Geo Saison: Was war der weiteste Weg, den Sie je für ein Fußballspiel in Kauf genommen haben?
Oliver Leisner: Das war eine Reise nach Tromsø, nördlich des Polarkreises in Norwegen, und auf die Färöer- Inseln im Nordatlantik. Dort habe ich mir Färöer gegen Luxemburg angesehen, ein Qualifikationsspiel zur WM 2002. Ich hatte Glück, überhaupt hinzukommen, weil es unglaublich stürmte.
Aber das Spiel wurde angepfiffen? Das Stadion liegt direkt am Fjord, und vom Meer zog dichter Nebel übers Spielfeld. Ich hatte Angst, dass die Partie abgesagt wird. In jedem anderen Land wäre das Spiel nicht angepfiffen worden, aber die hat das gar nicht interessiert. Die Färöer haben dann auch 1 : 0 gewonnen.
Warum reisen Sie für ein 1 : 0 im Nebel ans Ende der Welt? Ich liebe Stadien. Wenn ich die Treppe in einem Stadion hochsteige und den ersten Blick ins Rund werfe - das ist immer wieder ein unglaublicher Augenblick, das kann ich kaum in Worte fassen. Aber mich interessiert auch die Architektur der Stadien.
Zum Beispiel? Nehmen Sie Belfast: Dort haben die tatsächlich Tore, die aus Heizungsrohren zusammengeschweißt wurden - in der ersten Liga! In Berlin finde ich das alte Poststadion genial: Früher gingen dort locker 60 000 Leute hinein, heute werden Kreisklassespiele vor 60 Zuschauern ausgetragen. Und auf den Stehrängen wächst ein kleiner Wald.
Beschränkt sich Ihr Sightseeing auf Fußballstadien? Nein, so einseitig bin ich nicht. Wenn ich in Athen ein Fußballspiel besuche, dann schaue ich mir natürlich auch die Akropolis an. Aber der Fußball steht immer an erster Stelle.


Ist Groundhopping Urlaub? Manche behaupten, ein Groundhopper habe 52 Mal im Jahr Ferien, weil er an jedem Wochenende unterwegs ist. Aber das Reisen ist anstrengend. Auf einem Trip durch Süd- und Osteuropa habe ich einmal 21 Spiele in drei Wochen besucht, vom Fünftligaspiel in Tschechien bis zum Champions-League-Knaller Juventus Turin gegen den HSV.
Gibt es Momente, in denen Sie sich fragen: Was mache ich hier eigentlich? Natürlich gibt es Tiefpunkte. Ich bin mal im Zug überfallen worden und fand mich morgens um vier irgendwo in Polen auf dem Bahnsteig wieder, ohne Tasche, ohne Geld und vor allem ohne die Filme mit den Fotos von drei Wochen Fußballreise. Aber man hat dann zu Hause auch was zu erzählen.
Ist die WM in Deutschland interessant für Sie? Die Stadien kennen Sie ja schon. Die WM interessiert mich überhaupt nicht. Das ist eine riesige Kommerzveranstaltung, und das ganze Land dreht durch. Wenn ich mir schon die Ticketvergabe anschaue: Viele, die da in die Stadien gehen, haben doch noch nie im Leben ein Spiel gesehen. Mit Fußball hat das nichts zu tun.
Den Eindruck hat man beim Groundhopping manchmal auch: Es gibt einen Engländer, der nur zu den Stadien fährt, in denen ein Spiel abgesagt wurde. Es laufen schon schräge Typen herum, keine Frage. Aber so etwas hat mit dem Groundhopping, wie wir es in Deutschland betreiben, nichts zu tun.
Man hört auch von einem Groundhopper, der seine Reisen mit Straßenpantomime finanziert. Fari heißt der. Er ist ein Weltenbummler, der sich das Groundhopping zur Lebensaufgabe gemacht hat. In Afrika ist er mit dem Fahrrad von Stadion zu Stadion gereist. Er hat Dinge auf sich genommen, die kein anderer Groundhopper machen würde. Solche Leute gibt es. Ein Bekannter von mir war kurz vor dem Irakkrieg in Bagdad bei einem WM-Qualifikationsspiel. Er ist auf dem Landweg eingereist, auf der Rückfahrt kamen ihm schon fast die amerikanischen Panzer entgegen.
Haben Sie noch ein Privatleben außerhalb der Stadionwelt? Ich habe eine Freundin, wenn Sie das meinen. Ich kenne aber auch viele Groundhopper, die keine feste Beziehung haben, aus Zeitmangel.
Wie finanzieren Sie Ihre Reisen? Ich reise und lebe sehr sparsam. Meine Wohnung kostet 250 Euro warm. Ich leiste mir kaum andere Sachen. Ich habe auch keinen Fernseher.
Sie gucken keine Sportschau? Nie. Das interessiert mich überhaupt nicht. Im Fernsehen erlebt man das Spiel völlig anders. Im Stadion habe ich den 180-Grad-Blick und die Atmosphäre. Vor dem Fernseher würde ich mir ständig Gedanken machen, warum ich nicht dort bin.
Wie man Stadien sammelt
Ob beim Sechstligaspiel in Spanien oder bei der isländischen Meisterschaft: Groundhopper sammeln Stadien, egal wo. Jeder neue "ground" - englisch für Fußballfeld - bringt einen Punkt. Wer im englischen "Club 92" Mitglied sein möchte, muss alle 92 Stadien der vier höchsten Ligen des Landes besucht haben. Hierzulande sind die "Stadionhüpfer" in der "Vereinigung der Groundhopper Deutschlands" organisiert. Ihr Veteran: Rentner Karl- Heinz Stein, der seit den siebziger Jahren mehr als 6000 Grounds rund um den Globus gesehen hat. Der 26-jährige Oliver Leisner bringt es auf aktuell 681 Spiele in 450