Wie kommt man auf die Idee, die 50 Bundesstaaten der USA in nur 50 Tagen zu bereisen?
Ich unternehme seit ein paar Jahren Reisen der besonderen Art. Ich bin zum Beispiel mit dem Tretroller durch Deutschland gereist oder ohne Geld um die Welt. Nun ist Wahljahr in Amerika, und da hat mich interessiert, wie ticken die Amerikaner momentan eigentlich. Ich wollte die aktuelle Lage im Land und die Stimmung der Menschen verstehen. Was bietet sich da mehr an, als einen Querschnitt zu machen? So entstand die Idee, alle 50 Bundesstaaten in 50 Tagen zu bereisen. Da ich die Herausforderung mag, habe ich mir in jedem Bundesstaat noch eine kultur- oder politbezogene Aufgabe gestellt, die es zu lösen galt.
Wie schwer war es, die Route so auszuarbeiten, dass du jeden Tag einen neuen Staat erreichst?
Es ging vor allem darum, die Bundesstaaten nicht nur zu tangieren, sondern sie wirklich zu bereisen. Und da gibt es so etwas wie eine Idealroute, die aussieht wie ein W und im Nordosten beginnt, dann runter nach Florida geht und so weiter. Dieser Route bin ich bis auf ein paar kleine Abweichungen gefolgt. Mit meinem Van habe ich mir 48 Staaten selbst erfahren, Alaska und Hawaii habe ich mit dem Flugzeug bereist.
Unterwegs hast du dir immer wieder sogenannte Challenges gestellt, kannst du das kurz erklären?
Ich habe vorab zu jedem Bundesstaat recherchiert, was dort interessant sein könnte. Zum Beispiel habe ich mir in Florida eine politische Aufgabe ausgesucht. Da Florida als sogenannter Swingstate [politisch unentschlossener Staat] schon ganze Wahlen entschieden hat, wollte ich dort durch Gespräche mit den Menschen verstehen, was für sie ein Swingstate ist. Es gab insgesamt zwölf politische Aufgaben. In den restlichen Staaten habe ich mir andere Dinge vorgenommen, wie in New Orleans Trompete lernen. In Colorado, dem Staat mit den schlanksten Menschen Amerikas, wollte ich beim Durchqueren des Bundesstaates mindestens ein Kilo abzunehmen.
Welche Challenge hat am meisten Spaß gemacht und welche hättest du von der Liste lieber gestrichen?
Eine große Hassliebe verbindet mich mit der Grand Canyon Challenge. Der Grand Canyon ist fast 2000 Meter tief und ich hatte mir vorgenommen, die Schlucht innerhalb von nur einer Stunde hinunter zu sprinten. Das habe ich nicht ganz geschafft, nach 1300 Metern war ich einfach zu kaputt und dann musste ich das Ganze auch noch hochlaufen, was bis in die Dunkelheit hinein gedauert hat. Das müsste ich jetzt nicht noch einmal machen.
Sehr witzig war hingegen mein Versuch, Mormone zu werden in Salt Lake City. Dort habe ich in der Hauptzentrale mein Anliegen vorgetragen. Die Missionare haben mir daraufhin den langwierigen Prozess erklärt. Um Mormone zu werden, musste ich beispielsweise die Mormonen-Geschichte auswendig lernen und vortragen. Das habe ich sogar noch geschafft, aber der Prozess hätte zu lange gedauert, also bin ich kein vollwertiger Mormone geworden. Das war eine Challenge, die sehr viel Spaß gemacht hat und sehr interessant war.
Wie viel hast du bei deiner Reisegeschwindigkeit am Ende von dem Land an sich mitbekommen?
Ich habe auf jeden Fall ein sehr gutes Gefühl für die amerikanischen Freeways bekommen … Klar, ich bin natürlich durch das Land gerast, aber durch die Challenges konnte ich mich schon jeden Tag auch ein bisschen in den jeweiligen Ort einfühlen.
Wie haben die Amerikaner auf dein Projekt reagiert?
