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Mitten in Südtirol gibt es eine aktiven Vulkan. Er thront dort, wo der Schnalserbach in die Etsch rauscht, auf einem grünen, von der Sonne erwärmten Kegel: Schloss Juval - eine fortwährende schöpferische Eruption, ein touristischer Hotspot. Burgruine, Weingut, Biohof, Bergzoo in einem, dazu Sommerdomizil der Familie Messner; vor allem aber das erste und persönlichste von inzwischen vier alpinen Museen, die Reinhold Messner in Südtirol und im angrenzenden Venetien ins Leben gerufen hat.
Juval: Bhutan im Vinschgau
Hier in Juval etablierte der bedeutendste Bergsteiger des 20. Jahrhunderts einen einzigartigen Kosmos. Er reicht von grönländischen Seehundstiefeln bis zu afrikanischen Masken, vom tanzenden Gott Shiva bis zur Tatze des Tibetbären, vom meditativen Tantra-Raum bis zum leicht müffelnden Expeditionskeller - Sammlung und Sammelsurium zugleich. Ein verwinkelter Parcours führt durch Türme und Gemächer. Im Garten wehen Gebetsfahnen, Schwalben umschwirren den Bergfried. Nach Süden hin schweift der Blick über Obstplantagen, Weinberge und das Tal, durch das die begradigte Etsch schneidet. Im Nordwesten prangt unnahbar der Similaun-Gletscher. Juval liegt zwischen zwei Welten, zwischen südlicher Sonne und ewigem Eis. Ein alpiner Zwergstaat, eine Art Bhutan im Vinschgau.
Dass Reinhold Messner Kunst sammelt, hatte sich bereits herumgesprochen. Doch jetzt sammelt er ganze Museen. Um seine reichen Bestände zu präsentieren, entstanden nach Juval zunächst noch zwei kleinere Ausstellungen: eine in Sulden am Ortler, eine andere auf dem Monte Rite, südlich von Cortina d’Ampezzo, Dolomites genannt. Das vierte und größte der "Messner Mountain Museums" öffnete schließlich im Sommer 2006 bei Bozen seine Tore, das Firmian. Ein fünftes, den Bergvölkern der Welt gewidmet, soll in den nächsten Jahren hinzukommen - wo, steht noch nicht fest. Thema aller Häuser ist die Begegnung von Mensch und Berg, das Plädoyer für eine respektvolle Haltung gegenüber dem vielgestaltigen Lebensraum.
Unorthodoxe Gesamtkunstwerke
Was die Museen zudem eint, ist die Leidenschaft ihres Begründers für die Berge, ihre Natur und die darin gewachsenen Kulturen. "Ich wollte mein Erbe einbringen", resümiert Messner. "Und ich wollte die Museen ins Gebirge stellen, nicht in die Zentren." Mit fünf Millionen Gästen im Jahr sei Südtirol schließlich auch ein Ballungsgebiet, nur eben ein saisonales. Messner wünscht sich, "dass die Besucher die Museen nicht bloß besichtigen, sondern erleben". Sie sind unorthodoxe Gesamtkunstwerke, spiegeln die Vorlieben ihres Schöpfers wider, dem große Gesten wichtiger sind als akademischer Kleinkram. Als bevorzugtes Medium dienen Gemälde. Hinzu kommen zeitgenössische Skulpturen und Installationen, bibliophile Raritäten, literarische Zeugnisse und allerhand Ausrüstung aus der Pionierzeit des Alpinismus.

Wer allen vier Häusern einen Besuch abstattet, erhält durch ihre spektakulären Standorte ein einprägsames Bild von Südtirol. Das Museum am Ortler - italienisch Ortles - widmet sich der Welt des Eises, jenen Gefilden, in denen, so der Polarforscher Fridtjof Nansen, "sogar die Seele erstarrt". Wer auf der Anreise in Trafoi Station macht, hat das Thema bereits vor Augen: Mächtige Gletscher liegen als gleißende Schabracken über dem Rücken des Massivs.
Ortler: Pyramide im Osten

Während der Ortler nach Norden hin die kalte Schulter zeigt, präsentiert er sich im Osten, Richtung Sulden, als breite Pyramide. Immer aber bannt er den Blick. Das ist mehr als ein Berg, eher ein Gebirge für sich. Mit seinen 3905 Metern war er bis 1919, als das Gebiet an Italien ging, die höchste Spitze Österreichs, Habsburgs Everest. Alte und neue Routen führen hinauf, leicht ist keine von ihnen. Und dann gibt es noch solche, die die Bergführer "Fexentouren" nennen: Wege, die kein vernünftiger Mensch ohne zwingenden Grund geht. Reinhold Messner ist ein Leben lang auf solche Fexentouren ausgezogen. Eine der verwegensten war der Gewaltmarsch durch die Antarktis, gemeinsam mit Arved Fuchs. Im Foyer des Suldener Museums gibt es das Zelt und einen Schlitten dieser Expedition zu bestaunen. Sonst aber hält der Meister sich vornehm zurück, hier wie in den drei anderen Häusern. Manche Besucher zeigen sich deswegen sogar enttäuscht, hatten sie doch eine Ruhmeshalle ihres Helden erwartet. Doch der will nicht sich selbst feiern, sondern die Berge.
