Tief sauge ich die Luft ein, als ich das Hotelfenster mit Blick auf den tosenden Ozean öffne. Doch statt nach der erwarteten Meeresbrise riecht es nach Halsbonbon. Weht der Wind ablandig, parfümieren die Eukalyptuswälder sogar die Küste Galiciens. Mitte des 19. Jahrhunderts aus Australien eingeführt, prägen die Bäume die Vegetation der Region im Nordwesten Spaniens, zusammen mit Kiefern verleihen sie ihr ganzjährig einen satten, dunkelgrünen Farbton – und Exotik. Ein ganz eigenes Aroma haben die vier tief ins Land eingeschnittenen Meeresarme, die Rías Baixas. In den geschützten Buchten hängen Gischtfahnen in der Luft, sie riecht nach Salz und Sonnencreme. Zwischen dem Pilgerziel Santiago de Compostela und Vigo nahe der portugiesischen Grenze tragen Altstädtchen glitzernden Granit, und aus offenen Küchenfenstern duftet es nach Köstlichkeiten,
zubereitet mit fangfrischen Meeresfrüchten und Sardinen.
Ría de Muros e Noia - Am ursprünglichsten Meeresarm in Galicien
Die Ría de Muros e Noia ist die nördlichste Ría Baixa mit wohl einzigartigen Landschaftsformen wie der Lagoa de Louro. Die kleine Lagune schützen filigran geschwungene Dünen aus Muschelsand, der feine Rippenmuster bildet. Das schönste Städtchen hier ist Muros mit seinen verwitterten Granithäuschen im historischen Zentrum. In einem hat der Fischersohn José Ramon eine kleine Taverne und Gästezimmer eingerichtet: Casa Sampedro (www.casasampedro.com, DZ 60 €). Aus dem gleichen Gestein gebaut war die keltische Siedlung Castro de Baroña, die Überreste ragen am Ausgang der Ría spektakulär auf einer kleinen Halbinsel in den Atlantik.

Ría de Arousa - Der blütenreiche Meeresarm in Galicien
Die südlich gelegene Ría de Arousa ist der breiteste und verwinkelste Meeresarm. Hier mischen sich meist zwei weitere typisch galicische Noten ins Bouquet: Kamelie und Albariño. Den frisch-fruchtigen Weißwein kann man direkt beim Erzeuger probieren, etwa auf den Gütern Pazo de Fefiñáns (Cambados, www.bodegagilarmada.com) und Pazo de Rubianes (Rubianes, www.pazoderubianes.com), in dessen weitläufigem Botanischen Garten herrliche Kamelien gedeihen. Im 18. Jahrhundert aus Ostasien eingeführt, wächst die Pflanze in Galicien so vorzüglich, dass es sogar eine Ruta da Camelia gibt, die von Garten zu Garten führt (www.turismo.gal/que-facer/ruta-da-camelia). Das hübscheste Städtchen hier ist Cambados mit verträumtem Hafen und Kellereien, es ist ausgezeichnet als »Europäische Weinhauptstadt 2017«. Besucher können in einem zum Parador umgewandelten historischen Pazo nächtigen (www.paradordecambados.com-pontevedra.com, DZ/F 107 €). Von der Hafenpromenade aus sehe ich die vorgelagerte Halbinsel O Grove. Dort begebe ich mich auf den Holzweg: Kilometerweit führen Bohlen bei San Vicente do Mar am Wasser entlang, über Felsen und Dünen, von Badebucht zu Badebucht.
