"Eigentlich wollte ich mir das nicht antun", sagt Helmut Diehl, "ich hab zu wenig trainiert. Nur dreimal den Berg raufgerannt - das kann heiter werden!" Diehl ist 48, Aerodynamik- Entwickler bei BMW, lebt in Kochel mit Frau und zwei Töchtern. Da ist das Leben kein Trainingslager. Doch es hat ihn wieder gepackt, das Berglaufieber. Und an einem kalenderblattschönen Sonntagmorgen steht der große Mann in einer Sportlertraube hinter rot-weißem Trassierband. Der Starter klatscht in die Hände. Füße scharren auf Schotter, trainierte Beine trappeln bergwärts. Aus Atmen wird Hecheln, Keuchen, Japsen. Stramm bergan führt die Strecke zum Herzogstandhaus. Durchschnittliche Steigung: knapp 12 Prozent. Letztjährige Siegerzeit: knapp 30 Minuten. Auf dem Wanderschild steht: 2,5 Stunden.
Was "Helli" Diehl und andere zu Veranstaltungen wie den Herzogstand-Berglauf lockt, ist für viele schwer nachvollziehbar. Denn aus der moderaten Distanz von sechs Kilometern machen 700 Steigungsmeter eine Herausforderung für die Fitness. Und die Anhängerschaft dieses Sports wächst: Bisher starteten hier 60 bis 80 Läufer, zuletzt waren es bereits 120. Schon mehr als 100 Bergrennen gibt es in der Alpenregion, gegen einen der größten ist der Lauf in Kochel ein Kindergeburtstag: 4000 Starter beteiligen sich am Jungfrau-Bergmarathon: 42 Kilometer und 1800 Höhenmeter. Meist Monate vor dem Start ist das Rennen in der Schweiz ausgebucht.
Läufer und Anhang aus 48 Ländern bringen der Region 15 000 Übernachtungen und weltweite Aufmerksamkeit. Längst sind Sportgroßveranstaltungen für Jedermänner und -frauen wichtige Marketing-Instrumente. Wenn beim Berlin-Marathon 40 000 Läufer an den Start gehen, sind alle Hotels der Stadt am Wochenende belegt. Bis nach La Réunion fliegen die Fernreisenden unter Europas Extremläufern. Der dortige "Grand Raid" fordert sie mit über 9000 Höhenmetern auf 148 Kilometern. Er findet jedes Jahr 2600 Teilnehmer.
Im vergangenen Herbst haben sich aber auf dramatische Weise die Risiken dieses Sports gezeigt. Beim Lauf auf die Zugspitze überraschte ein Wetterumschwung die Sportler mit Temperaturen um null Grad, Schnee und eisigem Wind. Viele der zu dünn bekleideten Läufer mussten von der Bergwacht gerettet werden, zwei kamen ums Leben. Dabei hatte der Veranstalter ausdrücklich auf die wechselhafte Witterung hingewiesen. Nur beim "Transalpine Run" droht ungenügend ausgerüsteten Startern die DisqualiÔkation, Hauptsponsor Gore-Tex kann sich solche Unglücke nicht erlauben.
Gelegenheitsbergläufer Helli trippelt über eine Rampe mit etwa 20 Prozent Steigung. Während andere schon gehen, hat Diehl eine eigene Strategie: "Durchlaufen ist besser für die Psyche. Wenn es steiler wird, mache ich kleinere Schritte." Verdammt klein sind sie inzwischen. Doch Diehl kommt durch. Während manche Läufer noch in den Serpentinen keuchen, taumelt der Ingenieur ins Ziel. 42 Minuten hat er gebraucht, gut 12 Minuten länger als der Sieger. Das reicht nicht für eine der Herzogstandlauf-Müslischüsseln. Aber Helli ist zufrieden, er sagt: "Gut, dass ich mitgemacht habe. Das hat mal wieder so richtig den Kamin durchgeputzt!"