„Gegen Mittag kommt die Post. Danach wird’s langsam ruhiger“, sagt Werner Fritz über die höchstgelegene Kommune Deutschlands, die zugleich die kleinste selbstständige Gemeinde ist. Bis vor Kurzem war er ihr Bürgermeister. Balderschwang im Oberallgäu besitzt keine Sparkasse, aber einen Geldautomaten, für den Fritz acht Jahre gekämpft hat. Am Feuerwehrhaus ließ er ihn aufstellen. Doch wer dort Scheine abhebt, hat nur begrenzte Möglichkeiten, sie wieder loszuwerden. Jeden Morgen kommt der Bäcker mit dem Auto angefahren. Es gibt vier Sportgeschäfte und eins für Lebensmittel. „Ein toller Laden“, wie man dem handgemalten Holzschild über dem Eingang entnimmt. Am Kirchturm glucken zwei Hotels und ein paar Gästehäuser zusammen. Das Dorf zeigt ein wettergegerbtes Gesicht, was an den Holzschindeln der Fassaden liegt.
Rund 319 Einwohner leben in Balderschwang, 1044 Meter hoch. Von Osten kommend, fährt man über den Riedbergpass – mit 1420 Metern Deutschlands höchste Passstraße. Diese Verbindung existiert erst seit 1961. Von drei Seiten fassen schützende Berge den Ort ein. Wenn im Winter ein Tief vom Bodensee heranzieht, laden die Wolken hier Schnee ab. Viel Schnee. Werner Fritz sagt: „Bayrisch-Sibirien.“ Darin schwingt Stolz mit, über die Schneemassen. Und Respekt vor der Macht des Winters.
Auch an diesem Tag schneit es. Unentschlossen fallen Flocken vom Himmel, der das Tal wie ein Deckel abschließt. Das Licht ist diesig, die Welt überschaubar geworden. „Planet B“, sagt Jogi Januschowsky. So hat er seine Schneesportschule genannt, und er hat recht. Hier oben fühlen sich die Tage anders an als auf der wuseligen Erde. Das Tempo ist gedrosselt, aller Lärm gedämpft, das Leben wirkt weicher. „Die Grenzen sind fließend geworden“, sagt Januschowsky. Er meint damit, dass immer mehr Urlauber an einem Tag die Abfahrtsski anschnallen und am nächsten auf die Langlauflatten umsteigen. Oder sie gehen mit Jogi Schneeschuhlaufen. „Ich stromere gern durch die Landschaft“, sagt er, „am zugefrorenen Bach entlang und die einsamen Hänge hoch.“ Er zeigt den Gästen die knorrigen Wettertannen und die Nagelfluhfelsen. Zur Rast hält er an der Oberbalderschwangalpe. Im Sommer macht der Älpler hier würzigen Bergkäse, im Winter sind die Läden der Hütte fest verriegelt. Jogi setzt sich auf den Holzstoß unter dem Dachvorsprung, packt Thermoskanne und Vesperbrot aus. Ist Mittag? Nachmittag? Der Reflex, auf die Uhr zu schauen, ist eingefroren. Wir sitzen da und essen. Wie Puderzucker beim Plätzchenbacken rieseln Flocken auf einen einsamen Bergahorn. Der Rest der Welt ist verschwunden.
Wo Sie noch einsam sein können
Auf dem Schauinsland, 1147 Meter hoch, wurde dieses Ensemble geschaffen: Das Hotel die Halde verbindet eine Schwarzwälder Stube mit einem modernen Badehaus und bietet einen wunderbaren Feldberg-Blick. Oberried-Hofsgrund, Tel. 07602-944 70, www.halde.com. DZ/¾-Pension ab 276 €
Eine klassische Alpenvereinshütte ist das Rotwandhaus. Es befindet sich auf 1737 Meter Höhe. Von hier hat man einen herrlichen Ausblick auf den Schliersee, den Großglockner und die Zugspitze. Auch für zünftiges Essen ist gesorgt, mit regionalen Rezepten und hausgemachten Spezialitäten. Spitzingsee, Tel. 08026-76 83, www.rotwandhaus.de, Übernachtung ab 22 € pro Pers.