Tjuvholmen - der aufstrebende Jungspund
Ein Bauchklatscher! An der Spitze der kleinen Landzunge, die in den Oslofjord ragt, spritzt Wasser hoch. Am frühen Abend nutzen vor allem junge Norweger die langen Sommertage, um sich auf den Schwimmpontons, die vor der Kaimauer auf dem Wasser dümpeln, zu sonnen und sich mit Sprüngen in den Fjord abzukühlen. Entspannt und nordisch geht es zu in Tjuvholmen, Oslos neuestem Stadtteil. Nicht nur wegen des großartigen Fjord-Blicks inklusive Naturbad, sondern auch wegen seiner Architektur. "Tjuvholmen sollte ein einladendes Quartier werden", erzählt Stadtführerin Anne Berit Nestaas, (Tel. mobil 0047-9-587 15 04, Mail: abn@visittjuvholmen.com), die Kunst- und Architektur-Rundgänge durch Tjuvholmen und das benachbarte Akerbrygge anbietet. "Nicht zu groß, nicht zu protzig, sondern kompakt und überschaubar. Ein Stadtteil für jedermann, in dem man nicht erst konsumieren oder Eintritt zahlen muss, um eine gute Zeit zu haben." Zumindest an den lang gedehnten Sommersonnentagen scheint das bestens zu funktionieren.
Ein Vorzeige-Projekt für zeitgenössische Kunst ist das Astrup-Fearnley-Museum. Entworfen hat es der italienische Architekt Renzo Piano, dem respekteinflößende Kunsttempel nach eigenem Bekunden ein Gräuel sind. Lieber mag er Orte, die man zwanglos besuchen und an denen man sich moderner Kunst ohne Schwellenängste nähern kann. Mit scheinbar leichter Hand und feinem Schwung entwarf er ein holzverkleidetes Gebäudeensemble, überwölbt von einem riesigen Glassegel, das tagsüber das natürliche Licht einfängt und in der Dunkelheit leuchtet. Gesäumt wird es von einem verspielten, frei zugänglichen Skulpturen-Park mit kleinem Kieselstrand. Kunst als Wohlfühlzone – das hat ein jähes Ende, sobald der Besucher das Museum betritt und sich Werken von Damien Hirst gegenübersieht. Längsseits durchgeschnittene, in Formaldehyd schwimmende Kuhkadaver oder naturalistisch modellierte menschliche Genitalien haben wohl schon so manch tiefenentspannten Besucher verstört. Neben Hirsts Werken gehören Bilder, Fotografien und Installationen berühmter Zeitgenossen zu den Exponaten, darunter Arbeiten von Tracey Emin, Jeff Koons, Sigmar Polke und Andreas Gursky. Das Kunstmuseum (Strandpromenaden 2, www.afmuseet.no) betreibt ein nettes Fjordblick-Café.
Eine passende Art, sich der Stadt am Wasser vom Wasser aus zu nähern, sind geführte Kajak- Touren, die Oslos neue Hafencitys erkunden (www.oslokayaktours.no). Ganz wie Pianos Bau (nur nicht so elegant) spielen auch die angrenzenden Gebäude mit Schiffs- und Meeresmotiven. Vor seiner Umwandlung war Tjuvholmen ein mehr oder weniger heruntergekommenes Werft- und Industriegelände. Der Name "Diebes-Insel" stammt aus dem 19. Jahrhundert. Damals wurden Gesetzesbrecher auf der Landzunge exekutiert. Mit dieser unrühmlichen Vorgeschichte wird gern kokettiert, am deutlichsten vom Luxus- Design-Hotel The Thief. Die moderne Kunst, von Warhol bis Koons, die dem Gast aus etlichen Winkeln der extravaganten Herberge entgegenblickt, ist allerdings nicht geklaut, sondern vom Nachbarn, dem Astrup-Fearnley-Museum, ausgeliehen.
Aker Brygge - die ältere Schwester
Bereits zehn Jahre vor Tjuvholmen wurde das angrenzende ehemalige Werftgelände zur Hafencity umgewandelt. Zwischen den beiden Quartieren herrscht gewissermaßen Arbeitsteilung: Tjuvholmen erscheint als kunstsinniges und eher ruhiges Viertel mit vornehmen Galerien und Cafés, Aker Brygge ist das quirlige, kommerzielle Pendant mit Shopping Mall, Restaurants und Bars. Sie reihen sich vor allem entlang der Stranden, einer langen Holzplanken-Promenade am Fjord, die an Sommertagen der Ort mit dem meisten Trubel ist. Den spektakulärsten Platz hat dort das Seafood-Restaurant Onda ergattert. Im Rund eines Holzpavillons auf dem Pier der Marina essen Gäste Kabeljau, Muscheln oder Lachs mit Blick auf das rote Rathaus und Akershus, die Festung auf der gegenüberliegenden Seite des Fjordarms (Stranden 30, www.onda.no).
Zukunftsmusik
Die Neuerfindung Oslos als "Fjord City" ist noch nicht zu Ende. Weitere wassernahe Teile der Stadt sollen umgewandelt werden. Von Tjuvholmen führt eine Uferpromenade über Aker Brygge und unterhalb der Akershus-Festung entlang bis zur berühmten Oper. Schöner noch ist es, die Strecke auf dem Wasser zurückzulegen, etwa mit einem nostalgischen Segler (ab Rådhusbrygge 3, www.nyc.no). Rund um den schneeweißen Opernbau wachsen drei weitere Wasserviertel heran: In Bjørvika entsteht ein neues Kultur-Highlight, das schick geknickte neue Munch-Museum Lambda, dessen Eröffnung für 2020 geplant ist. Schon vollendet wurde der benachbarte Business-District Barcode mit seinen schmalen Designer-Bürohochhäusern, die aus der Ferne an einen Strichcode erinnern und aus der eher flach bebauten norwegischen Hauptstadt herausstechen. Dort wird auch gut gegessen: zum Beispiel Kabeljau oder Lamm im Vaaghals, in dem die Gerichte in der Tradition der norwegischen fiske als Menü zum Teilen für alle Tischgäste serviert werden (Dronning Eufemias Gate 8, www.vaaghals.com). Im Viertel Sørenga sollen bis Mitte des Jahres die stylischen Apartments in bester Fjordlage bezugsfertig sein. Und dann ist da noch das Sørenga-Seebad, das in seine zweite Saison geht: Es verfügt über eine Liegewiese, einen Sprungturm und einen Sandstrand. Auch an diesem Ende der Fjord City gehen die Hauptstädter umsonst und draußen baden.
Übernachten in Oslo
Die schönste Unterkunft in der Hafencity ist ohne Frage The Thief (Landgangen 1, www.thethief.com). Leider endet bei den Zimmerpreisen der "Jedermann"-Appeal des Viertels.
Günstigere Alternativen gibt es etwa im Stadtteil Vulkan, der an das Szeneviertel Grünerløkka grenzt. Dort versteht sich das P.S:HOTELL mit seinem lässigen Backpacker-Charme als Projekt zur Wiedereingliederung von Menschen mit Problemen (Maridalsveien 13 c, www.pshotell.no).
Die nostalgisch schlichte Zweisterne-Pension Cochs Pensjonat wiederum liegt nahe dem Schloss – ein Oslo-Klassiker (Parkveien 25, www.cochspensjonat.no).