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Ein Wanderurlaub in Südtirol also, organisiert nur mit Tipps von Nutzern des World Wide Web. "Und das soll funktionieren?" Meine Mutter lacht. Früher, als Italien das Sommersehnsuchtsziel der Deutschen war, hat sie unsere Familienreisen geplant, hat Bücher gelesen, sich Prospekte schicken lassen und Bekannte befragt. Eine Reise vorzubereiten war harte Arbeit. "Heute", sage ich, "läuft das anders." Nicht nur Bekannte stecken einem Infos zu, die ganze Welt hilft. Man muss nur fragen.
80 000 Reise-Weblogs verzeichnet die Suchmaschine www.technorati.com, sie versprechen Erfahrungsberichte, die mehr bieten als warme Werbeworte und Prospektidylle. Daneben gibt es unzählige Reise- Foren mit Millionen von Mitgliedern - sie alle sind Experten, Erfahrene, Ortskundige. Und die sollen mir helfen. Das Ziel: eine Wanderreise durch Südtirol.

6. MÄRZ 2007 Jung, mäßig erfahren, sucht... nach guten Blogs und Foren
Sieben Südtirol-Blogs hat die Suchmaschine gefunden. Der erste Eindruck ist enttäuschend, viele befassen sich mit Banalitäten. Auf www.suedtirol-blog.com sehe ich Haflinger und die Schwemmalm im Abendlicht. Ich werde vor den "Trills" gewarnt, Dreiräder mit frisierten Motoren, die mit 90 Stundenkilometern durch die Berge rasen. Aber Wandertipps? Fehlanzeige. Auch
auf www.suedtirol.blogspot.com werde ich nicht fündig. Im einzigen Wandertipp, auf den ich stoße, berichtet jemand langatmig vom Ausflug mit seiner Freundin. Ich verlasse die Blog-Welt und gebe "Wanderforen" in die Eingabemaske der Suchmaschine ein. In vier von ihnen lasse ich mich registrieren und poste in allen denselben Eintrag: "Tipps gesucht für einen Höhenweg in Südtirol." Abwechslungsreich, aber nicht zu schwierig soll die Wanderung sein. Mein Partner und ich kennen bereits den Engadiner Höhenweg, wollen vier bis fünf Tage unterwegs sein und am Schluss auf einen Wein einkehren. Klick, abgeschickt! Mein Name leuchtet in der Community des Deutschen Alpenvereins auf, bei www.trekkingforum.com, im Alpinismus-Forum von Google Groups und auf www.fernwege.de gleich hinter "Rita", die Planungssicherheit für den Ligurischen Höhenweg braucht.
7. MÄRZ - Ich werde gelesen
Eine E-Mail aus dem Fernwege-Forum mit dem Betreff "Re: Höhenweg in Südtirol": "Ich möchte euch zu dieser Idee gratulieren. Bin selbst Südtiroler und viel in den Bergen, das Wandern und Bergsteigen ist mein schönstes Hobby. Ich wohne in A., bin männlich und 56 Jahre alt." Aha. "Ich werde mir Gedanken machen und mich melden." Hm. Immerhin, meine Anfrage wird gelesen. Acht Aufrufe in der DAV-Community, 22 im Trekking-Forum - und im Alpinismus- Forum wird eifrig diskutiert. Empfohlen werden bis zum Abend mit teilweise ausführlichen Routenbeschreibungen die Dolomiten-Höhenwege 10, 1 und 2 ("im Juli und August ist es jedoch sehr lebendig"), abgeraten wird mir von 6 und 7 ("eher was für Kampfbergsteiger"). Auch der Karnische Höhenweg in Osttirol wäre sehr schön, ebenso die Rundtour durch die Texelgruppe. Der Meraner Höhenweg verbinde großartig gelegene Hütten, man habe, wenn man den nördlichen Weg gehe, die Gipfel Texelspitze, Roteck und Hintere Schwärze im Blick. Wo ist das? Was ist das? Ist das was für uns? Ich brauche mehr Informationen, um die Auskünfte bewerten zu können. "Gibt es eine genauere Beschreibung der Touren?", frage ich. "Berichte findest du auf www.outdoorseiten.net", schreibt K. "Such mal auf www.meranerland.com", rät M. Da gebe es eine Broschüre zum Runterladen. Bis spätabends sitze ich vor dem Computer, surfe, klicke mich durch Prospekte im PDF-Format, vergleiche. Nachts träume ich vom Meraner Höhenweg. Wahrscheinlich, weil ich dazu die besten Informationen bekommen habe.
