
"Mit mir lernt man den ganzen Tag", sagt Rolf-Dieter Jacobs und macht es sich am Steuer seines VW-Busses bequem. Der Bus ist hellgelb und Herr Jacobs Taxifahrer in Hamburg. Seit 13 Jahren chauffiert er Gäste aus aller Welt durch die Hansestadt, seine Stadt. "Ich bin Fuhlsbüttler", erzählt Jacobs kurz vor der Abzweigung zu den Elbbrücken. Sein Wissen schätzen nicht nur Freunde und Verwandte, sondern inzwischen auch Hamburg-Reisende, die den sogenannten Weg-Begleiter zu Rate ziehen. Denn die blättrigen Begleiter sind von Taxifahrern wie Herrn Jacobs entworfen und gefüllt worden. Zwei Bücher mit jeweils 211 Tipps sind bereits erschienen, am 20. November kommt der dritte Teil. Es sind Adressen, die die Fahrer unterwegs aufschnappen oder die sie selbst gern aufsuchen, unterteilt in die Kategorien "Entdecken", "Unterhalten", "Genießen", "Entspannen"und "Einkaufen". Vereinzelte Fahrer bieten entlang der Tipps Stadtrundfahrten an, darunter Rolf-Dieter Jacobs.
Seit fünf Jahren nenne ich Hamburg meine Heimat. Ich bin eigentlich der Meinung, mich mittlerweile ganz gut auszukennen zwischen Alster und Elbe. Mir sein Tor zur Welt zu zeigen, ist eine Herausforderung, die Herr Jacobs gern annimmt, und los geht's Richtung Süden. An einer Tankstelle biegen wir ab und fühlen uns sofort ein paar Jahrzehnte zurückversetzt. Der weiß-rote Klinker ist genauso herausgeputzt wie der Oldtimer vor der Tür. Im kleinen Ladengeschäft ziert Originalpolitur aus den 50er Jahren die Regalböden, auch Kasse und Telefon sind Unikate. Die Tankstelle Brandshof (Billhorner Röhrendamm 4) ist die erste denkmalgeschützte Tanke im Stadtgebiet und verfügt über alles, was das Herz von Autofans höher schlagen lässt – außer Benzin. Dafür gibt es eine TÜV-Prüfstelle, ein liebevoll restauriertes Café mit starkem Kaffee, Pommes und Schnitzel sowie Frühstück ab halb drei Uhr nachts. Jedes Wochenende versammeln sich hier Oldtimer-Besitzer und Fans zum Austausch und Staunen. Ich fühle mich wie an der Route 66, aber nicht wie in Hamburg. Erster Punkt für Herrn Jacobs.

Wir fahren weiter nach Rothenburgsort. "Hier liegt die günstigste Einkaufsstraße in ganz Hamburg, die Billstraße", sagt Jacobs und parkt. Wir stehen mitten im Industriegebiet, aus den Lagerhallen erklingt Musik aus Nahost und Afrika. Die kunterbunt gemischten Waren verteilen sich vor den Lagerhallen. Koffer, Klamotten, Fernseher aus China, gebrauchte Möbel und Haushaltsgeräte säumen den Bürgersteig. Lieferwagen werden beladen, die Geschäfte per Handschlag abgewickelt. Die Läden überbieten sich an kuriosen Warenmischungen und sind auch an einem Freitagvormittag gut besucht. "Den Neuen Wall oder die Mönckebergstraße kennt jeder, aber die Billstraße nicht", sagt mein Begleiter. Ich komme mir vor wie auf einem Basar, aber nicht wie in Hamburg. Zweiter Punkt für Herrn Jacobs.
"Jetzt gibt es Ruhe – für Augen, Ohren und die Seele" - so das Versprechen, als ich wieder auf dem Beifahrersitz Platz nehme. Es geht durch Rotklinker-Wohnviertel, entlang des Hafens und des Deichs Richtung Peute. Die Straße endet an der Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe (Kaltehofe Hauptdeich 6-7). Vor uns erstreckt sich die ehemalige Anlage des Wasserwerks Hamburg-Rothenburgsort, das insbesondere nach der Choleraepidemie 1892 eine bedeutende Rolle spielte. Hier wurde in einem hygienischen Institut daran gearbeitet, dass die Wasserqualität der Hansestadt besser wird und die Cholera nicht wieder ausbricht.

Mit dem Thema befasst sich auch die Dauerausstellung im Obergeschoss der liebevoll restaurierten Jugendstilvilla, in der einst das Institut untergebracht war. Durch einen unterirdischen Gang gelangen wir in eine weitere Ausstellung, die den Hamburger Brunnen gewidmet ist. Hinter der Villa erstreckt sich der angeschlossene Naturpark. Nach Schließung der Anlage 1990 konnte sich die Flora und Fauna nahezu 20 Jahre ohne menschliches Eingreifen entwickeln: 281 Pflanzen- und rund 44 Vogelarten haben die Elbinsel inzwischen besiedelt. "Sie sehen ja, was hier los ist, kaum jemand kennt die Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe, dabei ist es so ein schönes Stück Hamburg," kommentiert Jacobs die Szenerie. Ich stimme zu, so eine Idylle hätte ich in Hafen- und Industrienähe nicht vermutet. Ich fühle mich wie im Alten Land, aber nicht wie in Hamburg. Dritter Punkt für Herrn Jacobs.

