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"Ich habe mich zum Mittäter gemacht", schreibt Ernst Meierhofer in einem Forum des Internetportals "Bluewin". Sein Vergehen: Er sei "ziemlich weit in die Ferien geflogen: Flugzeugabgase, Treibhauseffekt, Klimakollaps" – die Assoziationskette genügt, seine Leser wissen, was ihn bedrückt. Doch stolz fährt Meierhofer fort, dass er ab sofort "klimaneutral" fliegen werde: "Ich zahle ein bisschen mehr und unterstütze so Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern – und bin fein raus."
Meierhofer erleichtert sein Gewissen mit einer Spende für die Entwicklungsagentur Atmosfair. Das Geschäftsmodell: "Passagiere zahlen freiwillig für die von ihnen verursachte Klimabelastung." Das Geld wird in Solar-, Wasserkraft-, Biomasseoder Energiesparprojekte investiert, um so die Menge an Treibhausgasen zu kompensieren, die durch den Flug entstanden. Flugzeuge stoßen Kohlendioxid (CO2) aus und tragen damit zum Klimawandel bei. In welchem Ausmaß, ist umstritten. Für Passagiere, die gleichwohl Buße tun möchten, bieten verschiedene Agenturen Kompensationsgeschäfte an: myclimate, Climatecare, Greenseat – oder eben Atmosfair.
Deutsche wollen mehr für den Umweltschutz tun - und zahlen
Eine Umfrage hat ergeben, dass zwei Drittel der Deutschen zehn Prozent mehr für ein Ticket zahlen würden, wenn das Geld Umweltprojekten zugute käme. Vor der Spende aber steht die CO2-Berechnung. Nach Eingabe von Start- und Zielfl ughafen ermittelt der Emissionsrechner von Atmosfair die "Klimawirkungen": Bei einem Flug von Berlin nach München und zurück betragen sie pro Passagier etwa 300 Kilogramm Kohlendioxid. "Diese Menge kann Atmosfair für Sie in einem Klimaschutzprojekt für 8 Euro einsparen", wirbt der Rechner. Der Reisende kann sofort zahlen, per Lastschrift, Kreditkarte oder Überweisungsträger.
Bisher haben Flugreisende für 16 000 Flüge extra gezahlt
Für den Langstreckenflug von Frankfurt nach Sydney werden 12,4 Tonnen CO2 bzw. 250 Euro fällig. Bisher, so Atmosfair, wurden gut 16 000 Flüge neutralisiert, für durchschnittlich 27 Euro; insgesamt hat der Bonner Verein rund 270 000 Euro erhalten als Gegenleistung für das Versprechen, 25 000 Tonnen Kohlendioxid zu kompensieren. Etwa durch Investitionen im westindischen Sringeri Mutt. In dem Wallfahrtsort werden täglich tausende Pilger versorgt. Bisher bezieht die Großküche ihre Energie aus Dieselbrennern, mit den Spendengeldern aus Deutschland soll sie auf Solarenergie umgestellt werden.
Selbstverständlich lassen sich so die Klimafolgen durch den Flug nicht rückgängig machen; er hat ja längst stattgefunden. Darauf weist Atmosfair ausdrücklich hin. Das Spendengeld wird eingesetzt, um mögliche zukünftige Klimagase andernorts zu verhindern – was nur gelingt, wenn die Entwicklungsprojekte dauerhaft funktionieren. Atmosfair und andere Klimaschützer bieten auch abgestufte Kompensationen an, etwa nur für 60 Prozent der vollen CO2- Last eines Fluges aufzukommen. Vor allem aber empfehlen sie, auf unnötige Flüge ganz zu verzichten und bei innerdeutschen Reisen auf den Zug umzusteigen.
Das Motto: "fun but fair"
Das Kompensationsangebot nutzen bislang vor allem "Lifestyle-Ökos", so Sven Bode, Chef von Greenmiles. Diese Klientel folge dem Motto "fun but fair" und damit Rockstars wie den Rolling Stones oder U2, die für ihre Touren nicht nur an Fluggesellschaften, sondern auch an Klimakompensatoren zahlen. Aber auch die Reisen der Fans zur Fußball-WM 2006 wurden im Nachhinein klimatechnisch neutralisiert, indem die Veranstalter rund 1,2 Millionen Euro spendeten.
