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Um 1800

in Kairo, eröffnet 1841
1869 hat der britische Gärtner, Tischler, Wanderprediger und Abstinenzler Thomas Cook die Nilkreuzfahrt erfunden. Mit 32 Touristen fuhr er auf zwei Dampfschiffen stromaufwärts. Die Reise von Kairo nach Assuan dauerte damals mindestens drei Wochen, während derer die Reisenden die Langsamkeit genossen, die Ruinen am Wegesrand, die Weite der Wüste hinter dem schmalen Ufergrün und die Haute Cuisine im Speisesaal. "Alles kommt zu uns, wie wir so fahren", schrieb der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke 1911 von Bord des Cook-Dampfers "Ramses the Great" an seine Frau Clara.
Europa im orientalischen Dekor
Schon in der ägyptischen Religion war ja jene Idee vorgeprägt, die auch der Pauschalreise zu Grunde liegt - der Seele auf ihrer langen Reise alles erdenklich Gute mitzugeben, damit sie von äußeren Umständen unabhängig bleibt: Bier und Brot, Taubenragout, Feigenkompott und Diener aus Holz oder Stein. 1841 eröffnete in einem ehemaligen Harem von Kairo das
legendäre Hotel "Shepheard’s", in dem die Reisenden fortan ihr Europa in orientalischem Dekor wiederfanden - komplett mit französischer Küche, Schweizer Zimmermädchen und den Kontoren von "Thomas Cook & Sons", die sich erboten, jeden Kulturschock zu dämpfen.
Bald versprachen auch der "Winter Palace" in Luxor und das "Cataract Hotel" in Assuan Luxus, Hygiene, Orchester und Fünf-Uhr-Tees - und dazu, laut Baedeker von 1914, Linderung von "Lungenschwindsucht, Asthma, chronischer Bronchitis", von "Rheumatismus, Gicht und Schlaflosigkeit".
Die trockene Wüstenluft, die es geschafft hatte, Bauten und Statuen über Jahrtausende vor dem Verfall zu bewahren, musste doch auch in der Lage sein, den Menschen vor den Gebrechen des Alters zu schützen.

Auch heute noch fasziniert der Nil
Noch heute sitzen die Pilger in weich gepolsterten Rattansesseln auf der sonnensegelverhangenen Terrasse des "Cataract" in Assuan, blicken bei Pfefferminztee oder einheimischem "Stella"-Bier über Hibiskusblüten auf die Sonnenuntergänge im "Schönen Westen", in dem der Mythos das Jenseits ahnte - jenem Westen, aus dem sie kommen und in den sie einst eingehen werden. Und sie atmen die Zeit dazwischen, die scheinbar reglos vorbeizieht wie der Nil, unmerklich die Farbe wechselt wie die Wüste, die hinter dem Uferstreifen aufsteigt – vom morgendlichen Puddinggelb über das mittägliche Gold bis zum Schneeton des Abends.
Ein Ballett von Kellnern verwöhnt die Gäste
Die Ruinen auf der Insel Elephantine, durchstreift von Ziegen und knochigen Ochsen, versinken im Grau der Vorzeit. Palmen regen sich wie Wasserpflanzen. Aus dem Hintergrund tropft Musik von Flöte, Handtrommel und der arabischen Laute Oud. Kellner in malvenfarbenen nubischen Gewändern breiten Decken über die Tische, servieren Mineralwasser in Sektkühlern und beißend süßes Gebäck auf Tablettpyramiden. Ein Ballett aus Kellnern und Oberkellnern, Aufsehern und Oberaufsehern tanzt über die Marmorfliesen, rückt Stühle zurecht und erfüllt sogar Wünsche, die niemand je gehegt hat.

Erdrückend - die Monumente Ägyptens

Nirgends fühlt sich der Mensch so klein und schutzbefohlen wie vor den Monumenten Ägyptens, vor der Sphinx, am Tal der Könige, in der Säulenhalle von Karnak. Auch der Dichter Rilke sah mit erhabenem Schaudern "diese unerbittlich großen Dinge Aegyptens, mit denen man sich gar nicht einlassen sollte". Angesichts der Taharka-Säule zu Karnak schrieb er: "Man umfasst sie nicht, so steht sie einem über das Leben hinaus, nur mit der Nacht zusammen
erfasst man’s irgenwie."
Siegeszug der Bilder
Das Reich von Isis und Osiris war ein Reich der Bilder. Und in wunderlicher Analogie waren es Jahrtausende später Bildermacher, die den modernen Ägypten-Tourismus in Schwung brachten. Napoleons Wissenschaftler- und Künstler-Kohorten, die in den Kampfpausen seines glücklosen Ägyptenfeldzugs die Monumente in Farbe auf Papier bannten, in Kupfer stachen und neunzehnbändig unter dem Titel "Déscription de l'Egypte" herausgaben; der Zeichner David Roberts, dessen 1838 entstandenen Tempelansichten noch heute die Souvenirläden von Kairo, Luxor und Assuan bestücken; die frühen Starfotografen wie Francis Frith, Antonio Beato und Maxime du Camp, die ab den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts hier von Europas Ägyptomanie und den kurzen Belichtungszeiten profitierten, welche die Wüstensonne ihnen bescherte.

Blitzlichtgewitter aus den Nilbooten

Noch heute halten die Reisenden eifrig ihre Kameras in die Unendlichkeit, machen die kleinen Ägypter ihre besten Geschäfte mit den Farbfilmen, die sie am Eingang zum Tempel von Abu Simbel anbieten, müssen die turbanbekränzten Wächter des Ramses-Tempels ohne Unterlass die Worte "no flash" psalmodieren, wetteifern am Abend die Blitzlichtgewitter aus den Nilbooten wacker mit den überwältigenden Sonnenuntergängen hinter den Wüstenbergen. Dass dann, zu Hause, alle Bilder den Bildern des Nachbarn gleichen, kann die wahren Ägyptomanen nicht beirren. Und macht so die Fotografen wieder zu Ägyptern, denen alle individuelle Kunst ein Gräuel war. Erst wenn ein Bild aussah wie alle anderen vor ihm, erfüllte es seinen magischen Zweck: die Herstellung von unverwüstlichem Glück.
Buchtipp
Die Fotos für diese Geschichte stammen aus dem Bildband "Legendäre Reisen in Ägypten" von Robert Solé, GEO SAISON/Frederking & Thaler.
320 Seiten, 200 Farb- und s/w-Abbildungen aus dem 19. Jahrhundert. 50 Euro
Sie können dieses Produkt im GEO Shop bestellen. In derselben Reihe ebenfalls erhältlich: "Legendäre Reisen in Frankreich" von Marc Walter.
