwochenende gefeiert. Man schaut Street-Artisten zu oder versucht sich selbst und legal an der Sprühdose, www.upfest.co.uk
Bristol Old Vic
Im Hinterhaus des damaligen Obst- und Gemüse-Markts entstand 1766 die erste Bühne der Stadt. Seitdem sind sämtliche Vorstellungen ausverkauft.
King Street, Tel. 0044-117-987 78 77, www.bristololdvic.org.uk
Essen
The Canteen
Treffpunkt der Kreativen mit abendlicher Livemusik. Die Außenwand schmückt ein echter Banksy - The Mild Mild West
Stokes Croft 80, Tel. 0044-117-923 20 17, www.canteenbristol.co.uk
Lido
Auf die Teller kommen Lamm, Fisch oder Pasta, während unten, im Schwimmbad von 1850, die Athleten ihre Bahnen ziehen.
Oakfield Place, Tel. 0044-117-933 95 30, www.lidobristol.com
The Arts House
Ein bunter Mix aus Kaffee, Kuchen und Kunst.
Stokes Croft 108 A, Tel. 0044-117-923 28 58, www.theartshouse.org
Ausgehen
Brew Dog
Die Biere der jungen Brauerei haben lustige Namen wie "Dead Pony Club" oder "Punk IPA" – und schmecken prima.
Baldwin St 58, www.brewdog.com
The Bank of Stokes Croft
Hier bestreiten Hipster und Alteingesessene die Abende gemeinsam.
Stokes Croft 84, www.thebankofstokescroft.com
The Milk Thistle
Eine Tür und eine Klingel, mehr nicht. Wer die Adresse nicht kennt, läuft vorbei. Was schade wäre. Im Landhaus-Ambiente mit Ledersofas und Hirschköpfen gibt’s die besten Cocktails.
Quay Head House, Colston Avenue, www.milkthistlebristol.com
Schlafen
Brooks Guesthouse
Frisch renovierte Zimmer direkt am St. Nicholas Market und ein lichter Innenhof – natürlich mit Street Art verziert.
Exchange Avenue/St.Nicholas Street, Tel. 0044-117-930 00 66, www.brooksguesthousebristol.com
Avon Gorge Hotel
Einen schönen Blick auf den Fluss Avon und die Clifton Suspension Bridge hat man im vornehmen Clifton.
Sion Hill, Tel. 0044-117-973 89 55, www.theavongorge.com
Hotel Du Vin
Der Zuckerspeicher aus dem 18. Jahrhundert beherbergt ein gediegenes Hotel mit 40 Zimmern und einer preisgekrönten Bar.
Narrow Lewins Mead, Tel. 0044-844-736 42 52, www.hotelduvin.com
Anreise
BMI Regional fliegt von Hamburg, München und Frankfurt direkt nach Bristol: www.bmiregional.com.