
Graue Schwaden wabern durch Kabine und Cockpit der Boeing 737 mit 192 Menschen an Bord, die gerade zur Landung in Köln ansetzt. Passagiere springen auf, hämmern an die Decke über ihren Sitzen, Sauerstoffmasken fallen heraus. Der Copilot schaltet im Cockpit die Klimaanlage ab und öffnet ein Fenster. Endlich, die Parkposition. Alle drängen ins Freie. Die Bilanz des Zwischenfalls bei der Fluggesellschaft XL Airways am 3. September 2012 laut Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU): elf Verletzte.
Solche Vorfälle mit Rauch oder Gas in der Kabine, Fume Events genannt, werden immer öfter gemeldet. 175 waren es im vergangenen Jahr allein in Deutschland bei Flügen deutscher Airlines. Plötzlich riecht es etwa nach Öl, Besatzung und Passagiere klagen über Übelkeit, Taubheitsgefühle, Schwindel oder Kribbeln. Für Fluggäste wird es meist nicht schlimmer, für Piloten und Kabinenpersonal aber kann es dramatisch enden: 2012 starb ein britischer Pilot an den Folgen von Fume Events, die Obduktion zeigte starke Nervenschäden. Mehrere Flugbegleiter wurden ohnmächtig, einige dauerhaft arbeitsunfähig. Nach längerem Abwiegeln erkennt auch die BFU in einem Bericht "deutliche Hinweise auf Belastungen der Kabinenluft. Die Gase stammen möglicherweise aus Ölresten in den Triebwerken, wo auch die Luft für die Kabine angesaugt wird. Das Öl enthält unter anderem Trikresylphosphat (TCP), ein Nervengift, das vom Menschen über die Haut aufgenommen werden kann. Als Quellen kommen auch Flammschutzmittel und Weichmacher in Betracht. Akut verursacht TCP Übelkeit und Taubheitsgefühle, langfristig Lähmungen an Armen und Beinen. "Die Symptome bei Fume Events weisen ganz klar auf TCP hin", sagt Dr. Frank Bartram, Umweltmediziner aus Weißenburg in Bayern, der Betroffene behandelte.
Giftstoff TCP
Auf Airline-Uniformen habe man TCP gefunden, im Blut oder Urin von Patienten aber nur selten. Die Airline Condor ließ schon im Jahr 2009 Kabinen von 34 Maschinen auf TCP untersuchen, wie kürzlich publik wurde. Danach wurde in der Kabinenluft kein TCP gemessen. Einzelne Wischproben wiesen aber Spuren auf Kopfstützen, im Cockpit, selbst auf einem Wickeltisch nach. In der Mehrzahl der untersuchten Flugzeuge sei TCP gefunden worden, resümiert das beauftragte Institut Fresenius, "sodass eine … Kontamination der Flugzeuge hiermit bestätigt werden kann". Eine gesundheitliche Beeinträchtigung für Passagiere und Personal "ist nicht auszuschließen". Man empfahl Condor "Möglichkeiten zur Belastungsminimierung zu evaluieren". Die Airline wehrt sich gegen die Presseberichte: Die gefundenen TCP-Mengen seien "gesundheitlich unbedenklich", erst das 100- bis 1000-Fache sei giftig. Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover 2011 ergab keine "Gefährdung für die Gesundheit der Passagiere und Crews". Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, fordert hingegen von den Flugzeugbauern, die Technik zum Schutz von Personal und Fluggästen rasch umzustellen.
Das können Passagiere tun
"Fast alle Maschinen saugen die Luft an den Triebwerken an. Das Problem betrifft sämtliche Airlines weltweit", sagt er und kritisiert, dass die Fluggesellschaften weiterhin hunderte Maschinen mit der problematischen Technik bestellten. Ältere Modelle müssten mit Filtern und Sensoren nachgerüstet werden. "Eine Verunreinigung der Luft muss ausgeschlossen werden", so Handwerg. Und was können Passagiere tun, wenn es komisch riecht? Informieren Sie die Flugbegleiter und notieren Sie Uhrzeit und Flugposition. Bei gesundheitlichen Beschwerden gehen Sie nach der Landung zu einem Umweltmediziner. Beschweren Sie sich außerdem bei der Airline. "Das hilft, dass ein Bewusstsein entsteht", erläutert Handwerg. Die Sauerstoffmasken aufzusetzen nutzt hingegen wenig: Die reichern die belastete Umgebungsluft nur mit Sauerstoff an.