Die Westküste: Reykjavík–Borgarnes–Stykkishólmur–Grundarfjörður
Bis Borgarnes führt die Ringstraße durch sanfte Hügel, wie komponiert von einem Modelleisenbahnbauer, der penibel jede Kuppe mit Grün beklebt und Butterblumen am Wegesrand drapiert. Dann tauchen die ersten weißen Gipfel auf und braune Tafelberge mit faltigen Flanken. Im Nationalpark Snæfellsnes auf der gleichnamigen Halbinsel rund 210 Kilometer nördlich von Reykjavík habe ich das Gefühl, ich stehe vor einem Postkartenständer, der sich rasant dreht. Ständig ein neues Panorama. Neben einsamen Farmen stürzen sich Bäche in die Tiefe, über Bergkuppen hängen Wölkchen, als hätten Feen in Zuckerwatte gepustet. Wie bucklige Trolle hocken moosbewachsene Felsen am Wegesrand. Rostrote Vulkankegel und Geröll-Skulpturen schauen aus grauen Lavafeldern. Und mittendrin, von einem Gletscher bedeckt, der Snæfellsjökull, der Vulkan, den Jules Verne für den Einstieg zum "Mittelpunkt der Erde" hielt. "Snæfellsnes, das ist Island als Miniatur", hatte mir der Schriftsteller Huldar Breiðfjörð erzählt, als sein Reiseroman "Liebe Isländer" erschienen war. Er musste es wissen, hatte er doch gerade seine Heimat auf dem Hringvegur umrundet.
Was gibt es zu sehen?
Im Hafenstädtchen Stykkishólmur mit seinen Häusern in Buntstiftfarben hat die US-Künstlerin Roni Horn für ihre Library of Water deckenhohe Glaszylinder mit dem Schmelzwasser von 24 Gletschern gefüllt. Jeder schimmert anders, mal grünlich, mal gelblich, je nachdem, welche Sedimente der Gletscher mit sich führt (www.libraryofwater.is). Und in dem kleinen Vulkanmuseum Eldfjallasafn zeigt der Geologe Haraldur Sigurðsson seine Sammlung von Vulkan-Kunst, darunter einen echten Warhol (www.eldfjallasafn.is). Auf dem Weg nach Grundafjördur produziert Guðjón Hildibrandsson auf Bjarnarhöfn hákarl, fermentierten Hai, der erst in Kisten gammelt und dann im Wind trocknet und den man nur mit einem Brennivín, dem Hochprozentigen, runterkriegt. "Wir bekommen die Haie als Beifang von Trawlern. Mein Großvater hat sie noch mit der Hand erlegt", erzählt Guðjón stolz. Dessen Ruderboot ist das Herzstück des mit Seevögeln, Angelwerkzeug und Eisbärfellen ausstaffierten Hai-Museums, das die Familie betreibt (www.bjarnarhofn.is).

Schlafen an der Westküste
In Grundarfjörður, einem Fischerörtchen im Norden der Halbinsel. Das Hostel verteilt sich auf zwei kleine Holzhäuser, ein rotes und ein grünes, und einen Neubau am Hafen auch mit geräumigen Apartments und moderner Wohnküche. Von hier geht der Blick auf einen der meist fotografierten Berge Islands, den Kirkjufell mit von Eiszeitgletschern platt geschliffenem, keilförmigem Gipfel, der an der Küste aufragt.
Der Golden Circle: Grundarfjörður–Ólafsvík–Þingvellir–Laugarvatn
Östlich von Reykjavík, im fruchtbaren Tiefland, kreuzt meine Route den Golden Circle, einen Rundweg, der zu den bekannten Sehenswürdigkeiten in der Region um den Nationalpark Þingvellir führt. Nach Gullfoss etwa: Breit, aufbrausend und nur von zwei Felsplateaus gebremst, stürzt der Goldene Wasserfall 32 Meter in die Tiefe (www.gullfoss.is). Und nach Geysir, dem berühmten Geothermalfeld. Wasserdampf wabert herüber, es riecht nach Schwefel, und alle paar Minuten schießt die "Butterfass" genannte Springquelle Strokkur eine spektakuläre, bis zu 30 Meter hohe heiße Fontäne in die Höhe (www.geysircenter.com).
Und was gibt es zu sehen?
In der Auffahrt ein polierter Oldtimer, im Garten ein Pool, neben dem Flügel ein Egg-Chair, im Arbeitszimmer die Schreibmaschine und im ganzen Haus rund 1000 Bücher, darunter seine Romane: Nichts wurde verändert in Gljúfrasteinn, wo der Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness bis zu seinem Tod 1998 lebte (www. gljufrasteinn.is/de). Zwischen Amerika und Europa liegt genau genommen nur ein Graben. Ein Weg führt von einem Kontinent zum anderen, vom Besucherzentrum des Nationalparks Þingvellir, dem Ende Amerikas, entlang der Abbruchkante hinunter zu dem See auf europäischem Grund. Genau dort, wo die nordamerikanische und die eurasische Erdplatte auseinanderdriften, trafen sich im Mittelalter die Gemeinden des Landes zum Alþing, der gesetzgebenden Versammlung (www.thingvellir.is).
