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Skurriles Museum in Kiew Besuch in der Protzvilla von Janukowitsch

Während im Osten der Ukraine gekämpft wird, hat sich in Kiew in der Residenz des geflüchteten Präsidenten Janukowitsch bereits ein straff organisierter Museumsbetrieb etabliert
Skurriles Museum in Kiew: Eine finnische Firma erbaute die von außen noch recht unscheinbare Holzvilla einst. Nach offiziellen Angaben hat sie umgerechnet 10 Millionen US-Dollar gekostet, inoffiziell weit mehr
Eine finnische Firma erbaute die von außen noch recht unscheinbare Holzvilla einst. Nach offiziellen Angaben hat sie umgerechnet 10 Millionen US-Dollar gekostet, inoffiziell weit mehr
© Vladimir Esipov

"Wir sollten uns beeilen", sagt der Museumsführer auf Ukrainisch und verteilt Schuh-Überzüge, wie man sie aus Krankenhäusern kennt. "Es sind 500 Räume, und wir haben nur eine Stunde." Der Experte für das Präsidentenanwesen heißt Petro Olijnik und kommt ursprünglich aus Lemberg. Seit dem 23. Februar wohnt er im Haus seines ehemaligen Staatschefs. Nach der Flucht des Präsidenten war er unter den ersten Aufständischen, die in die verlassene Residenz kamen. Er ist geblieben - um das Haus zu bewachen und für Ordnung zu sorgen, sagt er.

Als im November 2013 in Kiew Massendemos für die EU-Integration begannen, konnte Olijnik nicht tatenlos zusehen. Er, ein einfacher Kleinhändler auf dem Markt in Lemberg, kaufte eine schwarz-rote Fahne der ukrainischen Nationalisten und fuhr nach Kiew. Mit Tausenden von Gleichgesinnten harrte er bei Kälte auf dem Maidan aus. Teile seiner Kleidung von damals – hohe Stiefel und ein Schutzschild – sind nun im Foyer des privaten Spa von Janukowitsch ausgestellt.

Beim Rundgang durch das Museum trägt Olijnik Lederpantoffeln aus der Garderobe des geflüchteten Präsidenten, hüllt sich aber in die schwarz-rote Fahne, die er aus seiner Heimat mitgebracht hat. Er spricht mit russischen Besuchern nur Ukrainisch, obwohl er - wie jeder in diesem Land - fließend Russisch kann. Olijnik ist hier der selbsternannte Hausmeister, Touristenführer und Bewacher in einer Person. Wer an einer Führung mit ihm teilnehmen möchte, meldet sich über eine Handynummer an und erhält die Koordinaten der Startpunkts: Das Spa des ehemaligen Präsidenten. Hier erscheint Petro immer zur vollen Stunde und nimmt die Besucher in Empfang, denn nur er kennt den einzigen legalen Weg in die protzigen Gemächer Janukowitschs. Die Residenz ist amtlich versiegelt. Das separat gelegene Spa-Gebäude hingegen nicht. Da es über eine Tunnel-Verbindung zum Haupthaus verfügt, können die Besucher das Hauptgebäude betreten, ohne das amtliche Siegel am Portal zu zerstören. Verlassen werden sie es eine Stunde später durch eine schmale Balkontür im Erdgeschoss.

Skurriles Museum in Kiew: Goldene Amaturen, goldene Klobrillen – Wiktor Janukowitsch wusste sich zu feiern. Das eigene Konterfei auf dem Toilettenpapier kam allerdings erst nach seinem Sturz in den Palast
Goldene Amaturen, goldene Klobrillen – Wiktor Janukowitsch wusste sich zu feiern. Das eigene Konterfei auf dem Toilettenpapier kam allerdings erst nach seinem Sturz in den Palast
© Vladimir Esipov

Surrealer Reichtum

Alle Schuh-Überzüge sind übergestreift – es kann losgehen. Im Schnelldurchlauf geht es durch das Spa-Haus, das dem eines arabischen Fünf-Sterne-Hotel gleicht: Kegelbahn, Sauna, Dampfbad, Pool, Fitnessraum, Boxring, Massageräume. Der ehemalige Präsident soll der Legende nach weder Fitnessgeräte noch Boxring benutzt haben, erzählt Olijnik, hier haben lediglich seine Bediensteten trainiert. Vom Boxring geht es durch den Tunnel in Richtung Hauptgebäude. Der Mamor auf dem wir laufen und die antiken, handgearbeiteten Mosaike an den Wänden lassen erahnen, welch Protz uns im fünfstöckigen Haupthaus erwarten wird. Im Inneren herrscht eine gespenstische Stille. Die Begeisterung aus den ersten Tagen der Revolution ist hier längst verflogen. Die Ukraine befindet sich im Krieg. Vor diesem Hintergrund wirkt die prächtige Residenz des geflüchteten Präsidenten surreal.

Obwohl Janukowitsch ein paar seiner Kunstschätze bei seiner Flucht mitnahm, andere Antiquitäten inzwischen von einem Museum abgeholt wurden und die Alkohol- sowie Zigarettenlager geplündert sind, ist jeder der 620-Quadratmeter mit Reichtümern übersättigt. Das Auge verliert sich schnell zwischen all den ausgestopften Löwen und Marmorböden, unzähligen Mosaiken und Massagesesseln, goldenen Standuhren und einem Flügel mit einem echten John-Lennon-Autogramm, von Dutzenden riesigen Flachbildschirmen ganz zu schweigen. Und dass in jedem Raum ein anderer Kronleuchter hängt, versteht sich von selbst. Die Klobrillen sind vergoldet und Ritterrüstungen begleiten uns immer wieder durch die Räume. Alles kann berührt werden. Wer möchte, sitzt auf der vergoldeten Klobrille Probe, doch die wenigsten Besucher machen das auch. Sie sind zu geschockt von der Extravaganz in der ihr ehemaliger Präsident lebte, während sie selbst teilweise ums Überleben kämpften.