Ría de Pontevedra - Der vielfältigste Meeresarm in Galicien
Die kleine und urbane Ría de Pontevedra bietet spannende Kontraste. Hafenkräne ragen auf, die rot-weiß geringelten Schlote der Papierfabrik, die Eukalyptusholz verarbeitet. Pontevedra, das Zentrum der Rías Baixas, brodelt vor Geschäftigkeit, und Ruhe herrscht in Bilderbuchdörfern wie Combarro. Viele der Steinhäuschen sind kaum größer als die traditionellen Hórreos neben ihnen; die Speicher zum Lagern von Mais stehen zum Schutz vor Mäusen auf Stelzen. Und bei Ebbe stapfen die Frauen auf der Suche nach Muscheln werktags wie einst durch den nassen Sand. Pontevedra mit knapp 83 000 Einwohnern überrascht Besucher mit seinem Verkehrskonzept: Die Altstadt und Teile der Neustadt werden seit mehr als 15 Jahren konsequent in Fußgängerzonen umgewandelt. An vielen Ecken hängen Pläne, die wie U-Bahn-Netze aussehen: Sie zeigen nicht nur Entfernungen an, sondern auch die durchschnittliche Laufzeit und den Kalorienverbrauch. Die Altstadt zählt zu den schönsten Spaniens, mal lauschig, mal belebt sind die kleinen Plätze mit ihren Arkadengängen. Abends verwandeln Laternen die Praza da Verdura und die Praza da Leña in kleine Festsäle unter freiem Himmel. In den Restaurants stehen Muscheln, Austern und Pulpo auf den Speisekarten. Köstlich schmeckt es, egal ob einfache Hausmannskost oder gehobene Küche. Eine Michelin-Empfehlung hat das Restaurant Eirado (Praza da Leña 3, www.eiradoeventos.com). Mit ihren Granitfassaden in schimmernden Brauntönen, den Holztüren und den Tischen, sehen die Plätze so gemütlich aus, dass man bleiben möchte. Gut und günstig übernachten kann man im Hotel Rúas, das liebevoll möbliert ist und mit seiner perfekten Lage überzeugt: Es hat zu beiden Plätzen einen Zugang (Rúa Sarmiento 20, www.hotelruas.net, DZ/F 65 €).

Ría de Aldán - der kleinste Meeresarm in Galicien
Südlich der Ría de Pontevedra wird die Landschaft immer kleinräumiger und lauschiger. Wohl am schönsten ist es, wo die winzige Ría de Aldán vom größeren Meeresarm abzweigt. Auf beiden Seiten dieser Mini-Ría strahlen kleine, blonde Sandbuchten. Wunderbar zum Baden, aber leider nur mit Schuhen: Wie an einigen Stränden der Rías Baixas lauern, vergraben im Sand, Petermännchen-Fische, deren Giftstacheln sehr schmerzhafte
Einstiche hinterlassen. Ich schaue mir die mit üppig grünen Hügeln gesäumte Bucht aus einiger Entfernung an: von der Terrasse des Restaurants Menduiña oberhalb des gleichnamigen Strands, das zu kühlem Albariño und sanftem Wellenplätschern Fisch und Meeresfrüchte mit asiatischem Touch sowie großartige Wok-Gerichte serviert (www.menduiñaplaya.com). Für einen Blick auf die Ría de Vigo fahre ich bis an die Spitze der Landzunge, an die Costa da Vela. Die dreistündige Rundwanderung Roteiro de Donón (www.viveomorrazo.com) hält gesammelt alle Besonderheiten bereit, die die Rías auszeichnen: eine keltische Siedlung auf dem Monte O Facho mit grandiosem Ausblick über Fels und Meer, einen schlanken weißen Leuchtturm am windund wellenumtosten Cabo do Home, und auf der atlantikabgewandten Seite wunderbar fein-weiße Sandstrände wie die Praia da Barra.
Anreise nach Galicien
Nächste Flughäfen sind Santiago de Compostela und Vigo, von wo aus sich ein Abstecher über die Grenze ins nahe Porto lohnt. Von Santiago aus erreicht man auch die Rías Altas sehr gut, die nördlichen, wilderen der fjordähnlichen Buchten. Von Juli bis Mitte September flüchten sich viele Spanier vor der großen Sommerhitze in die Rías Baixas. Ab Mitte September wird es leerer, Wasser und Luft sind noch bis in den Oktober
hinein warm genug zum Baden.