Schlafen am Golden Circle
Der Ort Laugarvatn hat ein Wellnessbad mit Hot Pots und einen See, an dem sich laut Legende Alþing-Reisende haben taufen lassen, nachdem die Versammlung im Jahr 1000 das Christentum zur Staatsreligion erklärt hatte. Das einfache, freundliche Hostel mit Einzel-, Doppelund Familienzimmern serviert auch Frühstück. Mein Tipp für den Sommer: Erst abends Ausflüge nach Gullfoss und Geysir unternehmen. Dann sind die Touristenbusse fort, und man hat die Naturschauspiele fast für sich allein.
Die Südküste: Laugarvatn–Selfoss–Vík
Nördlich des Rings plätschern Wasserfälle, darunter so berühmte wie der Seljalandsfoss und der Skógafoss, von grünen Bergkuppen herab. Südlich gibt das flache Weideland den Blick frei auf die Westmännerinseln, die wie Felswände aus dem Meer aufragen. Am Weg stehen zierliche, weiß getünchte Holzkirchen, Farmhäuser, die rote Dächer tragen, Pferde mit kurzen Beinen und üppigen Mähnen und Schafe, denen die Isländer weder die Hörner noch die Schwänze stutzen. Zwischen Selfoss, dem Tor zur Südküste, und Vík, einem von Felsen gerahmten Küstenort, gibt sich die sonst aufbrausende Inselnatur überraschend lieblich.
Und was gibt es zu sehen?
Zwischen Laugarvatn und Selfoss unbedingt in Kerið halten. Wie ein smaragdfarbenes Auge im rotbraunen Gestein blickt der Kratersee in den Himmel (www.kerid.is). In den Gewächshäusern von Hveragerði gedeihen Gemüse, Blumen und Früchte. Das Städtchen liegt in einem Hochtemperaturgebiet. Überall dampft es aus der Erde, und Wanderwege führen zum Zusammenfluss eines kalten und eines heißen Bachs, in dem es sich wunderbar baden lässt (www.hveragerdi.is). Für einen der schönsten Postkartenblicke in Hvolsvöllur die 261 nehmen, sie führt auf das alpine Panorama des Eyjafjallajökull zu, der in der Landschaft ruht, als wäre nie etwas geschehen. Die Schotterpiste 250 (kein Jeep nötig) geht entlang des Unaussprechlichen, der 2010 den Flugverkehr in Europa lahmlegte, zurück auf den Ring. Seine Asche begrub auch das Seljavallalaug, ein an den grünen Flanken am Fuße des Vulkans gelegenes Freibad, das sich seit 1923 aus heißen Quellen speist. Baden ist längst wieder möglich und ein Erlebnis (242 bis zum Parkplatz, zu Fuß weiter). Bei Vík, am Kap Dyrhólaey, hat die Natur schillernde Klippen aus schwarzem Basalt designt, in denen Papageientaucher nisten.
Schlafen an der Südküste
Ein Großmuttersofa in der Lobby, selbst gefilzte Schlüsselanhänger und hausgemachte Marmeladen: Æsa führt ihr kleines Hostel in Vík mit viel Liebe zum Detail. Das in Skógar dagegen ist eine große, nüchterne Jugendherberge. Dafür steht es am gleichnamigen Wasserfall, dessen Sprühnebel die schönsten Regenbögen produziert. Wer früh bucht, könnte ein Zimmer im Hostel Fljótsdalur bekommen, einer urtümlichen Farm mit Grasdach und Blick auf den Eyjafjallajökull.
Der Südosten: Vík–Vagnsstaðir
Hinter Vík endet das Grün. Kilometerlange violette Lupinenfelder wechseln sich mit schwarzer, krümeliger Mondlandschaft ab. Brücken führen über beigefarbene Kiesebenen, rechts brandet der Atlantik an dunkle Strände, und dann taucht links der Vatnajökull auf, der größte Gletscher Europas. Sein Eis bedeckt einige der aktivsten Vulkansysteme, und seine mächtigen Zungen schieben sich bis in die Ebene hinein. Rund 350 Kilometer von Reykjavík entfernt liegen diese Eiswelten des Südostens mit der spektakulären Jökulsárlón-Lagune.
Und was gibt es zu sehen?