Eiskeller aus Rohbeton
Um das Dorfbild nicht zu stören, wurde das Museum am Ortler unterirdisch angelegt, ein Eiskeller aus Rohbeton. Dennoch wirkt es hell und einladend. Ein Oberlicht lenkt den Blick unvermutet auf den Gipfel. Dann führt eine Rampe hinab ins Souterrain, wo ganze Spaliere von Gemälden hängen. Darunter einige von Julius von Payer, einem k. u. k. Offizier, der den Ortler als Kartograf erkundete und dann maßgeblich an der österreichischen Nordpol-Expedition 1872-74 beteiligt war. Seine verzweifelt schönen Polarbilder gehören zu den Glanzstücken der Ausstellung; was er malte, beschrieb er selbst als "schauervoll großartige Wildnis voll Wechsel in den Gestalten und Monotonie in den Farben". Payer war in vielem ein Vorläufer von Messner & Co: 1200 Vorträge soll er gehalten haben. Ein frühes Beispiel für die paradoxe Existenz des modernen Abenteurers, der auszieht, so allein wie möglich zu sein, um dann so vielen wie möglich davon zu berichten. Eine Lawine donnert dröhnend zu Tal. Ein Schneesturm heult. Eismassen bersten.
Auch wenn die Naturkatastrophen im Museum nur vom Band kommen, zieht man doch unwillkürlich den Kopf ein. Und erhält eine Ahnung davon, wie ausgesetzt und verletzlich ein Mensch sich in solchen Eiswüsten fühlen mag. Gut, dass es im alten Bauernhaus nebenan eine Versorgungsstation gibt: "Yak & Yeti" tischt exotische Schmankerl wie tibetische Ravioli oder Carpaccio vom Yak auf. Messner hat die dickfelligen Grunzochsen in Italien eingeführt. Im Sommer ziehen sie auf die Almen, im Winter weiden sie als vierbeinige Tibetica gleich hinter dem Museum.
Das raue Klima im höchstgelegenen Dorf Südtirols - rund 1900 Meter - ficht sie nicht an. Noch höher grasen ihre Artgenossen am Monte Rite im Osten der Dolomiten. Dort steht das dritte Museum: Dolomites. Bereits die Anfahrtsbeschreibung für den Parkplatz verwundert: "Unten am Pass" - für Flachländer klingt das etwa so paradox wie "unten auf dem Dach". Aber Berge haben ihre eigenen Regeln, vor allem die Dolomiten, diese Exoten der Alpen. Hier gehört der Pass fast noch zum Tal, und das Museum liegt hoch über den Wolken.
Dolomites: Kunst statt Krieg

Einblick in das Museum
Sofern es die Besucher nicht vorziehen, zwei Stunden aufzusteigen, karrt ein Geländewagen sie über steile Serpentinen auf den knapp 2200 Meter hohen Rücken. Ein Logenplatz im Naturtheater: vis-à-vis der Felskoloss des Antelao, im Westen der Pelmo als himmelhoher Paravent. Jedes Massiv eine Insel. Die fantastischen Gebilde scheinen eher den Erosionslandschaften des wilden Westens verwandt als den vergleichsweise rustikalen Nordtiroler Alpen. Ein unerschöpfliches Revier für Kletterfreunde, aber auch für Künstler, Fotografen, Filmemacher. Messner hatte wenig Mühe, das Haus allein mit Dolomitenbildern zu bestücken. Sie feiern die seiner Meinung nach "schönsten Berge der Welt".
Doch was heißt Haus - beim Monte Rite handelt es sich um eine Festung, genauer: um die Trümmer einer Festung, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg erbaut wurde. Sie besteht aus der Batterie auf dem Gipfelgrat und der etwas tiefer liegenden Kaserne, in der jetzt Cafeteria, Verwaltung und einige Gästezimmer Platz gefunden haben. Aus den gepanzerten Kuppeln ragten einst Drehgeschütze. Mehrere Haupttäler ließen sich von hier oben überblicken - und im Ernstfall unter Beschuss nehmen. Dieses "Fernkampfwerk" hatte ein absurdes Schicksal: Es wurde nie angegriffen, aber zweimal zerstört. Zunächst von den Italienern, welche die Stellung kampflos räumten, und ein Jahr später von den wieder abziehenden Österreichern. Wo sich heute Wanderer am Panorama ergötzen, spähten damals Soldaten nach dem Feind. In diesen malerischen Bergen wurde gehungert und gefroren, geschossen und krepiert. Anstelle der Geschütztürme ragen heute gläserne Hauben aus dem Dach. Wie riesige Kristalle erscheinen sie, funkelnde Lichtschächte, Symbole eines neuen Zeitalters.
