Die Erde qualmt. José beginnt zu graben, einen halben Meter tief. Dann ruft er "olé" und "si, si!" und balanciert auf dem Spaten ein in große Blätter eingewickeltes Etwas. Noch ein Paket wird aus der Tiefe geborgen, und noch eins, bis rund ein Dutzend Päckchen neben der Ausgrabungsstätte liegt. "Zu Tisch" ruft José, natürlich auf Spanisch, denn das ist Peru. Und das Loch im Boden, das ist ein peruanischer Backofen. Hier wird heute eine Pachamanca zubereitet, das peruanische Nationalgericht. Lima, die Hauptstadt, ist ein paar Stunden Autofahrt entfernt. Ringsum erheben sich Ausläufer der Anden, eine karge Felslandschaft. Doch das Tal des Rio Mala, in dem die Pisco-Brennerei El Sarcay de Azpitia liegt, Josés Arbeitgeber, ist grün und fruchtbar. Bananenbäume spenden mit ihren großen Blättern etwas Schatten. Bei der Pachamanca werden sie um verschiedene Sorten Fleisch gewickelt, die Päckchen dann auf heißen Steinen in Mama Pacha, Mutter Erde, begraben und nach vier Stunden exhumiert. Dann wird gegessen, was gut gegart ist: Süßkartoffeln, Maiskolben, Stücke vom Kaninchen, Rind, Schwein, Schaf, Hähnchen, Lamm – und Meerschweinchen.
Pisco, um den Gott der Verdauung zu besänftigen
Meerschweinchen sind in Peru sehr präsent – in der Küche, nicht im Kinderzimmer. Sie gelten als Delikatesse, seit die Inka sie vor rund 600 Jahren auf den Speiseplan brachten. Mehr als 60 Millionen Exemplare werden jährlich verspeist. Nur, es ist nicht viel dran an so einem Meerschweinchen. Kein Wunder, dass die Inka seinerzeit alljährlich zur Besänftigung der Götter auf dem Hauptplatz der Stadt Cuzco eintausend Tiere schlachteten.
Im Tal des Rio Mala knabbert man pflichtschuldig an den Knöchelchen und nickt anerkennend in Richtung Küchencrew. Das Fleisch ist sehnig und schmeckt ein bisschen wie Kaninchen. Es wurde im Erdloch mit Zitronengras, Basilikum und dem an Minze erinnernden Küchenkraut Huacatay auf den Punkt geschmort wie im modernen Hightechherd. Hinterher bestellen die Gäste aber dennoch einen Pisco, den peruanischen Traubenbrand, um den Gott der Verdauung zu besänftigen.
2000 Fisch- und Schalentierarten im Humboldtstrom
Peru, das ist für die meisten vor allem Machu Picchu, die Inka-Stadt im Andenhochland. Das sind spuckende Lamas und bunte Strickmützen, das ist Panflöten-Folter in deutschen Fußgängerzonen. Aber sonst? Peruanische Restaurants etwa sind kaum verbreitet außerhalb von Peru. In Deutschland findet sie lediglich in einige Metropolen. Dabei bietet das Land alle Voraussetzungen für vielseitigste Speisekarten: Weil hier mehr als 80 der rund 100 weltweit vorkommenden Mikroklimata zu finden sind, wächst und gedeiht zwischen Pazifikküste, Andenhochland und Amazonasgebiet das pralle Leben: über 3000 Kartoffelsorten, tausende Varianten von Mais, unzählige exotische Früchte und Gemüse. Im Topf landet alles, was nicht schnell genug das Weite sucht: Rinder, Hühner, Ziegen, Affen, Schlangen, Meerschweinchen… Dazu leben mehr als 2000 Fisch- und Schalentierarten im Humboldtstrom vor der Küste, Krebse und Riesenfische im Amazonas.
