Verwirrt drehe ich mich um. War ich nicht gerade eben erst durch die herausgeputzte Einkaufsstraße Ferhadija mit ihren österreichisch anmutenden Kaffeehäusern und westlichen Modeketten gelaufen? Und jetzt habe ich das Gefühl, mit jedem Schritt in einen anderen Kosmos einzutauchen. Vor meinen Füßen erstreckt sich Baščaršija.
Der Basar prägt seit der osmanischen Herrschaft die Altstadt. Der süßliche Geruch von Shisha-Tabak liegt in der Luft, dampfender Kaffee wird auf verzierten Kupfertabletts an mir vorbeigetragen, und der Muezzin bittet zum Gebet. In dem Geflecht aus Gassen und Innenhöfen hat fast jede Handwerkszunft noch ihren Platz.
An der Schwelle zwischen Zentrum und Altstadt treffen zwei Welten aufeinander, aber das ist in der Hauptstadt Bosnien- Herzegowinas (www.sarajevo.travel) nichts Besonderes, denn hier begegnen sich fast an jeder Ecke Kulturen und Religionen, Epochen und Baustile sowie Krieg und Frieden.
Was man sich in Sarajevo ansehen sollte
Allein im Altstadtviertel sind vier Religionen mit Gotteshäusern vertreten – einzigartig in Europa. Am Eingangstor steht die römisch-katholische Herz-Jesu-Kathegrale. Das Herz von Baščaršija formt die Gazi-Husrev-Beg-Moschee, deren Namensgeber in einem kleinen Mausoleum nebenan seine letzte Ruhe gefunden hat (Sarači).
Bis heute wird er als Vater der Stadt angesehen, da er sie bereits im 16. Jahrhundert durch kulturelle Offenheit und gute Taten prägte. Nur wenige Schritte entfernt steht, von dichten Bäumen bedacht, die alte sephardische Synagoge, in der heute das MuseumVelika Avlija die Geschichte der Juden in Sarajevo erzählt.
Ähnlich schlicht präsentiert sich die alte orthodoxe Kirche am nördlichen Rand der Altstadt. Das multikulturelle und tolerante Sarajevo verlor seine Unschuld in den Kriegsjahren zwischen 1992 und 1995. Mein Gefühl, dass die Menschen mit diesem dunklen Kapitel abgeschlossen haben, hält sich, bis ich an der Markthalle Gradska tržnica (Mula Mustafe Bašeskije 4 a) meine, in einer Blutlache zu stehen.
Überall, wo viele Menschen durch Granatenangriffe ihr Leben ließen, hat man die Schäden im Beton nicht entfernt, sondern sie in rote Farbe getaucht. Stolpersteine, die als "Rosen" bezeichnet werden.
Auch das Museum Galerija 11/07/95 versteht sich als Stolperstein. Unscheinbar liegt es im Schatten der Kathedrale und beschäftigt sich mit dem Massaker von Srebrenica, und vor allem mit dessen Folgen. Schlichte und zugleich tief berührende Fotografien, mehrere Kurzfilme und ein Audioguide erklären das nationale Trauma (Trg Fra Grge Martića 2).
Als das Altstadtgetümmel mich wieder ausspuckt, stehe ich vor der mächtigen Vijećnica . Das klotzige, filigran verzierte alte Rathaus von 1894 ist eines der bedeutendsten Gebäude im pseudomaurischen Stil. Traurige Berühmtheit erlangte es gleich zwei Mal: 1914 beim Attentat auf Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, dem Auslöser des Ersten Weltkriegs. 1992 wurde es selbst so schwer zerstört, dass die Restaurierung erst 2014 abgeschlossen wurde.
Warum man ausgerechnet hier die Narben des Krieges übergeschminkt hat, erschließt sich in der Eingangshalle: Das Sonnenlicht bricht sich in der gläsernen, blumenverzierten Kuppel und lässt die aufwendig gearbeiteten Ornamente und verzierten Säulen erstrahlen (Zmaja od Bosne 8 b).
Gleich vor der Tür liegt die osmanische Laternenbrücke und führt über die Miljacka abermals in eine andere Welt. Vielleicht die, die das heutige Leben am ehesten spiegelt: Südlich des Flusses krallen sich Wohnhäuser und kleine Lädchen an den Hang des Hausbergs Trebević. Steile Straßen und Gassen winden sich empor, bis sie Wiesen, Wäldern und einem Trampelpfad weichen, der zur Olympischen Bobbahn 3 von 1984 führt.
Auf fast zwei Kilometern durchzieht sie das Waldstück auf dem Bergplateau. Ich folge der von Graffiti verzierten Fahrrinne bis zum Startpunkt, der einen beliebten Wanderweg zum Aussichtspunkt des Trebević kreuzt. Umrahmt von den sanft geschwungenen Gipfeln des Dinarischen Gebirges, markiert im Westen der futuristische Avaz Twist Tower das neue Geschäfts- und Regierungsviertel Marijin Dvor.
Wie ein historischer Gegenpol thront die gelbe Bastion Žuta Tabija über der Altstadt. Dass dieses Tal nicht nur architektonische Gegensätze beherbergt, lässt sich von hier oben nur erahnen.
Die besten Adressen für Essen und Trinken in Sarajevo
Die besten Blätterteigschnecken gefüllt mit Spinat, Käse oder Fleisch macht das Buregdžinica Sač. Fast minütlich verlassen die gusseisernen Backformen den Steinofen (Mali Bravadžiluk 2). Bosnische Ravioli in saurer Sahne, Cevapcici oder den Fleischeintopf Muckalica bietet in direkter Flusslage das Restaurant Inat kuća (Veliki Alifakovac 1).
Das kleine Klopa mit offener Küche und luftigem Holzinterieur liegt in einem Hinterhof der Ferhadija. Das Menü macht auch Vegetarier und Allergiker glücklich (Ferhadija 5).
Auf zwei Etagen wird in der Kneipe Barhana bis in die Morgenstunden Essen und Rakija serviert. Letzteres ist der bosnische Obstbrand, den man hier in 25 Variationen ausschenkt. Besonders lecker: Walnuss und Honig (Đulagina čikma 8).
Unterkünfte in Sarajevo
In einer ruhigen Seitenstraße besetzt das Boutique-Hostel Franz Ferdinand eine Altbau-Etage mit urban eingerichteten Schlafsälen und Privatzimmern (Jelića 4; Dorm ab 10,90 €, DZ ab 15,90 €).
Blick auf die Kathedrale, eine große Terrasse und eine Airbnb-Gastgeberin, die schnell zur Freundin wird: Adna ist Architektin mit einer Schwäche für alte Möbel, die sie gern redesignt. In ihrem Chic Woody Apartment können Gäste in ihren Werken wohnen (50 € pro Nacht).
Malerisch liegt das Hotel Europe zwischen Altstadt und Miljacka. Von manchen Zimmern aus lassen sich alle vier Gotteshäuser sehen. Zu den Annehmlichkeiten zählen ein Spa und das vornehme "Viennese Café" (Vladislava Skarića 5; DZ ab 133 €).
Anreise
Die Lufthansa fliegt direkt ab München, Eurowings ab Köln/Bonn sowie von Stuttgart aus. Austrian Airlines verbindet mit Umstieg in Wien.