Wandernd das Aostatal erkunden
Daniele freut sich über das, was seinem Tal fehlt. „Wir haben keine Seilbahnen“, sagt er, kaut auf einem Grashalm und geht los, um uns auf einem schmalen Pfad durch eine Landschaft zu führen, die man für eine Fototapete halten könnte: Der Bergbach fließt durch grüne Wiesen, ein Wasserfall lässt Felsen hinter einem Schleier verschwinden. Die niedrige Almhütte ist aus Feldsteinen gemauert, das Dach mit Schieferplatten gedeckt. Zwischen gelben Arnikasternen und roten Alpenrosen stehen Steinmännchen als Wegzeiger. Ein Murmeltier pfeift schrill, um seine Artgenossen vor uns zu warnen. Daniele Pieiller ist der Wirt einer Berghütte im Valpellinetal im Nordwesten Italiens, hart an der Grenze zur Schweiz. Es gehört zum Aostatal, der kleinsten Region Italiens. Natürlich gibt es hier große Seilbahnen, in Breuil-Cervinia etwa lässt sich die Hässlichkeit einer Skistation besichtigen. Aber im kleinen Seitental kommt man nur zu Fuß auf die Berge. Wenn Daniele Lebensmittel zu seiner Hütte bringen muss, sattelt er seinen Esel. Im Dorf Bionaz betreibt seine Frau das idyllische B&B Alpe Rebelle nebst Restaurant. Von dort sind es zwei Stunden Fußweg zum Rifugio Crête Sèche. Das Aostatal bietet zahlreiche Wanderungen verschiedener Schwierigkeitsgrade (www.lovevda.it). Der Panoramaweg Gran Balconata del Cervino führt rund um Valtournenche. Er hat wenig Steigung und bietet großartige Aussichten auf die Berge rund um das Matterhorn. Wer anspruchsvolle Trekkingtouren sucht, umrundet auf der fast 200 Kilometer langen Tour du Mont-Blanc den höchsten Berg Europas oder erkundet auf der Alta Via 1 das Hochgebirge. Man muss für diesen Höhenweg kein Bergsteiger sein und keine Ausrüstung mitschleppen, aber Kondition und Trittsicherheit braucht man schon – und eine gute Karte.
Was gibt es kulturell zu erleben?
Das Aostatal ist zweisprachig, Italienisch und Französisch. Viele Bewohner sprechen einen Dialekt des Frankoprovenzalischen, einer Sprache, die irgendwo dazwischen anzusiedeln ist. In der von den Römern gegründeten Hauptstadt Aosta mit ihren romantischen Gassen sind der Triumphbogen des Kaisers Augustus und die alte Stadtmauer erhalten. Durch die Fenster des antiken Theaters sieht man Alpengipfel in spektakulärer Perspektive. Das Aostatal war immer ein Durchgangsgebiet: Der Große-Sankt-Bernhard-Pass führt in die Schweiz, der Kleine nach Frankreich. Viele Burgen und Schlösser zeugen davon, dass sich die Herrschaft über diese Verkehrsader lohnte. Das Castello di Issogne wirkt unscheinbar, doch innen sind die mittelalterlichen Fresken perfekt erhalten. „Hier wurde nichts renoviert“, sagt Omar Borettaz, Historiker vom Denkmalamt. Die bunten Wandbilder zeigen das Leben in der Schenke, die Bäckerei, die Apotheke. Aber auch historische Kritzeleien: Reisende des Mittelalters haben sich verewigt, auf Deutsch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch. Graffiti sind keine Erfindung der Neuzeit. Der Lokalhistoriker meint: „Wir sind hier in der Provinz, aber wir waren schon immer international.“ (Infos und Besuche: Tel. 0039-0125-92 93 73)
Das Aostatal kulinarisch erobern
Wenn die Wirtin der Hütte La Baita auftischt, muss man bei den Vorspeisen – Schinken, Trockenfleisch, Lardo, Wurst mit Kartoffeln und Roter Bete, dazu Fontina, den milden Rohmilchkäse, auf den das ganze Tal stolz ist – noch Platz lassen für die großartigen Kastaniengnocchi in Käsesauce. Am westlichen Ende des Aostatals wird der Genuss auf die Spitze getrieben: Eine Winzergenossenschaft betreibt am Mont Blanc die höchstgelegene Sektkellerei Europas. Auf 2173 Meter Höhe füllt sie pro Jahr 1200 Flaschen Spumante ab, der 24 Monate am Rand der Gletscher reift. Der junge Kellermeister Nicola Del Negro ist stolz auf seine feine Perlage, er schreibt sie der Höhe zu. Der Wanderer kann ohne Angst vor Fehltritten anstoßen: Von Courmayeur führt eine Seilbahn hinauf zum Gletschersekt. Eine Station weiter liegt die 3466 Meter hohe Punta Helbronner und bietet das wohl spektakulärste Hochgebirgspanorama der ganzen Alpen. Der Montblanc gleißt in der Sonne, ringsum ragen nadelspitze Felszacken in den Himmel, die Aiguille Blanche de Peuterey und der Dent du Géant.
Die besten Adressen zum Schlemmen und Schlafen
La Baita
Wer die unscheinbare Hütte mit der schönen Terrasse links liegen lässt, verpasst die Spezialitäten des Tals. Chamois, Lago di Lod, Tel. 0039-339-472 71 42
Cave Mont Blanc
„Cuvée des Guides“ heißt der feinperlige Spumante von Europas höchstgelegener Sektkellerei. Morgex, www.cavemontblanc.com
La Batise
Stylish-rustikales Hostel im idyllischen Dorf Bionaz, freundliche Gastgeber. www.labatise.eu, DZ/F ab 46 €
Rifugio Crête Sèche
Kernige Berghütte, nur zu Fuß zu erreichen, 2410 Meter hoher Startpunkt für Wanderungen und Klettertouren. Bionaz, www.rifugiocreteseche.com, Matratzenlager/HP p. P. 48 €
Rifugio Prarayer
Sehr gepflegte Hütte im Valpelline-Tal, herzhafte Küche, ideale Basis für anspruchsvolle Wanderungen. www.rifugio-prarayer.it, Matratzenlager/HP p. P. 48 €
Alpe Rebelle
Familiär geführtes, authentisches B & B, das Restaurant serviert beste bodenständige Gerichte, der Wirt bietet auch Eselstouren an. Bionaz, www.alperebelle.com, DZ/F ab 70 €
Hotel Zerbion
Herzlich geführter Familienbetrieb, sehr gute valdostanische Küche, kleiner Wellnessbereich. Torgnon, www.hotelzerbion.com, DZ/F ab 80 €
Agriturismo La Pera Doussa
Behaglicher Bauernhof, vom Gemüse bis zum Käse kommen eigene Produkte auf den Tisch. Valtournenche, www.laperadoussa.it, DZ/HP ab 110 €
Anreise in das Aostatal
Mit dem Auto über den Großen-Sankt-Bernhard-Pass oder durch den Großen-Sankt-Bernhard-Tunnel. Mit Bahn und Bus über Martigny in der Schweiz. Die nächstgelegenen Flughäfen sind Genf, Mailand und Turin.