Für den kulinarischen Abschluss unserer Tour geht es auf die Veddel. "Schon allein die Speisekarte ist der Hit", sagt Jacobs und steuert auf die Veddler Fischgaststätte (Tunnelstraße 70) zu. Zwischen Bahndamm und Autobahnauffahrt lässt sich nicht wirklich von einer guten Lage sprechen. Dennoch bilden wir das Ende der Schlange, die vor der Tür auf einen Platz wartet. Neben dem Eingang hängt die besagte Speisekarte: Backfischportionen in den Größen "Baby", "Klein" und "Mittel", dazu wahlweise Pommes oder Kartoffelsalat. Hinter einem schweren braunen Samtvorhang geht es in den kleinen Gastraum, in dem rüstige Rentner zwischen Hafenarbeitern und Brummifahrern hocken. Die Bedienungen tragen weiße Kittel, an den Wänden Fischernetze und maritime Gemälde aus den letzten Jahrzehnten. Die Fischgaststätte ist eine Institution auf der Veddel und seit ihrer Eröffnung 1932 jeden Tag voll. Wer es wagt, sich selbstständig einen Platz zu suchen, wird auf nordisch unterkühlte Art freundlich darauf hingewiesen, dass die Hausherren hier die Tischbelegung lieber selbst bestimmen. Und so sitzen Rolf-Dieter und ich bald mit drei fremden Herrschaften am Tisch. Während die Filetstücke aus Island frittiert werden, kommen wir ins Gespräch. Fußball, Urlaub und Fisch sind die Themen, bis Letzterer erstmal für genüssliche Ruhe sorgt. Ich fühle mich wie in Hamburg, dem Tor zur Welt. Vierter und letzter Punkt für Herrn Jacobs.

Mehr Tipps der Weg-Begleiter
Original Veddel
Eigentlich wird hier vor allem maßgeschneiderte Handwerkerbekleidung angefertigt. "Die Veddel-Hose hält ewig und wird aus diversen Stoffen maßgefertigt", sagt Rolf-Dieter Jacobs. Inzwischen ist das kleine Ladengeschäft auf der Veddel auch bei Motorradfans aus dem ganzen Land angesagt, denn auch ihre Lederkluft wird hier auf den Leib geschneidert.
Niedergeorgswerder Deich 56, 21109 Hamburg, Tel. 040-7544495, www.original-veddel.de
Duckdalben
Auf der Elbseite, auf der turmhohe Ladekräne und Containerstapel die Szenerie bestimmen, verdient Hamburg das meiste Geld. Die Seeleute der internationalen Containerschiffe finden im "Seamen’s Club Duckdalben" nicht nur Bibliothek, Computer und Gastronomie, sondern auch einen Raum der Ruhe, in dem es Gebetsecken für alle Weltregionen gibt. Auch nicht schifffahrende Besucher sind herzlich willkommen.
Zellmannstraße 16, 21129 Hamburg, Tel. 040-7401661 www.duckdalben.de
Eppendorfer Moor
Die Grünanlage ist eines der kleinsten Hamburger Naturschutzgebiete, aber zugleich das größte innerstädtische Moor Mitteleuropas. Pflanzen, Moose und Tümpel haben zahlreiche Tiere angelockt, die das Eppendorfer Moor zu ihrem zu Hause gemacht haben. "Man taucht ein in eine ursprüngliche Natur, die an Skandinavien oder in der dunklen Jahreshälfte an einen englischen Krimi erinnert", sagt Tipp-Geberin Nicole Bellon.
Weg Nummer 173, 22453 Hamburg, www.hamburg.de/eppendorfer-moor
Michelle Records
Der Laden ist nicht neu, seit 1977 gibt es hier alles zu Indie, Rock und Soul. Neu ist aber die Auszeichnung mit dem "echo" als "Handelspartner des Jahres". Findige Musikkenner kaufen hier nicht nur ihre Platten, sondern stellen sich auch so schon mal gern vor das Schaufenster. Denn darin finden über das Jahr verteilt immer wieder Konzerte namhafter Künstler statt.
Gertrudenkirchhof 10, 20095 Hamburg, Tel. 040-326211, www.facebook.com/michelle.records.hamburg
Medizinhistorisches Museum
In den historischen Räumen des Universitätsklinikums Eppendorf ist die Dauerausstellung "Die Geburt der modernen Medizin" zu Hause. Alle Räume wurden zwischen 1913 und 1926 erbaut. Besonders sehenswert ist der lichtdurchflutete, restaurierte Sektionssaal. Starke Nerven sollte man dennoch mitbringen, da die Exponate teilweise doch sehr detailliert sind.
Martinistraße 52, 20246 Hamburg, Tel. 040- 7410-57172, www.uke.de/institute/medizinhistorisches-museum/