Kurz schauen zwei Knopfaugen aus dem Wasser, dann taucht der Seehund wieder unter. Das Boot schiebt sich vorbei an Eisbergen – gezackt, quadratisch, abgerundet, einige bis zu 15 Meter hoch. Die meisten schimmern bläulich. "Weil das Eis alle Farben bis auf Blau reflektiert. Die weißen sind schon länger unterwegs, sie haben eine Art Patina gebildet", erklärt die Führerin. Dann greift sie ins Wasser und holt eine Eisscholle ins Boot. "Seht ihr? Solange Eis im Wasser schwimmt, ist es transparent. Erst an der Luft verändert es sich." Sie bricht Stücke ab und lässt uns 1000 Jahre altes Eis lutschen. In Jökulsárlón kalbt eine der Zungen des Vatnajökull in eine Lagune. Rund sieben Jahre brauchen die Eisberge, bis sie den schwarzen Strand erreichen, wo sie dann wie riesige Eiswürfel langsam in der Sonne schmelzen (http://icelagoon.is). Vom Besucherzentrum Skaftafell (www.vjp.is) im Vatnajökullnationalpark führen Wanderwege verschiedener Schwierigkeitsgrade zu Aussichtspunkten und dicht ran ans ewige Eis. Einer der einfachen hat den Svartifoss zum Ziel. Wie mächtige Orgelpfeifen sieht das zackige Basaltgestein aus, durch das sich der "schwarze Wasserfall" seinen Weg bahnt.
Schlafen im Südosten
In der großen Küche mit Meerblick des Hostels Vagnsstaðir nahe der Gletscherlagune treffen sich Reisende aus aller Welt. Franzosen, die unter allen Umständen Drei-Gänge-Menüs kreieren, Asiaten, die auch ohne Wok Wokgerichte zaubern, Amerikaner, die sich mit Dosenbohnen begnügen, und Deutsche, die sich an Nudeln mit Tomatensoße halten. Wie Lise aus München, die mit ihrem Sohn unterwegs ist, in Madrid lebt und – ich kann es kaum glauben – dort tatsächlich eine Kollegin meiner Freundin Anke ist. Klein ist die Welt. Oder besser gesagt: Island, das ist die Welt in Klein.
Reykjavík: 24 Stunden in der Hauptstadt
Gut ein Drittel der rund 320 000 Isländer lebt in der kleinen Hauptstadt mit ihren roten, weißen und pastellfarbenen, wellblechverkleideten Häusern und den Schwänen auf dem Tjörnin- See. Einen Reykjavíker kenne ich bereits: Halldór Guðmundsson. Als ich ihm vor drei Jahren begegnete, managte er den Auftritt seines Landes auf der Frankfurter Buchmesse. Inzwischen leitet der 58-Jährige, der früher als Schriftsteller und Verleger erfolgreich war, die Harpa, das neue Konzerthaus am Hafen. Mit der je nach Lichteinfall und Blickwinkel anders schillernden, wabenartigen Fassade von Ólafur Elíasson avancierte der Bau zum Star der Stadt. Seine Biografie sei typisch für Island, meint Halldór, als ich ihm zur neuen Aufgabe gratuliere – unbeständig wie das Wetter, abwechslungsreich wie die Landschaft und bewegt wie der vulkanische Untergrund. "Außerdem", fügt er lächelnd hinzu, "sind wir so wenige, da muss jeder mehrere Jobs machen." Wie Elsa, die Besucher durch das High-Tech-Haus führt und eigentlich Sängerin ist, weshalb sie uns am Ende der Tour auf der Bühne des großen roten Saals ein Ständchen gibt (www.harpa.is).
Und was gibt es zu sehen?
Reykjavík 871 +-2 erzählt, wie alles begann. Die Ausgrabungsstätte eines Langhauses aus dem 10. Jahrhundert ist ein spannendes interaktives Museum zur Geschichte der Besiedlung in der Wikingerzeit (www.minjasafnreykjavikur.is). Heute thront über allem die Hallgrímskirkja, ein grauer Betonklotz von Kirche mit einem raketengleichen Turm und einer 15 Meter hohen Orgel, an der im Sommer Gratiskonzerte stattfinden (www.hallgrimskirkja.is). Skólavörðustígur und Laugavegur, die schmalen, von Boutiquen, Designerläden und Galerien gesäumten Shoppingmeilen, bilden nachts, wenn die beschaulichen Cafés und Läden zu Pubs und Tanzschuppen mutieren, das Epizentrum des berühmten Nachtlebens. Das endet erst, wenn in Kolaportið, der Lagerhalle am Hafen, samstags und sonntags der riesige Flohmarkt startet (www.kolaportid.is), gegenüber die Boote von Elding zu Whale-Watching-Touren starten (www. whalewatching.is) und am Citybeach von Nauthólsvík der Strandtag beginnt, wo die Stadt warmes Wasser in den Atlantik leitet und ihn so erträglich macht.
Schlafen in Reykjavík
Als ich um zwei Uhr im City ankomme, weil ich erst um Mitternacht gelandet bin, eine Stunde später im Leihwagen saß und eine weitere brauchte für die Fahrt vom 50 Kilometer entfernten Flughafen, rechne ich mit einem einsamen Nachtwächter am 24-Stunden-Check-in. Stattdessen: jede Menge Menschen in der Lounge, aufgebrezelt zum Ausgehen. Das günstigste der drei Reykjavíker Hostels (DZ ab 48 €) ist bei Travellern sehr beliebt, obwohl es etwas außerhalb liegt. Zentraler ist das Downtown (DZ ab 115 €). Das modernste und teuerste ist das Loft (DZ ab 135 €), das eher an ein Designhotel erinnert als an andere Hostels auf meiner Tour.