Tag 1: Ordentliches Abenteuer
Erstes Ziel: Durbach, eines dieser hübschen Weindörfer in Baden-Württemberg am Rand des Schwarzwalds. Neben der Straße bieten Bauern Zwetschgen, Äpfel und Trauben feil. Im Entertainment-System läuft unsere Roadtrip-Playlist. Als wir in dem Ort ankommen, wechselt sie zu »Cast Away« von Curtis Harding – verschollen im Ländle? Eher mittendrin. Auf dem Festplatz an der Almstraße klappen wir unser Dachzelt für die Nacht auf. Irgendwo im Hintergrund schallen die Durchsagen einer Sportanlage über die Weinberge. Immer wieder laufen Jogger am angrenzenden Weg in Richtung Sonnenuntergang.
Für uns bedeutet der erste Abend vor allen Dingen eines: umorganisieren. Die Kisten mit den Klamotten auf die linke Seite, obendrauf die Box mit den Kulturtaschen und direkt hinter der Kofferraumklappe alles, was man schnell rausholen muss, also: Wassertank, Kocher, Küchenutensilien und natürlich die Snackbox.
Ordnung braucht seine Zeit, es wird bereits dunkel, als wir über die Klappleiter am Heck in unser Schlafzimmer für die nächsten sieben Tage kraxeln. Schlafen auf dem Dach – schon die erste Nacht fühlt sich nach Abenteuer an.
Tag 02: Navigation verboten

Frühmorgens festgestellt: Abenteuer können einen ganz schön ins Schwitzen bringen. »Wir müssen hier raus, es wird viel zu warm hier drin«, ruft Sammi. Unser Dachzelt ist in der Morgensonne zur Sauna geworden. Gut, so sind wir heute besonders früh on the road und haben Zeit für einen Abstecher zum Kaiserstuhl. Auf der Sonnenterrasse zwischen Schwarzwald und Rhein wachsen Weinreben, und wir müssen an asiatische Reisfelder denken, als wir hindurchfahren. Alles leuchtet grün.
Gegen 15 Uhr fahren wir bei Sankt Wolfgang über die Grenze in die Schweiz und nehmen Kurs in Richtung Furkapass. Bei Interlaken schalten wir das Navi aus. Abenteuer heißt: den Straßenschildern folgen. »Grindelwald« – der Ortsname klingt verheißungsvoll und entpuppt sich als staugeplagte Sackgasse. Rund drei Stunden lang kommen wir nur im Schneckentempo voran. Also Richtungswechsel: Erst um 22 Uhr bremsen wir in Guttannen entnervt und müde auf einem Parkplatz mit 20 Franken teurem Campieren-Verbot. Das heißt übersetzt: Auspacken verboten, Feuer verboten, kochen verboten. Unser Abendessen ist folglich eine Handvoll Erdnüsse und Chips. Zumindest schlafen dürfen wir hier.
Tag 03: Flucht in die Einsamkeit
1057 Meter über Null. Nachts waren es acht, tags soll es nicht wärmer als 22 Grad werden. Angenehm. Auf geht’s. Doch wohin? Am Furkapass hatten wir geplant, die mautpflichtige Schotterpiste in Richtung Albert-Heim-Hütte zu nehmen – doch bereits die Auffahrt zum Ticketautomaten ist überfüllt. Auch das Örtchen Gletsch wimmelt von Menschen. Am Oberalppass, wo am Tomasee eine Quelle des Rheins entspringt, ist der Parkplatz schon rappelvoll. Wir fahren weiter. Doch irgendwann leeren sich langsam die Straßen. Bei Disentis verlassen wir die viel befahrene Hauptstraße und folgen dem Lukmanierpass in Richtung Medels im Oberland. Rechts von uns fließt der Rein da Medel – der längste Quellfluss des Rheins – dahinter ragen die Berge imposant in den Himmel. Egal aus welchem Wagenfenster wir schauen, überall graue Steinriesen. »Wow!«, haucht Sammi, nachdem sie minutenlang still in die Landschaft gestarrt hat, »so haben ich mir den Roadtrip vorgestellt.« Die Playlist schaltet auf »Planet Caravan« von Black Sabbath.
Wir halten mehrmals, um Fotos zu machen und die Aussicht zu genießen. Bei unserem letzten Stopp waschen wir uns im eiskalten Brenno del Lucomagno. Wilde Walderdbeeren tupfen den Wegesrand. Die Luft riecht nach von der Sonne gewärmtem Harz.
Wir sind im italienischen Teil der Schweiz angekommen. Auch die Frau an der Info-Hotline meldet sich auf Italienisch, spricht auf unsere stammelnde Nachfrage aber auch Deutsch und erklärt: Wir dürfen auf dem untersten von vier Parkplätzen an der »Zona Acquacalda« am Fuße der Alpe Pian Segno schlafen. Campieren ist untersagt, jegliches Feuer im gesamten Gebiet strengstens verboten. Waldbrandgefahr. Verständlich. Und so gibt es kaltes Chili sin Carne aus dem Glas. Ob es nur so gut schmeckt, weil wir wieder den gesamten Tag nichts Anständiges gegessen haben? Das kennen wir schon von unseren Roadtrips: Vor lauter Staunen vergessen wir unseren Hunger.
Tag 04: Offroad

