Anzeige
Anzeige

Madrid Die Verwandlungskünstlerin

Rosige Aussichten! Trotz Wirtschaftskrise? Genau deswegen, denn die zeigt in Madrid eine überraschende Nebenwirkung: Die Menschen feiern ihre Stadt mit neuen Läden, Galerien und Restaurants

Die Straßencafés von Malasaña haben mehr Gäste als Plätze, was niemanden stört. In den Vierteln Chueca oder Lavapiés stehen die Leute brav und schwatzend Schlange, um schließlich am Tresen eine Portion callos – Kutteln – mit salsa brava oder andere köstliche Tapas zu ergattern. Und überall locken Plakate: "Estreno" – Neueröffnung! Premiere! Läden, Clubs, Lokale, Initiativen. Ist in Madrid gerade eine neue Gründerzeit angebrochen? Ein wenig erstaunlich wäre das schon. Denn la crisis schwebt noch immer über Spaniens Hauptstadt. Die große Krise, ausgebrochen 2008, ausgelöst von einer gewaltigen Immobilienund Kreditblase, die geplatzt ist. Was den Staat in die Rezession stürzte und zum Sparen zwingt. Jeder vierte Spanier ist arbeitslos, zehntausende junge Menschen emigrieren, zum Beispiel nach Deutschland. Madrid ist natürlich keine Ausnahme. Hoteliers klagen über Rückgänge, fünf Prozent 2012, weitere sieben Prozent 2013. Doch Madrid selbst berappelt sich. Die Menschen wenden sich wieder dem Alltag und der Zukunft zu, die Zeit der großen Proteste scheint vorbei. Und mitten in der Krise reiben sich die madrileños die Augen. Da eröffnen sich ja neue Chancen! In den Vierteln um die Innenstadt sind Mieten und Häuserpreise auf einmal wieder bezahlbar, nämlich 20, 30, 40 Prozent günstiger als vor einigen Jahren. Was kreative Köpfe zurück ins Zentrum holt, Leute, die Ideen und Improvisationstalent, aber wenig Geld haben. Mit dem Großprojekt "Madrid Río" schuf die Stadt viel neue Lebensqualität: Eine riesige Grünzone verbannte die stinkende und lärmende Stadtautobahn unter die Erde. Vor allem bewährt sich jetzt ein Charakterzug der madrileños: ihr stattlicher Individualismus. Olivia Muñoz-Rojas, Soziologin aus Madrid, die an der London School of Economics lehrt und in Paris lebt, sieht es so: Madrid sei in sich cool. Städte wie London oder Paris haben Codes: angesagte Orte, Mode, die man unbedingt tragen muss … Madrid nicht. Die Leute machen, was sie wollen – und genau so müsste Madrid sich verkaufen. Die Stadt war schon immer ein Kessel voller Energie und Kreativität. Heute ist sie es wieder. Jetzt erst recht.

Madrid: In dem neuerwachten Viertel Malasaña fühlen sich besonders die jungen Kreativen wohl
In dem neuerwachten Viertel Malasaña fühlen sich besonders die jungen Kreativen wohl
© Ofelia de Pablo/Javier Zurita