Kunst statt Krieg - durch Messners Projekt erfuhr das Gelände eine radikale Umwidmung. An der Wiederbelebung der Ruine beteiligten sich auch die Gemeinde Cibiana di Cadore und die Region Veneto. Denn der Monte Rite liegt bereits jenseits der Grenzen Südtirols. Ob man nun durchs Grödner- oder durchs Pustertal anreist, in den Dolomiten springt einem stets das Wohlstandsgefälle zwischen Norden und Süden ins Auge. Die italienischsprachigen Täler wirken ärmer, dünner besiedelt und weniger verbaut. Lange Zeit gab es hier Alternativen zum Tourismus. In Cibiana wurden Nägel, Schlüssel und zuletzt Brillen gefertigt. Doch all diese Gewerbe sind verschwunden, viele Bewohner abgewandert. Im dunklen Taltrichter stehen die Häuser eng zusammengepfercht. Die Fensterläden sind geschlossen, die Fassaden verschorft. Das Museum über den Wolken soll nun die Wende bringen.
Das Thema Grenze ist in Südtirol allgegenwärtig. Seit eh und je lebt man hier mit Konflikten. Schon Ötzi starb durch einen Pfeilschuss. Kaum eine Region Europas scheint derart mit Burgen gespickt. Nicht zufällig sind drei der vier Messnerschen Museen solche Anlagen, und auch das vierte, stollenartig in den Fels am Ortler getrieben, erinnert stark an eine Verteidigungsanlage. Die größte Burg ist die prominenteste: Sigmundskron, hoch über Bozen gelegen.
Firmian: Schauerromantik
Wie eine Krone sitzt das rote Gemäuer auf dem Berg. Seit sich in den fünfziger Jahren zehntausende hier versammelten, um Autonomie zu fordern, gilt sie als Gralsburg Südtiroler Souveränität. Nach Jahren zähen Ringens hat die Provinz den symbolträchtigen Ort nun Reinhold Messner anvertraut. Der ist in seiner Heimat zwar berühmt, aber nicht überall beliebt, schon gar nicht beim politischen Establishment. Oft genug hat er gegen den Provinz-Nationalismus gewettert und gegen die kompakte Majorität. Während andere die Beschäftigung mit der kulturellen Identität bis ins Hypochondrische treiben, beharrte er auf seinem Weltbürgertum.
Um jeden chauvinistischen Beiklang zu vermeiden, trägt das Museum den alten Flurnamen Firmian. Der Architekt Werner Tscholl hat den Torso in seiner Schauerromantik bewahrt und zugleich eine moderne Ausstellungslandschaft implantiert, mit Böden, Treppen und Stegen aus schwarzem Stahl. Das Gelände will erkundet werden. Wer alle Türme inspiziere, heißt es, und alle Stiegen und Rampen erklimme, überwinde 400 Höhenmeter. Im obersten Stock fällt der Blick durch Glasböden in den Abgrund - eine kleine Lektion über Höhe. Wieder gibt es reichlich Gemälde zu betrachten, von heiligen Bergen, von Geistern und Göttern in unnahbaren Höhen, von Religionsstiftern, die von den Bergen niederstiegen oder sich dorthin zurückzogen. Andere Exponate dokumentieren die Geschichte des Alpinismus. Expeditionsreliquien erinnern an legendäre Siege und tragische Niederlagen: eine Haarlocke des Mount-Everest-Erstbesteigers Sir Edmund Hillary aus Neuseeland, das Eiger-Biwak des Deutschen Anderl Heckmair, das gerissene Seil des Franzosen Lionel Terray, der 1965 im Vercors-Massiv starb. Messner steuerte seinen Everest- Anzug bei.