8. MÄRZ - Die Qual der Wahl
Vielleicht doch nicht Meran? "Beliebt" sei die Strecke, heißt es im Alpinismus-Forum. Das klingt nach Turnschuhtouristen. P. schlägt deshalb eine hochalpine Variante vor: Bockerhütte, Eisjöchlhütte, Lodnerhütte "und von der Stettinerhütte aus die Hohe Wilde nehmen". E. sowie T. aus dem Trekking-Forum bringen eine Vier-Tage- Tour durch die Sarntaler Alpen von Bozen nach Sterzing über den Jaufenpass ins Spiel: Man laufe wie auf einer Aussichtsplattform. Klingt gut. Ach, man könne mit dem Frühzug aus München anreisen, die Seilbahn liege bequeme 15 Gehminuten entfernt. Klingt besser. Und im September gebe es in Sterzing ein Knödelfest.
9. MÄRZ - Der Ton wird rauer
Freundlich erteile ich den Befürwortern des Karnischen Höhenwegs eine Absage (man brauche einen Bergführer, und das störe die Zweisamkeit). Und entfache damit eine Diskussion. Wertungen scheinen Schwung in die Foren zu bringen, die Fangemeinde des Klassikers schlägt zurück: "Alles Käse", schreibt D. Jede einzelne Etappe seiner vergangenen Tour preist I. an. E. meint, man müsse nur trittsicher sein, und R. rühmt den Weg als "sehr lohnend, sofern man keine Höhenangst hat". Die Diskussion beginnt sich zu verselbstständigen. Die Fans des Weges kommen richtig in Fahrt - einige scheinen sogar beleidigt zu sein. Und der Tonfall wird zunehmend rauer. Eigentlich schade, bislang war alles unkompliziert, die Leute waren hilfsbereit. Ich hatte das Gefühl, zur verschworenen Gemeinschaft der Alpinisten zu gehören.
15. MÄRZ - und ein "Pfiati" zum Abschied
Während Rita bei fernwege.de acht Antworten auf ihr posting zum Ligurischen Höhenweg erhielt, werde ich da komplett ignoriert. Beim DAV haben zwar 96 Menschen meine Anfrage gelesen, aber nur zwei geantwortet. Auch aus dem Trekking- Forum kommen bloß zwei "Re" - bei 200 Aufrufen. In Googles Alpinismus-Forum erhalte ich die meisten Antworten. Bis mein Beitrag auf die zweite Seite rückt. Dafür weiß ich jetzt, dass mir die "Alpine Auskunft" des Alpenvereins Südtirol bei der Suche nach Unterkünften helfen kann. Dass es in der Hauptreisezeit besser ist, in Lana zu übernachten als in Meran. Dass ich unbedingt einen Pinot Grigio vom Weingut Peter Zemmer probieren soll. Dass im September das Wetter meist stabil ist. Und ich kenne jetzt einen Tourplaner für Gehzeiten, Entfernungen, Auf- und Abstiegshöhen (www.tourplaner-online.de). A. weist darauf hin, dass ein Forumsmitglied in seiner Antwort den Jaufenpass mit dem Penserjoch verwechselt hat und dass die Flaggerschartenhütte letzten Sommer geschlossen war. F. wirbt wieder für die Sarntaler Alpen ("ich wohn ja da"), die seien nicht überlaufen. Und schreibt: "Pfiati."
16. MÄRZ - Mein Urlaub . . .
1. Tag. Mit dem Frühzug von München nach Bozen. Die Seilbahn nehmen, Wandern aufs Rittner Horn. 2. Tag: Weiter zum Latzfonser Kreuz. 3. Tag: Zur Flaggerschartenhütte, die in diesem Sommer wieder bewirtschaftet wird. 4. Tag: Über das Penserjoch nach Sterzing. Besuch des Knödelfestes - und ein Glas Grauburgunder.
FAZIT
Meine Mutter staunt, als ich ihr das Ergebnis mit so vielen Tipps präsentiere. Weblogs waren weniger hilfreich als Foren. Nicht zuletzt, weil da die Kenner einer Region auch auf Fehler hinweisen. Und das zählt: die Qualität der Infos. Dann fragte meine Mutter, wie lange ich für die Recherche gebraucht habe. "Zehn Tage." Lachend sagt sie: "So viel Zeit hatte ich früher nicht."