Die fanden es alle super, da die Mission „50 States“ bei den eher nationalbezogenen Amerikanern ein weitverbreiteter Reisetraum ist. Auch die Idee mit den Challenges kam gut an, da sich die Amerikaner bekanntlich gern in vielen Dingen messen. Komisch wurde es erst, als ich die Politik ins Spiel gebracht habe. In Amerika wird das nicht so offen diskutiert, wie wir das aus Deutschland kennen. Sobald ich von meinem politischen Interesse an dieser Reise erzählte, wurde es still. In diesem Thema steckt für die oberflächliche amerikanische Kultur zu viel Sprengstoffpotenzial.
Welche Begegnungen machen für dich diese Reise aus und warum?
Da muss ich gleich an Elli aus Chicago denken. In der Geburtsstadt von Hillary Clinton hatte ich mir vorgenommen, jemanden zu finden, der mit der Präsidentschaftskandidatin befreundet ist oder war. Nach langer Suche bin ich dann auf Elli gestoßen, die Hillary aus der Kirchengemeinde kannte. Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen und mir viele Bilder aus dem Familienalbum gezeigt, auf denen eben auch Hillary zu sehen war. Das war schon ein sehr persönlicher Einblick, den Elli mir dort gewährt hat, und eine tolle Begegnung. Eine, die ich aus meinem Reisetagebuch gern streichen würde, war hingegen die Begegnung mit einem Bären im Yosemite Nationalpark, der auf einmal vor meinem Auto stand. Auf einer naheliegenden Beobachtungsplattform standen ungefähr 50 Fotografen mit ihren Teleobjektiven und gaben mir bereits Handzeichen, dass ich bloß anhalten und ruhig sein soll, um den Bären nicht aufzuschrecken. Ich habe dann leider in einem ungeschickten Moment die Hupe bedient, der Bär haute ab und die Fotografen hätten mich am liebsten umgebracht.
Wie sehr hat die anstehende Wahl deine Reise bestimmt?
Diese doch ungewöhnliche Wahlsituation, die momentan in den USA herrscht, war schon der Auslöser für meine Reise. Denn ohne nun Partei ergreifen zu wollen, sind wir uns sicherlich einig, dass die meisten Außenstehenden denken: Spinnen die Amis? Wie kann ein Donald Trump Präsidentschaftskandidat werden? Ich wollte die Beweggründe dahinter verstehen, so jemanden so weit kommen zu lassen. Wer steht hinter ihm und warum?
Und hast du sie verstanden?
Ich denke schon. Es sind mir während meiner Reise immer wieder drei entscheidende Dinge begegnet. Das Klischee des erfolgreichen Geschäftsmannes ist in Amerika auch heutzutage noch ein großes Thema. Donald Trump ist ein selbstgemachter Milliardär und das Arbeitervolk glaubt beispielsweise daran, dass er durch seine Firmen eine nicht ganz irrelevante Zahl an Arbeitsplätzen schafft. Das Zweite, was ihm gelungen ist, ist ein Image der Nähe aufzubauen. Mir haben viele Menschen aus der Mittelschicht oder dem Arbeitermilieu gesagt, dass sie sich nie mit dem intellektuellen Obama identifizieren konnten, aber mit der groben und direkten Art von Trump durchaus. Er sei so wie sie, haben mir einige Bewohner eines Trailerparks gesagt. Die waren sogar der Überzeugung, dass Trump dort auf ein Bier vorbeikommen würde. Das kann ich mir persönlich nicht vorstellen, aber nun gut. Und die dritte Gruppe war die abgesunkene Mittelklasse in Amerika, die seit der Weltwirtschaftskrise leidet und sich beispielsweise den Mauerbau-Plänen an der Grenze zu Mexiko anschließt.
Unterm Strich: War es den Stress wert?
Ja, auf jeden Fall. Es war zwar eine sehr kurze Reise, aber dafür auch eine sehr lehrreiche und intensive. Allein landschaftlich hat es sich gelohnt.
Trailer zu dem Projekt "50 States of Wigge"
All seine Erlebnisse und Erfahrungen während seiner 50-tägigen Reise durch die USA schildert Michael Wigge in seinem Buch "50 States of Wigge". Zudem wird es zu dem Projekt einen Film geben, der am 19. und 26. September im WDR zu sehen sein wird.