Der 15. Achttausender
Mittlerweile hat er ganz andere Abenteuer zu bestehen. Er, dessen Terminkalender ohnehin flächendeckend gefüllt ist, betätigt sich nun auch noch als Stifter, Kurator und Touristiker. Wenn er auf den langen Weg zurückblickt, der ihn bis zu seinen Museen brachte, klingen die Strapazen noch nach. Millionenschwere Investitionen, politische Intrigen und bürokratische Hemmnisse - bisweilen erschien es unmöglich, das Projekt zu verwirklichen. Aber im Unmöglichen kennt dieser Mann sich aus. So bezeichnet er die "Messner Mountain Museen" gern als seinen 15. Achttausender. "Es kam mich teurer zu stehen als alle meine Himalaya-Expeditionen, und es brauchte mindestens so viel Ausdauer und diplomatisches Geschick." Auch wenn keine Gefahr für Leib und Leben bestand, sagt er, "wirtschaftlich hätte ich abstürzen können."
Rund 60 000 Besucher im ersten Jahr bescherten dem Museums-Quartett einen erfolgreichen Start. Die meisten pilgerten nach Sigmundskron, das auch am leichtesten zu erreichen ist. Doch letztlich gehören die vier Ausstellungsorte zusammen. Jeder Teil verkörpert einen anderen Aspekt der alpinen Kultur: Juval die Hingabe, Ortles die Askese, Dolomites die Betrachtung und Firmian das Abenteuer. Mit diesem jüngst hinzugekommenen Haus verbindet Messner ein besonderes Verhältnis: Als er vor 40 Jahren Lehrer im nahen Eppan war, erkletterte er zum Training dessen Mauern. Nun hat er diese Trutzburg ein zweites Mal erobert.

I N F O
JUVAL
Kastelbell/Naturns. Geöffnet von Palmsonntag bis 30. Juni und von 1. Sept. bis Anfang Nov., Mi Ruhetag; Tel. 0039- 0348-443 38 71 Anfahrt: Der Parkplatz liegt westlich der Abzweigung ins Schnalstal an der Staatsstraße 38. Aufstieg etwa eine Stunde, Shuttlebus 15 Min
ÜBERNACHTEN
Hotel Pergola Residence. Aushängeschild zeitgenössischer Architektur hoch über dem Etschtal. Algund, Tel. 0039-0473-20 14 35, www.pergola-residence.it; DZ ab 210 Euro
ORTLER/ORTLES
Sulden. Geöffnet von Pfingsten bis Anfang Okt. und Dez. bis Anfang Mai, Di Ruhetag; Tel. 0039-0473-61 32 66 Anfahrt: Auf der Staatsstraße 38 bis Gomagoi, dann auf der 622 nach Sulden.
ÜBERNACHTEN
Hotel Grüner Baum. Geschichtsträchtiger Gasthof im mittelalterlichen Städtchen. Außen ehrwürdig, innen kühnes Wohndesign - die gelungenste Neueröffnung in weitem Umkreis. Glurns, Stadtplatz 7, Tel. 0039-0473- 83 12 06, www.gasthofgruenerbaum.it; DZ/F ab 98 Euro
Hotel Post. Runderneuertes Traditionshaus mit Badelandschaft. Sulden, Tel. 0039-0473- 61 30 24, www.hotelpost.it; DZ/F ab 145 Euro
DOLOMITES
Monte Rite bei Cibiana di Cadore. Geöffnet Juni bis Okt.; Tel. 0039- 0435-89 09 96 Anfahrt: Von der Staatsstraße 51 zweigt zwischen Cortina und Pieve di Cadore die Straße nach Cibiana ab. Parkplatz auf Passhöhe, es gibt einen Shuttledienst zum Gipfel.
ÜBERNACHTEN
Rifugio Dolomites. Zimmer in der Festung. Tel. 0039-0435-3 13 15, www.rifugiodolomites.com; DZ/F ab 40 Euro
Parkhotel Sole Paradiso. Romantisches Hotel im Wald am Beginn des Sextentals. Innichen, Tel. 0039-0474- 91 31 20, www.sole-paradiso.com; DZ/F ab 118 Euro
FIRMIAN
Schloss Sigmundskron bei Bozen. Geöffnet vom ersten So im März bis letzten So im Nov., Mo Ruhetag; Tel. 0039- 0471-63 12 64 Anfahrt: Autobahn Bozen- Meran, Abfahrt Eppan, der Ausschilderung folgen. Oder mit der Lokalbahn bis Bahnhof Sigmundskron, 20 Min. Aufstieg. Vom Bozener Zentrum 30 Min. mit dem Rad.
ÜBERNACHTEN
Parkhotel Laurin. Nostalgietempel mit Sitzbank im Aufzug und schönem Garten. Bozen, Laurinstr. 4, Tel. 0039- 0471-31 10 00, www.laurin.it; DZ/F ab 170 Euro
Hotel Greif. Elegantes Geschäftshotel in der Altstadt. Bozen, Waltherplatz, Tel. 0039- 0471-3 18 00, www.greif.it; DZ/F ab 170 Euro