Shell Beach ist ein sonderbarer Ort für Muschelsammler. Blendend weiß säumt der Strand eine klare Bucht in Shark Bay, und unter meinen Füßen knirscht es laut. Wo man anderswo Sand hätte, gibt es hier Herzmuscheln, so weit das Auge reicht. Gut 60 Kilometer lang und mehrere Meter tief ist diese Muschelbank. Der blanke Überfluss, wo soll ich anfangen? Auswählen ist unmöglich. Ich harke staunend mit den Fingern durch die glänzenden Kalkfiguren, dann gebe ich auf und kühle mich im Wasser ab. Oder besser: auf dem Wasser. Denn die L’Haridon Bight ist eine der Buchten von Shark Bay, deren Salzgehalt so hoch ist, dass man auf dem Meer liegt wie auf einer Luftmatratze.
Zwei Landzungen umrahmen die harsche Region, in der Shark Bay liegt, der westlichste Punkt des australischen Festlands. Seit 1991 gehört sie zum Unesco-Weltnaturerbe. Auf 22000 Quadratkilometern treffen drei Klimazonen aufeinander – Wüste, Tropen und Subtropen. So kommt es zu einer seltenen Vielfalt an Tieren und Pflanzen.
Am nördlichen Ende einer der schmalen Halbinseln im Nationalpark François Peron sprenkeln Akazien und Salzbüsche die Dünenlandschaft. Weicher Sand lässt den Landrover ächzen. Zwei Stunden später erreiche ich einen einsamen Zeltplatz direkt am Meer. Ich suche das türkisfarbene Wasser skeptisch nach verdächtigen Schatten ab – und springe schließlich hinein. Shark Bay, die Hai-Bucht, hat zwar einen markanten Namen, statistisch gesehen ist es hier aber weniger gefährlich als etwa an den Surfstränden im Südwesten.

Von Delfinen und Walhaien
Die meisten Besucher kommen nach Shark Bay, um am Strand von Monkey Mia Delfine zu erleben. 35 Kilometer von unserem einsamen Zeltplatz entfernt stehen wir ein paar Tage später mit Besuchern aus aller Welt im knietiefen Wasser. Die Rangerin Kirsty erklärt uns Verhalten und Besonderheiten der Meeressäuger, die hier nah zum Strand kommen. Dann dürfen ein paar Gäste ihnen Fische zuwerfen. Dreimal täglich werden einige der Tiere so mit einer ökologisch vertretbaren Menge kontrolliert gefüttert. Weit draußen in der Bucht kreuzt ein Forschungsschiff, von dem aus Wissenschaftler eine andere Delfingruppe beobachten: Tiere, die Werkzeuge nutzen, statt Touristen zu besuchen. Vor allem weibliche Tümmler nehmen dort zur Beutejagd Schwämme in die Schnauze – wohl um sich nicht zu verletzen, während sie im Meeresboden nach Beute wühlen. Auf einem Segeltörn versuchen wir später, ein paar der Schwamm-Jäger zu entdecken. Vergebens, stattdessen stecken zwei Schildkröten ihre Köpfe aus dem Wasser, Rochen tauchen vor uns ab, Seevögel begleiten uns. Plötzlich aber dreht unser Skipper bei.
„Dugong! Mutter und Kalb backbord!“ ruft er. Wir springen auf die linke Seite des Boots und blicken staunend auf die grünbraunen Rücken zweier Seekühe. 10000 Exemplare kommen hier vor. Die 400 Kilogramm schweren Tiere finden ideale Bedingungen vor, auch dank der zwölf Seegrassorten, die in diesem Gewässer gedeihen. Am nächsten Tag erwartet uns das Ningaloo Reef, gut 600 Kilometer nördlich. Verglichen mit dem berühmten Great Barrier Reef an der Ostküste hat Westaustraliens Pendant einen großen Vorteil: An vielen Stellen liegt das Riffsystem so nah an der Küste, dass man weder ein Boot braucht noch eine Tour buchen muss. Von Coral Bay aus sind bunte Korallengärten nur ein paar Schwimmzüge entfernt. Ich schnorchle über Anemonen und Tropenfische, bestaune die filigranen Muster der Hirnkorallen und knallblaue Seesterne.
Später, in Exmouth, wollen wir Walhaie beobachten. Diese Planktonfresser können bis zu 18 Meter lang und elf Tonnen schwer werden. Wir setzen Maske und Schnorchel auf, ziehen die Flossen an und gleiten vom Boot ins Meer. Ich muss nicht lange warten, und der Anblick nimmt mir den Atem. Auf „groß“ war ich vorbereitet, doch der dunkelblaue Koloss unter mir ist gigantisch. Wie Pilotfische wirken wir Schwimmer neben seiner mächtigen Flosse. Eine Weile gelingt es mir, dem gemächlich driftenden Riesen zu folgen. Weiße Streifen und Punkte leuchten im Sonnenlicht auf seinem Körper. Durch sein breites Maul saugt er Wasser, Plankton und kleine Fische auf. Dann, nach vielleicht zehn Minuten, schlägt der Walhai plötzlich mit der Schwanzflosse, und so majestätisch wie er aufgetaucht ist, verschwindet er in der Tiefe.