Inhaltsverzeichnis
- Inija Trinkūnienė und Mitglieder der Romuva-Gemeinde von Vilnius, Dvarciškės, LITAUEN
- Janis Onzuls, Ingenieur, Rumbula bei Rīga, LETTLAND
- Epp Maria Kokamägi, Künstlerin, mit Tochter Liisu und Hund Bucki, Kastna, ESTLAND
- Ants Ale, Geschäftsmann, mit Ehefrau Tiina, Haeska, ESTLAND
- Valērijs Kargins, Banker, mit Hund Tommy, Jūrmala, LETTLAND
Inija Trinkūnienė und Mitglieder der Romuva-Gemeinde von Vilnius, Dvarciškės, LITAUEN
"Unser Sommerhaus liegt in Dvarciškės, ungefähr 80 Kilometer nördlich von Vilnius. Es ist nur über holprige Wege zu erreichen und sehr einfach eingerichtet. Wasser holen wir vom Brunnen, und unser Klo steht unter Apfelbäumen. Als mein Ehemann Jonas 1991 dieses alte Holzhaus kaufte, pflanzte er davor sofort eine Eiche, den Baum des Donnergottes Perkūnas. Wir glauben an viele Götter: die Sonnengöttin Saulė, die Feuergöttin Gabija, die Schicksalsgöttin Laima. Manche Menschen setzen uns herab und nennen uns Heiden, dabei sind wir Anhänger einer sehr alten Naturreligion. Litauen wurde 1387 als letztes Land in Europa christianisiert, doch die Bauern hielten die vorchristlichen Bräuche über viele Jahrhunderte am Leben.
Wir sehen die göttliche Kraft in der ganzen Natur: der Sonne, den Pflanzen, den Steinen. Für unsere Rituale legen wir Leinenkleidung an und entzünden ein Feuer. Der Priester wirft Getreide, Met und Salz als Opfergaben in die Flammen und über den Kreis der Teilnehmer. Dabei singen wir, trommeln und spielen Dudelsack. Der Name unserer Bewegung, Romuva, bedeutet Heiligtum oder Ort des inneren Friedens. Mein Mann hat sie 1967 gegründet. In Lettland gab es damals ebenfalls eine Rückkehr zur Naturreligion als heimlichen Widerstand gegen die UdSSR. Als die Sowjets unsere Gruppe entdeckten, verlor Jonas seine Stelle an der Universität und musste sich 15 Jahre lang als Steinmetz durchschlagen. Mittlerweile erkennt uns der Staat zwar immer noch nicht als Religionsgemeinschaft an, aber Probleme haben wir keine mehr, nicht einmal mit der katholischen Kirche. Jonas arbeitet wieder als Dozent und wurde zu unserem Hohepriester gewählt."
Janis Onzuls, Ingenieur, Rumbula bei Rīga, LETTLAND
Wie teuer war Ihr Wochenendhaus?
Sehr günstig. Ich bekam die Parzelle 1969 als Anerkennung für gute Arbeit von der sowjetischen Eisenbahn zugeteilt. Das Haus habe ich selbst gebaut, aus Material, das ich besorgen konnte oder bei verlassenen Häusern fand. Es hat nur drei Zimmer, aber ich fühle mich wohl.
Sind alle in dieser Siedlung Eisenbahner?
Nicht mehr, einige haben ihre Grundstücke für viel Geld an neureiche Letten verkauft, die sich darauf große Häuser bauen. Hier in meiner Ecke leben aber noch ganz normale Menschen, wir sind eine gute Gemeinschaft. Die Nachbarn bringen mir ihre kaputten Radios, und ich repariere sie.
Wie oft kommen Sie her?
Meine Frau und ich radeln jedes Wochenende die zehn Kilometer von unserer Wohnung in der Innenstadt bis hierher. Wir hören Radio und arbeiten im Garten, das hält gesund. Für Salat und Tomaten habe ich ein Gewächshaus gebaut, Kartoffeln, Gurken und Zwiebeln pflanzen wir auch. Außerdem haben wir Apfelbäume und Stachelbeeren. Deren Saft presse ich aus, fülle ihn in Flaschen und lasse ihn vier Monate in meinem Keller gären. Ich mag den Geschmack, und meine Freunde mögen ihn leider ebenfalls. Sobald mein Stachelbeerwein fertig ist, kommen sie mich hier besuchen.
Spart es Geld, Gemüse selbst anzubauen?
In den 1990er Jahren hatten einige Nachbarn Probleme mit der neuen Situation, da hat ihnen das Gemüse von der Datscha sehr geholfen. Damals wurde in der Siedlung aber auch oft eingebrochen: Einem haben sie den Kühlschrank gestohlen, anderswo nahmen die Diebe Kleiderbügel und Löffel mit, um das Aluminium zu verkaufen. Ich selbst hatte Glück: Ich wurde nicht beraubt und war nie arbeitslos.
Epp Maria Kokamägi, Künstlerin, mit Tochter Liisu und Hund Bucki, Kastna, ESTLAND
"Mein Mann und ich waren noch Kunststudenten, als wir das Haus in Kastna zum ersten Mal sahen. Der alte Besitzer hatte es 1944 nur behalten dürfen, weil er seine Nutztiere und das Land der Kolchose überließ. Da seine Vorfahren Schmiede waren, steht über der Eingangstür Sepamaa, Land des Schmieds. 1984 starb er, und seine Kinder wollten das Haus loswerden. Da haben wir 10 000 Rubel zusammengekratzt. Es folgte ein langer Kampf mit der Bürokratie, bis wir alle Dokumente zusammenhatten.