Allerdings sind sich die verschiedenen Klima-Agenturen nicht einig, wie groß die Belastung durchs Fliegen tatsächlich ist. Für einen Flug von Berlin nach Gran Canaria ermittelt Atmosfair einen CO2-Ausstoß von 1960 Kilogramm pro Person und eine Spende von 40 Euro. Die niederländische Greenseat fordert zur Zahlung von 26,43 Euro auf, die britische Climatecare verlangt 8,80 Euro. Myclimate aus der Schweiz wiederum errechnet 44 Euro. Die Differenzen ergeben sich aus unterschiedlichen Klimamodellen. Atmosfair berücksichtigt Faktoren wie Flugzeugtyp, Bestuhlung, Auslastung, Charter oder Linie, Business oder Economy, Flughöhe, Umgebungsluft, die Wirkung von Kondensstreifen und Eiswolken sowie weitere, neben CO2 entstehende Schadstoffe – auch wenn die Zusammenhänge vieler Klimafaktoren noch nicht geklärt sind.
An wen fließt das eingesammelte Geld?
Der Anspruch an die geförderten Projekte ist hoch. Atmosfair investiert nur in solche, die dem CDM-Gold-Standard (Clean Development Mechanism) des Kyoto-Protokolls entsprechen. Vorrangig soll Kohlendioxid eingespart werden. Wichtig ist zudem, dass die Klimaschutzprojekte ohne Investition aus dem Ausland nicht zustande gekommen wären. Auch auf die Beeinträchtigung der lokalen Umwelt wird geachtet, sowie auf soziale Aspekte – Schaffung neuer Arbeitsplätze, Gesundheit, Gleichstellung. Kontrolliert werden alle Projekte von unabhängigen, bei den UN akkreditierten Prüfern. Dennoch bezweifeln Skeptiker den Sinn der guten Tat. Einige halten die Klimakompensation schlicht für irrelevant: Je nach Studie und Berechnungsart erzeugt der Flugverkehr zwischen weniger als einem und circa 1,6 Prozent des klimarelevanten CO2-Ausstoßes. Vor allem Vertreter der Luftfahrtindustrie klagen daher, das Fliegen werde als Klimakiller dämonisiert – und Emissionsausgleichsdienstleister würden diese Hysterie noch verstärken.
Ist den Entwicklungsländern damit gedient?
Den Kritikern aus der Industrie springen allerdings auch Entwicklungspolitiker zur Seite. Sie weisen darauf hin, dass in vielen armen Ländern Tourismus der einzig nennenswerte Wirtschaftszweig ist. Verzichteten Urlauber – wie von Atmosfair empfohlen – auf ihre Ferienflüge, könnten ganze Nationen weiter oder wieder verarmen. Andere wiederum fürchten, dass der Ablasshandel mit der Klimaschuld Konsumenten dazu verführen könnte, ein bisschen Kompensation bereits als wirkungsvollen Klimaschutz zu deuten. Davon ist die Welt weit entfernt: 2005 wurden zehn Millionen Tonnen CO2 neutralisiert; und 25 Milliarden Tonnen in die Atmosphäre geblasen. Allerdings wird der Klima-Markt deutlich wachsen, um das 40-Fache bis 2010, so die Schätzung einer britischen Beratungsfirma.
In der Zwischenzeit schlagen die 143 Reiseveranstalter, die sich unter dem Dachverband "Forum Anders Reisen" einem nachhaltigen und umweltverträglichen Tourismus verschrieben haben, folgende Lösung für Reisende vor: Flugreisen werden erst ab einer Distanz von 700 Kilometern angeboten. Ist das Reiseziel bis zu 2000 Kilometer entfernt, wird ein Mindestaufenthalt von acht Tagen verlangt. Ab 2000 Kilometer sollte sich der Reisende mindestens zwei Wochen am Urlaubsort aufhalten – und eine Spende leisten. Flugreisen ganz aus dem Programm zu werfen, so Forum-Geschäftsführer Rolf Pfeifer, wäre ökonomischer Selbstmord.