Früh am Morgen herrscht in der Abflughalle angenehme Ruhe. Nur die Rolltreppen surren mit einem monotonen Geräusch unaufhörlich nach oben und unten. Vereinzelt ragen Köpfe aus dicken Schlafsäcken und Decken. Es ist sieben Uhr morgens. Einige Reisende sind schon um fünf Uhr gelandet und versuchen nun die Zeit bis zu ihrem Anschlussflug mit einem Nickerchen zu überbrücken. Währenddessen wischen die Putzkolonnen über den Boden, die Toilettenfrau baut fein säuberlich das Trinkgeldschälchen neben ihrem Radio auf. Es riecht nach frisch gebackenen Brötchen. Laut krachend werden die Rollläden der Duty-Free-Läden hochgezogen, die Postkartenständer werden adäquat positioniert.

Das "Tor zur Welt"
Ein Tag am Hamburger Flughafen, ohne irgendwohin zu fliegen. Schon immer herrschte in Flughäfen für mich eine ganz besondere Atmosphäre. Sie wirken fast ein bisschen wie das "Tor zur Welt". Ich könnte in den nächsten Minuten ein Ticket kaufen und zum Beispiel zum Tauchen in die Südsee fliegen, zum Bergwandern nach Nepal oder zum Skifahren nach Kanada - die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Doch ich möchte heute am Boden bleiben und mich mit den Reisenden, der bunten Mischung an Menschen, durch die modernen Hallen treiben lassen.
Unter den Anzeigentafeln mit der Aufschrift "Nizza" stellen sich die ersten Anzugträger vor den Check-in Schaltern an. Ich reihe mich ein und komme mit einem von ihnen ins Gespräch. "Leider fahre ich nicht zum Vergnügen an die Côte d'Azur", erzählt mir Manfred. Selbst am Wochenende muss er geschäftlich verreisen. Ein wichtiger Kunde, eigentlich Chefsache, aber jetzt muss er ran. Morgens hin, abends zurück, dazwischen Brunch, Verhandlungen, Kaffee, Verhandlungen, kurze Stadtrundfahrt. Fliegen gehört für Manfred fast schon zum Alltag, wie es früher ohne diese schnellen Verbindungen und günstigen Preise ging, weiß er schon gar nicht mehr. Manfred erhält seine Bordkarte und ist auch schon hinter der Glassscheibe verschwunden.
Auf längere Wartezeiten muss man sich an den Schaltern nebenan einstellen. Reiseziel: Kairo. Unzählige Menschen haben sich versammelt. Alle reden wild durcheinander, gestikulieren, versuchen auch noch den vierten Koffer auf das Band zu stellen. Wie auf einem Bazar wird um jedes Kilogramm gefeilscht, denn wenn die Waage vierzig oder fünzig Kilogramm anzeigt, muss der Fluggast tief in die Tasche greifen. Da nützen alle Verhandlungskünste nichts. Die Damen mit den knallroten Lippen und den gestärkten Uniformen bleiben hart - und erstaunlich ruhig. Auch Achmed ist mittendrin im Kilogrammkampf. Nach zwei Jahren fliegt er zum ersten Mal wieder in seine alte Heimat. Er hat viele Geschenke dabei - für die Familie. Er muss eine große Familie haben, denn schon am Flughafen verabschieden ihn über zehn Menschen. Sie küssen ihn, sie lachen und weinen. Achmed drückt jeden einzelnen. Als er schon fast durch die Sicherheitskontrolle gegangen ist, dreht er sich um, läuft zurück und drückt alle noch einmal. Und so geht das noch weitere fünf Minuten.
Ich lasse ihn allein mit seiner Familie und schlendere weiter. Fast schon filmreif, wie in "Catch me if you can", trippeln zwei Piloten im Stil von Leonardo DiCaprio mit ihren Ziehköfferchen und ihrer Schar an Stewardessen an mir vorbei. Noch nach hundert Metern steigt mir der süßliche Parfümgeruch in die Nase. Durch die großen Fensterfronten sehe ich Flugzeuge starten und landen. Menschen steigen aus, Menschen steigen ein. Für manche ist die Reise zu Ende, für andere beginnt sie erst - New York, Dubai, Bangkok, kein Ziel der Welt ist mittlerweile nicht in wenigen Stunden erreichbar. Durch die Glasscheiben sehe ich Achmed in der Abflughalle. Offensichtlich hat er die Abschiedszeremonie hinter sich gebracht. Er winkt mir zu, hält eine Tüte aus dem Duty-Free-Shop in der Hand - ein weiteres Geschenk für die Familie?