Endlich! Unser größter Vorsatz für diese Reise war: So oft wie möglich runter von den geteerten Straßen. Schließlich sind wir in einem Auto unterwegs, das schlammlochtauglich ist. Doch um zwischen den Gipfeln der Alpen von Ort zu Ort zu kommen, gibt es wenig Schleichwege. Nicht so bei Sogn Gions. Hier führt ein Schotterweg am Wasser entlang (fast) bis zum Lai-da-Sontga-Maria-Stausee. Es gibt kein Fahrverbotsschild. Wir Aushilfs-Abenteurer gehen auf Nummer sicher und rufen wieder die Info-Hotline an. Ergebnis: Wir dürften so lange fahren, bis ein Verbotsschild komme.
Und so beginnt unser Offroad-Abenteuer. Statt das Autofahren zu verbieten, warnen mehrere Schilder vor dem Flussbett. Selbst bei schönem Wetter bestehe immer die Gefahr, dass das Wasser rasch ansteigt. Für den Fall der Fälle rät es zur altbewährten Lösung vieler Probleme: »Lauf weg!«. Das wiederum sollte man – so ein unauffälligeres Schild – bei einer Begegnung mit Wölfen oder Mutterkühen tunlichst vermeiden.
Wir halten, steigen aus und erkunden die Gegend zu Fuß. Das Thermometer zeigt mehr als 30 Grad an. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, waschen wir uns und unsere Haare mit Naturseife im Bach und halten aufmerksam nach Canis lupus Ausschau »Da! Nein, doch nicht.«
Tag 05: Sterne staunen

Die Krux der Schweizer Alpen: Die abseitigen Pässe führen immer wieder zu den Hauptstraßen. Zum Glück ist die Via Sursilvana eine besonders schöne. Wir fahren durch pittoreske Dörfer wie Sumvitg in Richtung Osten. Ein Blasorchester posaunt »Tage wie diese« von den Toten Hosen, als wollten sie sagen: Willkommen zurück im deutschsprachigen Teil der Schweiz.
Während wir die Campingplätze im Corona-Sommer der Nahreisen nicht nur ignorieren wollen, sondern es – aufgrund der Menschenmassen – sogar müssen, haben viele der online empfohlenen Stellplätze seit kurzer Zeit eindeutige Verbotsschilder am Straßenrand installiert. Viele ignorieren das und stehen an den Eingängen der Campingplätze Schlange. Wir fahren weiter. Auch der abgelegene Stellplatz der hiesigen Pfadfinder ist komplett voll, der Parkplatz mit Schlafmöglichkeit zum Unkostenpreis eines Hotels ebenso. Letzte Chance: bergauf.
Am 24-Stunden-Panorama-Parkplatz am Ende der Serpentinen haben ein paar Großstadt-Hippies ihre Yogamatten ausgerollt, Elektropop und esoterische Gesänge übertönen das Läuten der Schafsglocken. Und doch finden wir noch einen Stellplatz für unser Himmeldachbett. Allein, umgeben von Sternen und Stille.
Tag 06: Himmlische Straßen
Wir haben uns noch eine Strecke abseits der Hauptstraßen herausgesucht. Es geht zunächst ab- und gleich wieder aufwärts. Die Straße führt gut versteckt ins einsame Murgtal der Gemeinde Quarten zwischen dem türkis glitzernden Walensee und dem 2436 Meter hohen Gufelstock. So habe ich mir einen Sommer-Roadtrip in den Alpen vorgestellt: Überall liegen Felsbrocken, auf einigen wachsen Bäume. Nebenan ergießt sich der Murgbach in einen Wasserfall. Die Serpentinenstraße sorgt bei uns für Glücksgefühle, am Horizont erhebt sich die Bergkette der Churfisten, der Walensee liegt ihnen zu Füßen.
Zehn Schweizer Franken kostet die Zufahrt pro Tag. Wir zahlen an der Schranke, fahren bis zur letzten möglichen Haltebucht und schlendern über einen Pfad durch den Wald. »Sonst folgen dem nur die Schafe«, erzählt uns eine von zwei Nonnen aus dem Zentrum Neu-Schönstatt, die gerade an einem schattigen Plätzchen am Bach picknicken. Kurz zuvor waren sie bei der Sommer-Alpmesse, die traditionell einmal im Jahr (am letzten Sonntag vor Schulbeginn) an vielen Orten in den Alpen stattfindet.
Zurück am Wagen sind wir fast ein bisschen wehmütig, wir verlassen jetzt die Schweiz und fahren nach Österreich. Vielleicht ist es dort ja etwas einfacher, einen Stellplatz zu finden.
Tag 07: Gegen den Strom nach Hause

Von wegen! Auch Österreich ist als Reiseziel in diesem Sommer für Camper so beliebt, dass wir auf einer Alm von Freunden von Freunden parken mussten. Zurück auf der Straße halten wir kurz unter Lingenau. Wir wandern die Ach entlang, das Ziel: eine der Gumpen – Strudeltöpfe, die der Fluss über die Jahrhunderte geformt hat. Hier erfüllt sich der Traum eines jeden Möchtegern-Vanlifers: endlich mal gegen den Strom schwimmen. Als die Arme im Strom der Ach langsam lahm werden, legen wir uns noch kurz in die Sonne und treten dann den Rückweg Richtung Deutschland an.
Im Allgäu werfen wir noch einen letzten Blick in Richtung Alpen. Weit hinten am Horizont blitzt es – ein Unwetter bahnt sich an und aus den Boxen dudelt »Iron Sky« von Paolo Nutini.