Malasaña - Wie die Wirtschaftskrise einen Stadtteil rettete

Auf der Plaza Dos de Mayo steht Ronaldo mit einer Tafel auf dem Rücken: "1-€-Witze gegen die Krise: Jetzt billiger – zwei zum Preis von einem!" Eigentlich ist Ronaldo Medizinstudent. Aber manchmal stellt er sich in Clownsschuhen auf den Platz mitten in Malasaña und thematisiert seine Lage, die eigentlich die des ganzen Landes ist. Die Chance, einen Job zu finden, ist denkbar schlecht, trotz guter Ausbildung. Die Chance, daran etwas ändern zu können, noch schlechter. Aber sich unterkriegen lassen? Kommt nicht in Frage. Es ist kein Zufall, dass Ronaldo ausgerechnet in Malasaña seinen schwarzen Humor verkauft. Das bunte Altstadtviertel in der Nähe der Gran Vía hatten Investoren schon fest im Blick. Dann kam la crisis. In diesem Fall: die Rettung. Die Preise für Wohnungen und Geschäfte fielen – gerade noch rechtzeitig. Heute zwängen sich Bars neben alteingesessene Pantoffelgeschäfte, exzentrische Modeläden teilen sich die Straße mit chinesischen Maniküresalons und Secondhandshops. Neben einem Boutique-Hotel in der Ausgehmeile Calle Pez hat die junge Demokratiebewegung "Movimiento 15-M" ein Haus besetzt. Auf der Plaza Dos de Mayo aber trifft sich alles, tagsüber auf einen schnellen Drink oder einen Spaziergang, abends zum Feiern. Der große, quadratische Platz mit üppigem Grün hat an jeder Ecke einen Spielplatz und reichlich Tische in der Sonne. Viele junge Madrilenen sitzen hier zwischen Kinderwagen und Bobbycars, mit Piercing, ohne Tattoo, im Anzug oder in kurzen Hosen. Seit der Krise können sich ganz normale Menschen das Leben in Malasaña wieder leisten. Solche wie Tanja zum Beispiel, die vor zwei Jahren aus Ungarn kam. In ihrem Laden "Sirius", der bis spät abends offen hat, gibt es nur zu kaufen, was von Freunden in Spanien designt und produziert wird: Holzspielzeug, handgezeichnete Postkarten und vieles mehr. "Krise, Krise … mich nervt dieses Gerede tierisch. In Ungarn akzeptieren wir, dass das Leben eine Achterbahn ist." Und dann postet Tanja noch schnell auf Facebook, in perfektem Spanisch, Englisch und Ungarisch, dass die quietschbunt gesprayte Fassade fertig ist und alle Freunde eingeladen sind.

Mehr Tipps in Malasaña

Café Pepe Botella

Drinnen plüschig möbliert und gedimmtes Licht, draußen Trubel und Leute, denen man gern beim Leben zusieht: Im Café Pepe Botella lässt sich ein Ausgehabend mit Bier und hausgemachten Chips beginnen.

C/ San Andrés 12, Tel. 0034-91-5224309

Sirius

Tanja und ihr Freund Dusan lieben ihren Kramladen Sirius. Wir auch.

C/ San Vicente Ferrer 28, www.siriusmadrid.com

Slam

Glitzerleggings, Korsagen und Federboas füllen den winzigen Secondhandladen Slam, in dem Pedro Almodóvar seine Filmkostüme kaufen könnte.

Corredera Baja de San Pablo 8

Concrete Company

Fernando schneidert in seiner Concrete Company aus japanischem oder amerikanischem Denim neue Beinkleider.

C/ Marqués de Santa Ana 28, www.concretemadrid.com

Olé Lola

Eine ziemlich coole Bar ist das Olé Lola. Die exzellenten Tapas und Cocktails werden im Viertel sehr geschätzt, der Laden ist immer gut gefüllt.

C/ San Mateo 28, Tel. 0034-91-310 66 95, www.olelola.com

Madrid: Von der Terrasse des Circulo de Bellas Artes haben die Gäste einen wundervollen Blick über die Gran Vía sowie die Stadt
Von der Terrasse des Circulo de Bellas Artes haben die Gäste einen wundervollen Blick über die Gran Vía sowie die Stadt
© Ofelia de Pablo/Javier Zurita

Circulo de Bellas Artes: Kunst für Aufsteiger

Unweit des Prado ragt dieses Zentrum für Kunst in den Himmel. Im weißen Art-déco-Gebäude mit den großen Fensterbögen und dem Turm sitzt die 1880 gegründete, wichtigste Madrider Kulturvereinigung Circulo de Bellas Artes, in der einst auch Pablo Picasso Malstunden nahm. Der CBA vereint alles, was mit Kreativität zu tun hat, und das auf beachtlichem Niveau: Kino, Konzertsäle, Ausstellungsräume, Radiosender, Künstlerateliers, im Parterre die Cafeteria mit günstigem Mittagsmenü. Was die Madrilenen aber besonders lieben, ist Miethaie auf dem Rückzug: mobiles Büro auf der Terrasse des "Hotel Ada Palace". Der"Sirius"-Laden verkauft selbstgebasteltes Design. Auf der Plaza San Ildefonso beeindrucken die Raubtiere keinen Hund das Dach. Der Blick ist so fantastisch, dass es fast eine Begleitperson zum Zwicken braucht: unten die verwinkelten Gassen und breiten Boulevards der Stadt und die Architektur der Belle Époque, am Horizont die Berge der Sierra de Guadarrama. Die Freiluftbar und das unkomplizierte Restaurant "Tartan Roof" versorgen die Durstigen und Hungrigen, die auf bunten Blechstühlen an Holztischen Platz nehmen. Leicht trunken von urbanem Weitblick und einem Glas Gin, entdecke ich ein Atelier mit Farbspritzern auf den Scheiben. Ignacio winkt zum offenen Fenster heraus, die Staffelei im Rücken: "Ist nicht so leicht, bei dem Blick zu arbeiten!", ruft er und grinst.

