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Virtuell verreisen

Ein Online-Reisebüro bietet Trips zu digitalen Zielen wie Second Life an. Dort geht es nicht nur spielerisch zu - auch reale Touristik-Unternehmen haben Dependancen im Cyberspace

Inhaltsverzeichnis

Reiseführer Frank Koolhaas wartet zum vereinbarten Zeitpunkt auf dem Marktplatz neben einem Geschäft für Schmetterlingsfänger-Ausrüstung. Er trägt einen schwarzen Hut zum Anzug, Sonnenbrille und blinkende Schuhe. Styling ist uns wichtig, erklärt er. Touristen erkenne man daran, dass sie sich in Jeans und T-Shirt durch diese Welt bewegten. Extravagant liest sich auch unser Reiseprogramm: erst Japan, dann Paris und weiter nach New York - in zwei Stunden. Das ist der Zeitplan einer Reise durch Second Life, jene Internet-Welt, in der rund um die Uhr Zehntausende interagieren, spielen, Handel treiben, kommunizieren. Reiseführer Frank Koolhaas heißt eigentlich Mario Gerosa und arbeitet im wirklichen Leben als Journalist. Er hat Synthravels gegründet, eine Reiseagentur, die Neugierige durch Spiele wie Second Life, World of Warcraft oder Ultima Online führt. Diese Welten sind hochkomplex, allein die Bewegungsabläufe der Spielfiguren zu verstehen - Avatare genannt -, erfordert viel Übung. "Für Menschen, die nur wenig Erfahrung mit Videospielen haben, ist es nicht leicht, sich hier zurechtzufinden", erklärt Gerosa. "Und wer bereits ein oder zwei Welten kennt, kann mit uns Neuland erkunden."

Teleportieren statt gehen

Kein Kofferpacken, kein Check-In: Der Avatar hebt selbst ab
Kein Kofferpacken, kein Check-In: Der Avatar hebt selbst ab
© Linden Research Inc.

Synthravels bietet Reisen zu 27 virtuellen Zielen an - durch exotische Landschaften und surrealistische Städte oder hinaus in synthetische Wüsten. Wer einen Trip buchen will, muss sich auf www.synthravels.com registrieren und kann sich dort einen Überblick über die aktuellen Tourangebote verschaffen. Den Reisetermin vereinbart der Passagier per E-Mail mit einem der vielen Synthravels-Guides. Doch da heißt es erst einmal: warten. Denn leider zeigen sich die Tourguides oftmals weit weniger spontan, als das Angebot verheißt. Einige beantworten die Anfrage erst nach Tagen, andere überhaupt nicht. Ist schließlich ein Termin gefunden, müssen die virtuellen Touristen nur noch das Spiel herunterladen, installieren und einen Avatar kreieren (s. Kasten). Das ist Voraussetzung für eine Reise mit Synthravels. Dann öffnen sich die Tore zu Regionen, in denen der digitale Weltenbummler auf Säbelzahntigern fliegt oder gegen Monster kämpft. Second Life ist beschaulicher, die Fortbewegung aber will gelernt sein: Anfangs läuft der Avatar gegen Wände und stürzt Abhänge hinunter - bis der Spieler versteht, dass Avatare fliegen können. Denn das ist das Schöne am Reisen in Second Life: Jedes Ziel ist schnell und mühelos zu erreichen, da sich der Avatar teleportieren lässt. Das Verfahren funktioniert wie das Beamen in der Science-Fiction-Serie "Raumschiff Enterprise": Frank Koolhaas geht voran, hinterlässt eine virtuelle Staubwolke und wartet schon am nächsten Etappenziel auf seine Gruppe. Die Route bestimmt der digitale Tourist selbst.

So geht es von Nakama aus, einem Japan- Imitat, direkt in den Second Louvre, der dem Pariser Museumspalast nachempfunden ist, wo aber nur Werke von Second-Life-Bewohnern ausgestellt werden. In Caledon leben die Bewohner wie im 19. Jahrhundert, auf XTC Island geht es nur um Sex - und Midnight City, das virtuelle Manhattan, ist so überlaufen, dass die Grafik schwerfällig wird und der Reiseführer spontan vorschlägt, die Route zu ändern.

Bei Synthravels sind etwa 5000 Reisende registriert, etwa 1000 Tourguides soll es geben. "Anfangs habe ich Synthravels als ein Kunstprojekt begriffen", erzählt Mario Gerosa. "Mittlerweile buchen sogar ganze Firmen bei uns." Bald wird auch die virtuelle Reise etwas kosten. "Den Erlös verwenden wir, um den Service zu verbessern."

Auch Avatare brauchen Urlaub

Um real existierendes Geld geht es jenen Unternehmen, die im Reich der Fantasie Niederlassungen gegründet haben und dort Produkte aus der echten Warenwelt anbieten. "Gratistour Island" heißt zum Beispiel die Filiale des Reiseveranstalters gratistours.com in Second Life. Geschäftsführerin Jasmin Tayler steht dort als Avatar unter dem Aliasnamen Jas Capalini Kunden zu Verfügung, "die bei der Onlinebuchung den persönlichen Kontakt vermissen". Bunte, neue Welt: Ein Avatar berät Avatare in Second Life bei der Ferienplanung für das wirkliche Menschenleben.

Hotelmanager Wolfgang Burgschwaiger schuf in Second Life ein Abbild seiner Salzburger Wellness-Anlage "Übergossene Alm". Drei Monate lang betrieb er die Dependance, virtuelle Hotelangestellte verwöhnten virtuelle Gäste mit Massagen und Entspannungsbädern, es soll auch zu heißen Urlaubsaffären gekommen sein, von Avatar zu Avatar. Burgschwaiger hatte gehofft, über Second Life neue Gäste für sein reales Ferienunternehmen gewinnen zu können. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus, Ende Juni musste das virtuelle Hotel wieder schließen. Das sinnliche Erlebnis einer tatsächlichen Reise kann die WWW-Variante noch lange nicht bieten, sie bleibt ein stummer Ausflug in ein digitales Wunderland. "Virtuelle Reisen werden die wirklichen kaum je völlig ersetzen", glaubt sogar Berufsoptimist Mario Gerosa. "Wir werden auch weiterhin nach Ibiza oder Barbados fahren." Aber zusätzlich werden wir die Palette unserer Reiseziele um ein paar synthetische Welten erweitern. "Auch dort sind fremde Kulturen, interessante Menschen und neue Trends zu entdecken", so Gerosa.

Gestatten: Frank Koolhaas, Ihr digitaler Guide
Gestatten: Frank Koolhaas, Ihr digitaler Guide
© Mario Gerosa

Was man für eine Reise mit Synthravels braucht:

Etwa 1-2 Stunden Zeit, eine gute Grafikkarte, schnellen Internetzugang, einen Avatar. Den kreiert man dank einfacher Anleitung in wenigen Schritten - Aussehen und Geschlecht frei wählbar.

Websites:

www.mariogerosa.blogspot.com

www.worldofwarcraft.com

www.secondlife.com

GEO SAISON Nr. 09/2007 - Geheimtipps Spanien

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