Auf die Frage, was die Inneneinrichtung gekostet haben soll, antwortet der Guide ohne einen Anflug von Lächeln: "Unbezahlbar, denn diese Residenz wurde mit Menschenleben bezahlt. Mit all denjenigen, die keine medizinischen Hilfe bekamen, weil ihr Präsident solche Häuser gebaut hat, statt Krankenhäuser."

Skurriles Museum in Kiew: 1,6 Hektar misst das Außengelände, das rund um die Residenz im Norden Kiews verläuft
1,6 Hektar misst das Außengelände, das rund um die Residenz im Norden Kiews verläuft
© Vladimir Esipov

Größte Attraktion Kiews

Olijnik möchte so lange staunende Besucher durch die unzähligen Räume führen, bis die neue ukrainische Regierung endlich entscheidet, wem dieser Besitz nun gehört und was damit passieren soll. Gleich nach dem Umsturz war die Rede von einem "Museum der Korruption" das hier entstehen solle. Oder von einem Kinderheim. Passiert ist bisher wenig, denn die ukrainische Regierung hat gerade ganz andere Sorgen: Wirtschaftskrise, Abwertung der Nationalwährung. Diplomatische Konflikte. Und vor allem natürlich der Krieg.

So kassiert Petro Olijnik bis auf weiteres 200 Hrivna pro Besucher (umgerechnet etwa 12 Euro), verteilt die Schuhüberzüge und führt durch das Haus. Mit den Einnahmen bezahlt das Museum den Erhalt der Residenz, die Pflege des Parks, Gehälter der Bediensteten, Stromrechnungen und das Futter für die Tiere im privaten Zoo des Präsidenten - so steht es zumindest auf der Rückseite der Eintrittskarte. Mit diesem – für ukrainische Verhältnisse – hohen Eintrittspreis soll der Besucherstrom begrenzt werden. Denn Neugierige kommen in Scharen. Das Haus des Ex-Präsidenten zählt inzwischen zu den größten Attraktionen der Hauptstadt, sowohl Ukrainer als auch ausländische Besucher zahlen bereitwillig den genannten Preis für diese skurrile Mischung aus Staunen, Gruseln und Zeitgeschichte.

Skurriles Museum in Kiew: Auch ein privater Zoo gehört zu dem Gelände. Die Tiere sind nun auf die Futterspenden der Besucher angewiesen
Auch ein privater Zoo gehört zu dem Gelände. Die Tiere sind nun auf die Futterspenden der Besucher angewiesen
© Vladimir Esipov

Wir sind inzwischen im privaten Gebetsraum angekommen, eine Art orthodoxe Kirche auf rund zehn Quadratmetern. Die Wände sind überzogen von Ikonen-Gemälden. Hinter dem Altar hängen noch immer vier Gewänder für die orthodoxen Geistlichen, die auf Bestellung einen privaten Gottesdienst für den Präsidenten abhielten. Unter dem früheren Hausherrn Wiktor Janukowitsch waren hier fast tausend Menschen beschäftigt: Gärtner, Köche, Masseure, Techniker und Geistliche.

Durch eine Balkontür verlassen wir das Gebäude, die offizielle Tour von Petro Olijnik ist beendet. Doch vor der Tür erschließt sich ein 1,6 Hektar großes Gelände, das inzwischen einem Vergnügungspark gleicht. Es sind Fahrräder zum Ausleihen aufgestellt, damit Touristen das weitläufige Gelände bequem erkunden können – eine Art englischer Garten mit antiken Skulpturen, Fontänen und Teichen. Zahlreiche Souvenirhändler bieten Magnete und Fähnchen mit Janukowitsch-Motiven an. Besonders begehrt: Eine goldene Kloschüssel in Miniatur - eine Anspielung auf den teuren Kitsch in der Residenz. Und für 75 Hrivna kann man sogar eine Stunde lang durch den Park mit einem kleinen Elektro-Auto fahren. Der Präsidentenzoo liegt gleich nebenan. Verlassene Wildschweine, Rehe und Wildschafe freuen sich auf die Besucher, die ihnen mitgebrachtes Brot durch die Gitter reichen. Die hauseigene Molkerei auf dem Gelände des privaten Zoos betrieb sogar ein eigenes Labor zur Qualitätskontrolle, das zu den modernsten des Landes zählte. Die Kühe sind immer noch da, zur Begeisterung der jungen Besucher. Daneben werden in einem Treibhaus Erdbeer-Sämlinge "aus der Präsidentenzucht" verkauft.

Der frühere Besitzer war sich sicher, dass das einfache Volk all das niemals zu sehen bekommen würde. Von geführten Touren für Touristen ganz zu schweigen. Es kam bekanntlich anders, und jetzt spazieren die ehemaligen Untertanen lächelnd durch den Park und machen Selfies vor antiken Skulpturen und römischen Säulen.

Infos zum Janukowitsch-Palast

Residenz Meschigorje

Geöffnet täglich von 9 bis 19 Uhr (am Sa und So bis 20.Uhr). Eintrittpreise: 20 Hrivna, ca. 1,20 Euro (Park); 200 Hrivna, ca. 12 Euro (Führung durch die Residenz, nur mit vorherigen Anmeldung/Reservierung unter Tel. 0038-0932017631).

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