C/ Alcalá 42, Tel. 0034-91-360 54 00, www.circulobellasartes.com

Noch mehr Kunstgenuss

Palais Museo Cerralbo

Zwischen Gemälden von El Greco und Tintoretto, Ritterrüstungen, leuchtenden Fächern und tickenden Standuhren wird klar, wie feudal der spanische Adel sich noch um 1900 inszenierte. Don Enrique de Aguilera y Gamboa, der 17. Marquis von Cerralbo, ließ das üppige Palais Museo Cerralbo zwischen 1883 und 1893 erbauen. C/ Ventura Rodríguez 17, Tel. 0034-91-5473646, www.museocerralbo.mcu.es

Casa Museo Lope de Vega

Auch wer mit der spanischen Volksdichtung nichts am Hut hat, freut sich über den Gratisbesuch im Casa Museo Lope de Vega. Die Ausstellung ist nur mit Führung zu sehen, doch unter Feigen- und Orangenbäumen lässt’s sich auch so im Schatten träumen. C/ de Cervantes 11, Tel. 0034-91-4299216y

Madrid Río: Auf zu neuen Ufern

Für die Siesta zu Hause haben die Madrilenen längst keine Muße mehr. Auch am Frühnachmittag ist der zehn Kilometer lange Park an den Ufern des Manzanares-Flusses voller Flaneure, Skater, Radfahrer. Die Autobahnen entlang der Ufer verbannte die Stadt unter die Erde. Die vier Milliarden Euro für Madrid Río kamen zu großen Teilen aus Brüssel, noch lange vor der Krise. Im Park ließ das Rathaus Springbrunnen, Spielplätze und Sportfelder errichten, 33 000 Bäume pflanzen, 33 Fußgänger- und Radfahrerbrücken bauen oder restaurieren, 5500 Bänke aufstellen. Die Madrilenen lieben ihr neues Río. An Sommerabenden sitzen sie an den erstaunlich stillen Ufern des Flusses, bestellen im "Café Andorra" ein Feierabendbier, scharren mit den Schuhen im Sand und beobachten den Catwalk der Athleten. Stört nur noch das Fußballstadion, das an einer Stelle das neue Grün unterbricht. Der Umzug des Fußballclubs Atlético Madrid ist schon geplant – wenn irgendwann wieder genug Geld da ist.

Zwischen Metro-Station Principe Pío im Norden und Kulturzentrum Matadero im Süden nahe der Metro Legazpi, www.esmadrid.com/en/madridrio

Tipps für Ausflüge ins neue und alte Grün

Mi Bike Río

Fahrräder verleiht zum Beispiel Mi Bike Río. Man kann die Flussufer entlangradeln. Es gibt auch einige gute Radwege außerhalb des neuen Parks.

C/ de Ancieto Marinas 26, Tel. 0034-91-139 46 52, www.mibikerio.com; ab 25 €/Tag

Casa de Campo

Der romantische Naturpark Casa de Campo liegt gleich neben dem neuen Río. Mit seinen 1722 Hektar ist er fünfmal so groß wie der New Yorker Central Park. Man kann hier nicht nur Rad fahren und spazieren gehen, sondern richtige Wanderungen unternehmen (gut beschildert). Müßiggänger trägt die Seilbahn über das Grün. Start am Paseo del Pintor Rosales, Metro-Station Argüelles.

La Parrilla del Embarcadero

Köstliches Essen bietet die Küche des Lokals La Parrilla del Embarcadero. Bringen Sie viel Zeit mit. Von der Terrasse ist der Blick über den See wunderbar.

