Die Wirtin der Pfälzerhütte stellt eine große Pfanne Rösti auf den Tisch. In der rustikalen Stube hinter Natursteinmauern hängen Fotos von Steinböcken und Murmeltieren – und eines, das nicht so recht zu den rot karierten Vorhängen passt. Es zeigt eine Dame. "Fürstin Gina", erklärt Nikolaus Büchel. Der Wanderführer weiß nicht nur zu berichten, dass sie die Gattin von Franz Josef II. war, der bis 1989 über den Zwergstaat herrschte. Nikolaus verbindet auch ein persönliches Erlebnis mit der Fürstin: "Als Jugendlicher bin ich von meinem Dorf nach Vaduz in die Schule getrampt. Da hat sie mich in ihrem VW Golf mitgenommen."
Nikolaus ist ein fröhlicher Mensch. Mitte 50, Dreitagebart, an der Outdoorjacke trägt er ein Abzeichen: "Berggötte". Im Liechtensteiner Dialekt bezeichnet "Götte" Patenonkel, Patentante heißt "Gotta", beide leiten Gäste durch die Bergwelt. Die Tour für Einsteiger dauert drei bis fünf Stunden, bei Fortgeschrittenen veranschlagt der Götte vier bis sieben Stunden Gehzeit. Wer in einem Hotel oder in einer Hütte des Landes übernachtet, kann kostenlos mitwandern.
"Hinter dem Tunnel" beginnt die Bergwelt
In Liechtenstein leben 38.000 Menschen auf einer Fläche von 160 Quadratkilometern. Das Nachbarland Schweiz ist 256-mal größer. Reisende auf der Autobahn vom Bodensee nach Graubünden lassen die Hauptstadt Vaduz meist unbemerkt links liegen. Wer aufmerksam ist, sieht auf halber Höhe über dem Tal das Schloss. Am Ende der steilen Straße den Berg hinauf kommt ein Tunnel, der sprichwörtlich ist für die Liechtensteiner.
Nikolaus sagt "hinter dem Tunnel", wenn er die große Bergwelt seines kleinen Landes meint. Unsere Wanderung beginnt auf der Alp Sücka. Eigentlich wollte der Guide uns über einen breiten Grat auf den 2222 Meter hohen Rappenstein führen, hat aber schnell gemerkt, dass uns diese Route überfordern würde. Also wählt er einen einfachen Weg durch das Valünatal. Wenig Steigung, ringsum Wiesen in saftigem Grün, aus dem blauer Enzian und gelbe Butterblumen leuchten. Außer den Kuhglocken ist nur noch das Rauschen des Bergbachs zu hören.

Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Schweiz
Das kleine Land bietet mehr als 400 Kilometer gut ausgeschilderte und vielfältige Wanderwege. Der Fürstensteig etwa hat atemberaubende Ausblicke über das Rheintal und Vaduz. Den Panoramaweg rund um das Feriendorf Malbun schaffen auch Urlauber, die sonst nur mit dem Auto unterwegs sind. Der Jägerpfad führt zwischen Lärchen und Latschenkiefern auf einen Grasberg mit einer behaglichen Wiese auf dem breiten Gipfel – wie geschaffen für eine ausgedehnte Rast mit Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Schweiz.
Berggötte Michael Bargetze trifft seine Gruppe schon am Vorabend und bereitet uns darauf vor, dass die Tour auf den 2570 Meter hohen Naafkopf anspruchsvoll wird. Michael hat den drahtigen Körper eines Bergsteigers, an der Jacke trägt er das internationale Bergführer-Abzeichen. Um halb fünf brechen wir auf.
Zu Fuß ganz Liechtenstein umrunden
Der Vollmond scheint, die letzten Schneefelder verstärken das Licht, problemlos finden wir den schmalen Weg. Der Säntis ragt aus den Wolken, im Osten geht die Sonne auf und taucht die Welt in zartgelbes Licht, im Norden leuchtet der Bodensee als silbernes Band. Oben am Grat taucht ein Steinbock auf. Majestätisch steht er auf dem Fels, wie eine Skulptur ragt er in den jungen Himmel.
Das Gipfelkreuz am Naafkopf wird von drei Balken gestützt. Sie stehen für die drei Länder, die sich diesen Berg teilen: Liechtenstein, Österreich, Schweiz. Unser Götte zeigt auf die Berge am Horizont: Ein paar Gipfel weiter liegt der 2599 Meter hohe Grauspitz, der höchste Berg Liechtensteins. Im Süden ragt der Piz Palü markant bis in die Wolken. Es ist windstill und warm, als Michael von seinem Rekord erzählt: zu Fuß ganz Liechtenstein umrunden. In der Nacht ist er aufgebrochen und im Tal den Rhein entlang gejoggt. Ist auf den Grauspitz geklettert, über den schmalen Grat zum Naafkopf, runter aufs Bettlerjoch zu den Drei Schwestern.
Michael musste 5200 Höhenmeter überwinden und 112 Kilometer zurücklegen. Nach 23 Stunden und 20 Minuten hatte er einmal das Fürstentum umrundet. Bis heute ist er der Einzige, der das an einem Tag geschafft hat. Staunend wie Kinder stehen wir auf dem Naafkopf, und der Stolz auf unseren Paten ist noch größer als der Berg.

Anreise: Mit dem Auto über Vaduz nach Malbun, mit der Bahn via Buchs oder Sargans (Schweiz), von dort per Bus.
Wandern: Ende Juni fasziniert der Bergfrühling mit üppigen Blumenwiesen, im Oktober verzaubern goldgelbe Lärchen die alpine Landschaft. Von Juni bis Oktober finden die geführten Wanderungen mit den einheimischen Guides statt. Für Übernachtungsgäste in Hotels und Hütten kostenlos, Tagesgäste zahlen rund 36 €. Infos: www.tourismus.li
Essen & Schlafen:
- Pfälzerhüte - Urige Berghütte in exponierter Lage, atemberaubender Blick, deftige Küche. www.alpenverein.li, Matratzenlager p. P. ca. 20 €
- Berggasthaus Sücka - Auf der Alp sind nur Kuhglocken zu hören, rustikaler Charme, Käsefondue. Triesenberg/Steg, www.suecka.li, Matratzenlager p. P. ca. 28€
- Alpenhotel Vögeli - Behagliches Berghotel im Feriendorf Malbun, direkt am Ausgangspunkt der Berggötte Wanderungen. Die Küche ist berühmt für ihre Käsknöpfle und die Spareribs. www.alpen hotel.li, Ü/F p. P. ab 46 €
- Parkhotel Sonnehof - Luxus auf Augenhöhe mit dem Schloss des Fürsten, Gourmetrestaurant, Park mit großartiger Aussicht über das Rheintal. Vaduz, www.sonnenhof.li, DZ ab 340 €