Limas größter Fischmarkt
Sieben Uhr früh, Stadtteil Villa Maria del Triunfo in Lima. Terminal Pesquero, Limas größter Fischmarkt. Am Straßenrand parken Motos in Dreierreihen, kleine Auto-Mopeds mit drei Rädern, die Rücksitze sind ausgelegt mit Papier. Tüten prall gefüllt mit Shrimps und Muscheln werden verstaut, mit Fischfilets und Fischabfällen. Ein halber Hai ragt aus einem Kofferraum. Im Vorfeld der Markthallen: Tausend Buden, in denen man Kartoffeln, Maniok, Zwiebeln, Zeitungen, Gummistiefel kaufen kann. Garküchen, die peruanisches Arbeiter-Frühstück anbieten: Omelettes aus einem Dutzend Wachteleiern, mit fettem Schweinefleisch belegte Brötchen, dazu chicha, Maisbier, abgefüllt in alte Cola-Flaschen. Und natürlich ceviche, das Nationalgericht der Peruaner: roher Fisch, wenige Minuten in Limettensaft eingelegt, serviert mit roten Zwiebeln und frischem Chili. Die Garküchen auf der Straße bilden das kulinarische Rückgrat Perus. Morgens für ein paar Sol schnell frühstücken, mittags einen Happen to go, erst abends wird in den meisten Familien gemeinsam zuhause gegessen. Es duftet vor den Fischmarkthallen, doch wer nicht von hier ist und die nächsten Tage nicht auf der Toilette verbringen will, lässt in Peru die Finger vom Essen am Straßenrand.
Drinnen in den Hallen mischt sich schmelzendes Kühleis mit Fischschuppen. Kein Wunder, dass draußen Gummistiefel verkauft werden. Ein faszinierender Ort. Hier gibt es Berge von kleinen conchas negras, Muscheln aus dem Sumpfgebiet im Norden, zackige Fische namens „El Diabolo“, die in den Riffen vor der Stadt Pisco leben. Drei Meter lange Schwertfische aus den Fanggebieten des Südens. Eine weiße Muschel, concha blanca, zum Beispiel, vor wenigen Stunden erst aus dem Meer geholt.
Verschiedene Kulturen haben Perus Küche geprägt
Für jeden Fisch, für jede Knolle gibt es in Peru unüberschaubar viele Zubereitungsarten – auch wegen der bewegten Geschichte des Landes. Seit Jahrtausenden haben grundverschiedene Kulturen die peruanische Küche geprägt: Die Inkas domestizierten die Kartoffel, spanische Eroberer brachten neben Terror und Unterdrückung auch Hühner, Kaninchen und Eintopfrezepte, afrikanische Sklaven ihr Faible für süße Nachtische und scharfe Chilischoten, chinesische Eisenbahnarbeiter Wok und Sojasauce, Einwanderer aus Japan den feinen Umgang mit Fisch. In Lima gibt es mittlerweile viele gute Restaurants. Hervé Galidie zum Beispiel, ein Franzose, der einst in Paris in einem Top-Restaurant kochte und wegen der Liebe nach Peru kam und sein eigenes, hochgelobtes "Hervé Restaurant" betreibt, sagt: „Peru ist ein Bettler, der auf einer Bank aus Gold sitzt.“ Er meint: Aus den reichhaltigen Ressourcen wurde kein Kapital geschlagen, auch, weil die Guerillaorganisation Leuchtender Pfad das Land bis in die neunziger Jahre in Schockstarre versetzte. Jetzt werden die kulinarischen Schätze gehoben. Als Beweis serviert Hervé Pazifik-Wolfsbarsch in einer Kruste Maras-Salz aus dem heiligen Tal der Inka am Rio Urubamba. Lavendel-Kaninchen aus Pachacamac, schließlich Kartoffelkroketten gefüllt mit Bitterschokolade und mit Chili-Caramel-Sauce übergossen. Haute Cuisine in Peru. Nur eins kommt Hervé, da ist er doch noch ganz Europäer, nicht in die Küche: Meerschweinchen.