Lago Caso de Campo, Tel. 0034-91-4631024

Mercado de San Miguel: die besten Tapas der Stadt

Ein Schild lockt mich mitten in der Markthalle zu "La Yogurería": "El helado más pequeño del Mundo", das kleinste Eis der Welt, ist kaum größer als eine Praline, der perfekte Joghurterdbeermix zergeht auf der Zunge. Danach einen Tinto, dann die "Pimientos de Padrón", die kleinen, grünen Schoten mit Salzstückchen aus der Pfanne, eine Tortilla, ein paar Tapas, Olivenspießchen mit Chorizo-Wurst, frisch geröstete Mandeln mit Chili und Rosmarin, wieder ein Wein … Die Markthalle hinter der Plaza Mayor nutzen die Madrilenen für ihre Lieblingsbeschäftigung: Essen einkaufen, flanieren und sich langsam von Stand zu Stand durchfuttern. Die fast hundert Jahre alten Hallen mit der Glasfront und den schmiedeeisernen Säulen gehören zu den schönsten der Stadt. Wie gut, dass San Miguel bis Mitternacht offen hat und dass das Eis der Yogurería so klein ist. Sonst hätte ich gar nicht so viel probieren können.

Plaza de San Miguel, www.mercadodesanmiguel.es; Do–Sa 10–14 Uhr, sonst bis Mitternacht

Madrid: Direkt hinter dem Plaza Mayor liegt der Schlemmer-Tempel, hier gibt es das kleinste Eis der Welt
Direkt hinter dem Plaza Mayor liegt der Schlemmer-Tempel, hier gibt es das kleinste Eis der Welt
© Ofelia de Pablo/Javier Zurita

Noch mehr Adressen für Genießer

Mercado San Antón

Im wieder hippen Gay-Viertel Chueca steht der moderne Mercado San Antón: Die Rolltreppe lädt Besucher mitten zwischen den Ständen ab, fast alle spanischen Regionen präsentieren sich hier mit ihren Delikatessen.

C/ Augusto Figueroa 24, www.mercadosananton.com

Lhardy

Edles Understatement und Hauptgerichte ab 30 €: Zum Traditionslokal Lhardy nahe der Puerta del Sol gehört auch ein Laden, in dem Köstlichkeiten aus Spanien verkauft werden.

Carrera de San Jerónimo 8, Tel. 0034-91-521 33 85, www.lhardy.com

Parque del Retiro: ein grüner Ruhepol

Als die Mexikanische Sumpfzypresse gepflanzt wurde, lebte Philipp IV. noch in seinem Schloss. Die Anlage steht längst nicht mehr, aber der Baum mit seinen fransigen Zweigen ragt inzwischen 25 Meter hoch in den azurblauen Himmel. Seit fast 400 Jahren wacht er über die Bänke, Wiesen und Gartenanlagen. 1868 wurde der Retiro (spanisch für "Ruhesitz") für alle Madrilenen geöffnet, sie kommen bis heute zu Fuß oder mit dem Rad, auf dem Skateboard oder mit dem Kinderwagen, schunkeln in blauweißen Nussschalen auf dem Wasserbecken "Estanque", flanieren durch die schattigen Alleen, lassen sich von den videntes die Zukunft vorhersagen oder trinken horchata, eine süße Erdmandelmilch, in einem der vielen Cafés. Vor dem Denkmal König Alfons XII. hoch zu Ross lassen sich chinesische Hochzeitspaare fotografieren. Auf den Nebenwegen aber ist es so still, dass man fast das Hüpfen der Eichhörnchen hören könnte.

Tipps für den Tag in und um den Park

Palacio de Cristal und Palacio de Velázquez

Zwei Ableger des Kunstmuseums Reina Sofia finden sich mitten im Retiro, der Palacio de Cristal und der Palacio de Velázquez. Die Ausstellungen sind mindestens genauso hochkarätig wie im Haupthaus.

Parque del Retiro, www.museoreinasofia.es

La Montería

Tapas am Tresen oder delikates Pilzrisotto am Tisch: La Montería ist seit 50 Jahren ein Garant für Gourmets, die es ungezwungen mögen.

C/ Lope de Rueda 35, Tel. 0034-91-5741812, www.lamonteria.es, Gerichte ab 12 €

Neu in Reisen

VG-Wort Pixel