Seither werkeln wir jeden Sommer an unserem Haus herum. Anfangs war es innen braun, sehr bedrückend. Wir haben die Wände hell gestrichen und größere Fenster einbauen lassen. Früher lebten hier Mensch und Tier unter demselben Dach, es trennte sie nur eine Tür. Im Stallteil ist jetzt mein Atelier. Ich male großflächige Bilder, oft Engel, und mein Mann Jaak macht Skulpturen aus Holz. Es läuft gut für uns: Die harten Jahre nach der Unabhängigkeit sind vorbei, die Esten fühlen sich seit dem EU-Beitritt sicherer. Sie haben das Auto abbezahlt, wollen nun ihre Häuser verschönern und interessieren sich mehr für Kunst. Ich liebe es, Rosen zu pflanzen und Gäste zu bewirten. Mir gefällt die Bürgerlichkeit, die es in der UdSSR nicht gab. Höhepunkt ist die Mittsommernacht, dann treffen wir uns wie alle estnischen Familien mit unseren Kindern zu einem großen Feuer. Johannes studiert Film und fotografiert, Anni ist Köchin, Designerin und Model und Liisu hat sich nach dem Politikstudium für die Töpferei entschieden. Alle drei schätzen die Ruhe hier, wir leben in einem der letzten Funklöcher und ohne Internet. Das Meer ist nah, und jeder findet im Garten eine Ecke zum Nachdenken. Ich bin sicher, dass unsere Kinder unser Sommerhaus nie verkaufen werden."
Ants Ale, Geschäftsmann, mit Ehefrau Tiina, Haeska, ESTLAND
Zwei Mal im Jahr ist der Lärm ohrenbetäubend. Zehntausende Zugvögel rasten im Frühling und Herbst im Nationalpark Matsalu. Mitten in ihm liegt das Wochenendhaus von Ants Ale, zu Fuß nur eine Minute vom Meer entfernt. "Wir sehen Kraniche, Störche und Graugänse aus nächster Nähe", sagt der 47-Jährige. Für die vielen Vogelfreunde, die aus ganz Europa anreisen, hat er einen zwölf Meter hohen Aussichtsturm errichten lassen.
In der Sowjetzeit fuhr Ale Motocross und brachte Schülern das Motorradfahren bei. Nach der Wende wurde er Vertreter eines großen Reifenherstellers. Seit fünf Jahren hat er endlich genug Geld und Muße, sich um das Grundstück seiner Großeltern zu kümmern: "Als kleiner Junge habe ich hier viele Sommertage verbracht." Seine Frau Tiina kennt er schon seit jener Zeit. Gemeinsam arbeiten sie daran, den Hof mit den 26 Hektar Land wieder so schön zu machen, wie er auf den Fotos aus vergangenen Tagen aussieht. Andrus, der 18-jährige Sohn des Ehepaars, hat den Sommer damit zugebracht, den alten Steinwall instand zu setzen. Weil er dadurch estnische Bautradition bewahrte, bekam er Geld von der EU. Andrus will sich davon sein erstes Auto kaufen. Den Stall hat die Familie in ein Ferienhaus für Ökotouristen umgebaut: "Wir haben die Möbel nach alten Vorlagen anfertigen lassen, aus regionalem Material", sagt Ale. Das eigene Haus, vor dem ein Wimpel in den estnischen Farben weht, hat er noch nicht renoviert. Bislang beheizt ein einziger alter Küchenofen alle Zimmer. Ales Mutter Lehte wohnt den gesamten Sommer auf dem Hof und kümmert sich um den Garten. Sie genießt es besonders, wenn die Vögelschwärme endlich weiterziehen. Denn dann folgt die große Stille.
Valērijs Kargins, Banker, mit Hund Tommy, Jūrmala, LETTLAND
Er ist einer der reichsten Männer Lettlands, fährt Porsche und Maybach. Und das verdankt Valērijs Kargins der Perestroika. Kaum öffnete die Sowjetunion sich zaghaft, machte er 1987 ein Reisebüro in Rīga auf, organisierte für die auslandshungrigen Sowjetbürger erste Urlaube in Polen, Vietnam und später Westeuropa. Das Geschäftsmodell war einfach: "Bei uns durften die Kunden kostenlos Alkohol trinken", sagt Kargins grinsend. Bald war er Rubel-Millionär und kaufte sich ein Sommerhaus im elitären Kurort Jūrmala, knapp 20 Kilometer von Rīga entfernt.
Zu seiner nächsten Goldgrube, der ersten privaten Wechselstube der ganzen UdSSR, verhalfen Kargins 1991 seine alten Parteikontakte: Als junger Mann war er Funktionär des kommunistischen Jugendverbands gewesen. Kargins und sein Partner scheffelten so viel Geld, dass sie nach der Unabhängigkeit flugs eine Sowjetbank aufkaufen konnten - für sechs Millionen Dollar. "Die 140 Angestellten haben wir entlassen, weil sie nichts konnten." Parex wuchs zu einer der größten lettischen Banken. Immer wieder gab es Gerüchte, der Oligarch steuere über Parteispenden die lettische Politik, doch bewiesen wurde der Vorwurf nie. Er selbst sagt: "Politik interessiert mich nicht" und nennt sich einen "stolzen Letten", obwohl seine Muttersprache Russisch ist. Den Kurort Jūrmala hat der russischsprachige Geldadel inzwischen fest in der Hand. Schon in der Zarenzeit verbrachten russische Offiziere und Künstler den Sommer hier, inzwischen erstreckt sich Jūrmala (lettisch für "Meeresstrand") über 30 Kilometer Küste, und der Bauboom nimmt kein Ende. Auch Valērijs Kargins ist dabei. Für sich, seine junge Lebensgefährtin und Tochter Valērija lässt er gerade eine zweite Strandvilla bauen: die größte des Landes.